leichtathletik.de-Analyse - Diskuswurf Männer
Die Olympische Leichtathletik-Saison 2008 ist Geschichte. Sowohl mit Enttäuschungen als auch mit freudigen Überraschungen im Gepäck kehrten die Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) aus Peking (China) zurück. leichtathletik.de nimmt die einzelnen DLV-Disziplinbereiche unter die Lupe, macht eine Momentaufnahme, bilanziert das Jahr 2008, blickt voraus auf 2009 und stellt die aktuellen Hoffnungsträger vor.
Wo stehen die DLV-Asse international?„Wie sehr man trainiert hat, merkt man nur dann, wenn man an einem Ziel vorbei schrammt.“ Diesen Satz hat der Diskuswerfer Robert Harting (SSC Berlin) auf seiner Homepage (www.derharting.de) ein paar Tage nach seinem unglücklichen vierten Platz bei den Olympischen Spielen in Peking niedergeschrieben. Der 24-Jährige hatte wohl noch lange Zeit an diesem Endkampf zu knabbern - mehr als die 67,09 Meter hatte er sich ausgerechnet. Denn immerhin stellte Robert Harting im Juni in Kaunas (Litauen) mit 68,65 Metern eine neue persönliche Bestleistung auf, die ihm in China die Silbermedaille hinter Gerd Kanter (Estland) beschert hätte. „Ich habe so hart trainiert, wie noch nie in meinem Leben“, sagte der Berliner vor dem Saisonhighlight.
„Ich denke, das ist ein gutes Ergebnis. Auch wenn Robert eine Medaille wollte“, sagt der Diskus-Disziplintrainer Jürgen Schult. „In diesem Alter über 67 Meter beim Saisonhöhepunkt zu werfen, ist eine bemerkenswerte Leistung.“ Nach seiner überraschenden Silbermedaille bei der WM 2007 in Osaka (Japan) hat es der blonde Berliner geschafft, sich in der Weltspitze zu etablieren. Weniger zufrieden war der 48-jährige Jürgen Schult, der 1988 selbst Diskus-Olympiasieger geworden war, mit dem Umstand, „dass das DLV-Diskusteam in Peking die Startplätze zwei und drei nicht besetzen konnte“.
Mit 68,65 Metern steht Robert Harting als bester deutscher Diskuswerfer in der europäischen Bestenliste auf Rang vier, in der Weltjahresbestenliste ist er Sechster. Dort folgt auf Platz 29 Michael Möllenbeck (TV Wattenscheid 01). Auf Rang 45 landete Martin Wierig (SC Magdeburg) mit 63,09 Metern, Heinrich Seitz (LG Eintracht Frankfurt) ist mit seinen 60,88 Metern als 94. geführt. Auf Platz 121 folgt mit 60,01 Metern Sascha Hördt (TSG Weinheim), vor Gordon Wolf (SC Potsdam; 130.) mit 59,59 Metern und Markus Münch (LG Wedel; Pinneberg/131.) mit 59,58 Metern.
Die Bilanz 2008
Bei den Deutschen Meisterschaften im Juli in Nürnberg dominierte wie schon 2007 Robert Harting mit 66,26 Metern. Mit der Norm für die Olympischen Spiele (64,50 m) musste sich der Berliner nicht groß abmühen. Dass er dort die Medaillenränge verpasste, führt er rückblickend auf ein Stück fehlende Lockerheit zurück. „Vielleicht bin ich im Jahresverlauf zu starr gewesen“, sagt Robert Harting. Dazu kamen die jüngsten Diskussionen um seinen Trainer, die sicherlich nicht spurlos an dem Diskuswerfer vorbeigingen. Der 58-jährige Werner Goldmann, der auch Kugelstoß-Disziplintrainer ist, sah sich nach einer Fernsehsendung im ZDF dem Vorwurf ausgesetzt, in DDR-Zeiten seine Schützlinge gedopt zu haben. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hätte dem Coach kurz vor den Sommerspielen fast die Nominierung entzogen - letztlich durfte Werner Goldmann als Betreuer doch mit nach Peking reisen.
