Leichtathletik unterm Einfluss der Fußball-WM
Ob Zeitung, Fernsehen, Radio oder Internet – egal wohin mal schaut, König Fußball regiert schon jetzt, knapp ein halbes Jahr vor dem ersten Anpfiff, die deutsche Medienlandschaft. In allen Kanälen und fast jeder Werbung wirft die Fußball-Weltmeisterschaft ihre langen Schatten voraus und ist das bestimmende Thema. Entkommen kann niemand. Auch die Leichtathletik bleibt nicht verschont.

König Fußball wird im Juni und Anfang Juli den Ton angeben (Foto: Chai)
Vor allem die Meeting-Veranstalter bekommen den Einfluss des mächtigen Sportkonkurrenten zu spüren. Umso mehr versucht man, selbst Akzente zu setzen und durch attraktive Termine das Publikum zu locken.Vom 9. Juni bis 9. Juli wird es die Leichtathletik aber dennoch schwer haben, auf sich aufmerksam zu machen. Denn, sind die Spiele erst einmal in vollem Gange, stellt sich die berechtige Frage, ob dann noch Platz für andere Sportarten ist? Sind die Zuschauer bereit, den weichen Fernsehsessel oder ihren Platz vor einer der zahlreichen Großbildleinwände zu verlassen und ins Leichtathletik-Stadion zu kommen, um dort Athleten, die ohne Ball Leistungen bringen, zuzujubeln?
Fest steht aber jetzt schon, dass die Konzentration der Medien, sei es Fernsehen oder Zeitung, die für die öffentliche Wirksamkeit einer jeden Sportart wichtig sind, im kommenden Sommer vornehmlich auf der Fußball-WM liegen.
Keine Hoffnung auf große Medienpräsenz
Fernsehmoderator Werner Damm vom Hessischen Rundfunk machte auf einer Podiumsdiskussion zum Thema "Sport und Medien" deutlich, dass Individualsportarten in diesem Jahr mit Abstrichen rechnen müssen: "Die großen Leichtathletik-Veranstaltungen werden wegen der Fußball-Weltmeisterschaft in den Medien kaum stattfinden."
Allein dieses Statement macht schon deutlich, dass die Sorge der Meeting-Veranstalter gegen die balltretende Konkurrenz nicht anzukommen, begründet ist. Wie groß sie tatsächlich ist, lässt sich schon durch einen Blick in den Rahmenterminplan für die kommende Saison erkennen.
Termin-Rochade
Viele Meetings sind von ihren ursprünglichen Terminvorstellungen abgewichen, wie etwa das Meeting in Kassel, welches von dem traditionellen Freitagstermin auf einen Donnerstag (8. Juni) verschoben worden ist, um so der zu vermutenden geringen Zuschauer- und auch Medienresonanz am Abend des Eröffnungsspiels entgegenzuwirken.
Mit dem Springermeeting Weissach im Tal (18. Juni), dem Meeting in Cuxhaven (7. Juli) und dem Weitsprungmeeting in Bad Langensalza (8. Juli) wagen nur drei internationale Meetings den Schritt in die WM-Zeit. Ansonsten finden in dieser Zeit in Deutschland, neben nationalen Meetings in Schönbeck und Regensburg, die auch als Europacup-Ausscheidungen dienen sollen, die Deutsche Meisterschaft der Geher, Meisterschaften der Senioren, die BAUHAUS-DLV-Junioren-Gala in Mannheim und das Mehrkampf-Meeting in Ratingen statt.
In Ratingen will man sich durchkämpfen
"Leider", betont Horst Becker, Meeting-Direktor des Mehrkampf-Events in Ratingen. "Der internationale Terminkalender ließ uns keine andere Wahl als auf den 24. und 25 Juni zu gehen, denn wir müssen den Mindestzeitraum für die Ehrholung der Mehrkämpfer vor der Europameisterschaft in Göteborg einhalten."
Die Hoffnungen auf Fernsehzeiten hat man in Ratingen bereits begraben. "Wir haben eine klare Absage bekommen", bedauert Horst Becker, denn er glaubt, dass "ein bisschen Leichtathletik neben dem Fußball doch bestimmt eine willkommene Abwechslung für den Zuschauer gewesen wäre."
Zumindest im Hinblick auf die Zuschauerresonanz hofft man auf keine bösen Überraschungen. "Wir bauen auf unser fachkundiges Stammpublikum", gibt sich der Meeting-Organisator zuversichtlich. Er übt sich in Durchhalteparolen: "Durch dieses trockene Jahr müssen wir uns jetzt durchkämpfen."
DLV beugt sich dem Wunsch der Fernsehanstalten
Besser als dem Ratinger Mehrkampf-Meeting in Punkto Terminauswahl erging es dem DLV. Während die BAUHAUS-DLV-Junioren-Gala direkt mit dem Spiel um Platz drei bei der Fußball-WM kollidiert, finden die Deutschen Meisterschaften eine Woche nach dem Finale in Ulm (15./16. Juli) statt.
Gabriele Thiele, stellvertretende Referatsleiterin der Wettkampforganisation im DLV, gibt offen zu, dass ein Grund für diese Terminwahl auch die Absprache mit den Fernsehanstalten gewesen sei. "Auf keinen Fall hätten wir die DM während der Fußball-WM stattfinden lassen können", betont sie und bewertet die Konkurrenz, in welcher der nun gewählte Termin mit der Tour de France steht, als kleineres Übel.
Auch internationale Leichtathletik betroffen
Selbst der Europäische Leichtathletik-Verband (EAA) bleibt vor dem Fußball-Hype in Deutschland nicht verschont. Fand in den Vorjahren der Europacup traditionell an einem Wochenende statt, so weicht man nun auf einen Termin in der Woche aus. Am 28. und 29. Juni, sprich auf einem Mittwoch und Donnerstag, finden nun die Wettkämpfe in Malaga (Spanien) statt. Der Grund für diese Entscheidung ist darin zu sehen sein, dass an diesen beiden Tagen kein Fußballspiel in Deutschland ausgetragen wird.
"Die Welt zu Gast bei Freunden" – so lautet das Motto der WM. Dass die Fußballer aus aller Welt in Deutschland willkommen sind, steht außer Frage. Klar ist aber auch, dass die Leichtathleten den Fußballern in der Zeit der Weltmeisterschaft weichen müssen. Gabriele Thiele vom DLV bringt es auf den Punkt: "Gegen eine Fußball-WM im eigenen Land kommen wir einfach nicht an."