Michael Möllenbeck stellte früh in der Saison seine Bestweite von 64,63 Metern bei nasskaltem Wetter in Versmold auf - nachlegen konnte der 38-Jährige allerdings nicht. Mit dieser Marke blieb er um drei Meter unter seiner persönlichen Bestleistung (67,64 m). Bei der DM landete der Bürokaufmann mit 62,98 Metern auf Platz zwei und verfehlte die Peking-Norm um eineinhalb Meter recht deutlich. Die letzte Chance auf das Olympiaticket beim von Wetterkapriolen geprägten Meeting in Cuxhaven konnte Michael Möllenbeck ebenfalls nicht nutzen – der Wind drückte seine Scheibe schon nach 61,35 Meter auf den Boden. So verpasste er seine vierte Olympia-Teilnahme nach 1996, 2000 und 2004 - kein erfolgreiches Jahr für Michael Möllenbeck. „Er wollte die Norm unbedingt und ist dann etwas nervös geworden“, sagt Jürgen Schult. „Ans Aufhören denkt Michael aber nicht, er ist bereits wieder voll im Training und will bei der WM in Berlin ins Finale.“
Im letzten Jahr holte sich der 21-jährige Martin Wierig bei der U23-EM in Debrecen (Ungarn) die Goldmedaille mit 61,10 Metern. In dieser Saison zeigte die Leistungskurve weiter nach oben, in Rostock stellte er im Juni mit 63,09 Metern eine neue Bestleistung auf. Und das, obwohl sich Martin Wierig im Wintertraining eine Sprunggelenksverletzung zuzog. Auch an anderer Stelle plagten ihn die Schmerzen: Vor vier Wochen musste sich der Magdeburger einer Knieoperation unterziehen. Trotzdem sagt Jürgen Schult: „Martin ist ein Mann für die Zukunft.“ Der 2,01 Meter große Diskuswerfer kann 2009 noch in der U23-Altersklasse starten. Bis 2006 ging Martin Wierig übrigens nicht nur mit der Diskusscheibe, sondern auch mit der Eisenkugel in den Wurfring - vor zwei Jahren wurde er noch Deutscher Jugend-Hallenmeister im Kugelstoßen. „Das Kugelstoßen ist ein legitimes Trainingsmittel für ihn, allerdings wird sich Martin auf das Diskuswerfen konzentrieren müssen“, sagt der Disziplintrainer.
Viertbester DLV-Werfer 2008 ist der Frankfurter Dauerbrenner Heinrich Seitz. „Er ist ein Phänomen“, sagt Jürgen Schult. „Heinrich ist nicht der Größte, nicht der Schnellste, nicht der Kräftigste. Trotzdem wirft er über 60 Meter, das ist sehr gut für ihn.“ Allerdings schaffte der 28-Jährige schon bei seinem zweiten Platz bei der U23-WM 2001 in Amsterdam (Niederlande) eine Weite von 59,50 Meter. „Seither gab es keine Entwicklung“, sagt der DLV-Coach. Im DLV-Kader steht Heinrich Seitz, der in der Sportfördergruppe der Polizei in Hessen ist, deswegen nicht. „Für ihn ist die deutsche Spitze der Maßstab. Heinrich will 2009 wieder 60 Meter werfen und bei der DM vorne dabei sein.“
Auf Platz drei bei der DM in Nürnberg landete mit 59,66 Meter Sascha Hördt - obwohl der 24-Jährige im Mai in Halle mit 60,01 Metern eine neue Bestleistung aufstellte, hatte der DLV-Disziplintrainer mehr von ihm erwartet. „In vier Jahren hat sich Sascha um gut einen Meter gesteigert. Das ist etwas zu wenig“, sagt Jürgen Schult, nimmt seinen B-Kader-Athleten aber auch in Schutz: „Er hatte in den letzten Jahren viel mit seiner Ausbildung als Bankkaufmann um die Ohren.“ Seit einem Jahr gehört Sascha Hördt allerdings der Sportfördergruppe der Bundeswehr an, was ihm ein professionelleres Training möglich macht. „Deswegen muss nun auch ein Sprung nach vorne passieren“, verlangt Jürgen Schult.
Ähnliches erwartet dieser von dem 22-jährigen Markus Münch, der bei Rolf Danneberg, dem Diskus-Olympiasieger von 1984, trainiert. Mit 59,58 Metern stellte er im Mai ebenfalls eine neue persönliche Bestmarke auf. „Im Training hatte Markus schon richtig weite Würfe. Die will ich in Zukunft auch im Wettkampf sehen“, sagt Jürgen Schult.
Wirbel gab es bei den deutschen Diskuswerfern 2008 allerdings auch abseits des Betonrings. Dass die Diskusriege nicht gerade als verschworene Gemeinschaft gilt, war schon vor dieser Saison klar. Der exzentrische Robert Harting war nun der Hauptdarsteller in einer neuen Folge des Fortsetzungsklassikers „Jeder gegen Jeden“. Gegenüber der 'Mitteldeutschen Zeitung' sagte er: „Ich bin nicht solch ein Egozentriker wie Lars Riedel, ein Säufer wie Michael Möllenbeck oder ein Model wie Martin Wierig.“ Das saß. Zwar entschuldigte sich Robert Harting im Anschluss öffentlich für seine Wortwahl - der zerknirschte Michael Möllenbeck ließ dies aber nicht gelten. „Das ist Rufmord“, wurde der Wattenscheider ebenfalls in der 'Mitteldeutschen Zeitung' zitiert.
Dazu kommt: Das Verhältnis zwischen Robert Harting und dem DLV-Trainer Jürgen Schult ist auch nicht unbelastet. Schon vor der WM 2007 gab es Streit. „Er wollte mich zu einem anderen Menschen machen“, sagte Robert Harting damals. Die Folge: Kommunikationsstillstand. „Wir haben ein vernünftiges Verhältnis“, sagt Jürgen Schult heute. Als Modell für „funktionierendes Teamwork“ wird man die deutschen Diskuswerfer aber wahrscheinlich auch in Zukunft nicht heranziehen.
Die Chancen 2009
„Wir wollen natürlich alle drei Startplätze bei der WM besetzen und mindestens eine Medaille holen“, sagt Jürgen Schult und hält das sogar „für realistisch“. Die Norm des Weltverbandes IAAF liegt bei 64,50 Metern, ob diese von den DLV-Athleten zweimal geknackt werden muss oder ob es eine „leichtere“ B-Norm geben wird, ist noch ungewiss. Sollte Robert Harting an seine Leistung von 2008 anknüpfen oder sich gar noch steigern können, ist für ihn der WM-Titel und damit Gold in seiner Heimatstadt drin. Dazu steht der Berliner auch öffentlich.
Dahinter haben Michael Möllenbeck und Martin Wierig, der auch zur U23-EM nach Kaunas (Litauen, 16. bis 19. Juli) fahren will, beste WM-Chancen. „Bei Michael muss die Hüfte halten, und Martin muss ebenfalls gesund durch den Winter kommen“, nennt Jürgen Schult die Voraussetzungen für die Berlin-Qualifikation. Auch von Sascha Hördt und Markus Münch erwartet er Würfe deutlich über 60 Meter, die beiden seien in der Lauerstellung, sagt der Disziplintrainer.
Die Hoffnungsträger
Obwohl Martin Wierig noch bei den U23-Junioren starten darf, gilt er nicht mehr als typischer „Hoffnungsträger“ - trotzdem wird der Magdeburger seinen Titel bei der U23-EM verteidigen wollen. Ein weiterer Werfer, der für die kontinentalen Meisterschaften in Frage kommt, ist Roman-Mark Stoutjesdijk (TV Wattenscheid 01). „Er ist in letzter Zeit körperlich extrem in die Höhe geschossen“, sagt Jürgen Schult über den 20-Jährigen, der in dieser Saison 56,03 Meter warf. Die EM-Norm wird grob bei 58,00 Meter liegen.
Die DLV-Jugendbestenliste 2008 dominiert mit über vier Metern Vorsprung Gordon Wolf (SC Potsdam), der mit der 1,75 Kilogramm schweren Scheibe 62,00 Meter warf und mit dem Männergerät auf 59,59 Meter kam. „Eine absolute Topleistung“, wie Jürgen Schult findet. Bei der U20-WM im Juli in Polen holte sich der 18-Jährige die Goldmedaille. Im nächsten Jahr steht die U20-EM in Novi Sad (Serbien, 23. bis 26. Juli) an. Der Disziplintrainer schätzt die Norm dafür auf 56,00 Meter. Neben Gordon Wolf werden auch David Storl (LAC Erdgas Chemnitz; 57,37 Meter im Jahr 2008), Thomas Müller (SC Potsdam; 56,85 m) und der Bruder von Robert Harting, Christoph Harting (SSC Berlin; 54,85 m), um die EM-Tickets mitwerfen.
Mehr Analysen:
Sprint Männer
Sprint Frauen
400 Meter Männer
400 Meter Frauen
Mittelstrecke Männer
Mittelstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Hürdensprint Männer
Hürdensprint Frauen
Langhürde Männer
Langhürde Frauen
Hindernis Männer
Hindernis Frauen
Gehen Männer
Gehen Frauen
Weitsprung Männer
Weitsprung Frauen
Dreisprung Männer
Dreisprung Frauen
Hochsprung Männer
Hochsprung Frauen
Stabhochsprung Männer
Stabhochsprung Frauen
Kugelstoßen Männer
Kugelstoßen Frauen