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Die Olympische Leichtathletik-Saison 2008 ist Geschichte. Sowohl mit Enttäuschungen als auch mit freudigen Überraschungen im Gepäck kehrten die Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) aus Peking (China) zurück. leichtathletik.de nimmt die einzelnen DLV-Disziplinbereiche unter die Lupe, macht eine Momentaufnahme, bilanziert das Jahr 2008, blickt voraus auf 2009 und stellt die aktuellen Hoffnungsträger vor.
Wo stehen die DLV-Asse international?Der Blick auf die noch nicht abgeschlossene Weltjahresbestenliste im Marathon ist momentan aus deutscher Sicht ein Genuss, steht doch dort die Wattenscheiderin Irina Mikitenko mit ihrer neuen Bestzeit (2:19:19 h) und mehr als zwei Minuten Vorsprung auf der Spitzenposition.
Eine Zeit unter 2:28 Stunden gilt als ungefähre Richtschnur, um zu den ersten Fünfzig der Welt zu gehören. Das hat bislang in diesem Jahr keine weitere DLV-Läuferin erreicht. In Europa zählen die Saarbrückerin Susanne Hahn (2:29:35 h) und die Braunschweigerin Luminita Zaituc (2:30:00 h) noch zu den ersten Dreißig (28. und 30.).
Immerhin auf Platz 23 findet man im Weltvergleich des Jahres über 10.000 Meter die Kölnerin Sabrina Mockenhaupt (31:14,21 min), die bei den Olympischen Spielen in Peking (China) in dieser Bestzeit den 13. Platz erlief. Unmittelbar hinter den Top 50 macht man hier Irina Mikitenko (31:57,71 min) aus. Kontinental sind diese beiden auf den Rängen neun und 16 gelistet.
Über die kürzeren 5.000 Meter konnte keine Deutsche in den weltweiten Kreis der Top 50 vordringen, dafür waren die 15:27,06 Minuten, die Sabrina Mockenhaupt anbot, zu wenig. Europaweit liegt sie damit auf Rang 23.
Als lohnend erweist sich aus deutscher Sicht gerade der Blick in die Halbmarathon-Listen, dort finden sich bemerkensweiterweise Sabrina Mockenhaupt und Irina Mikitenko mit jeweils 1:08:51 Stunden gemeinsam auf Platz zwei (Europa) bzw. Platz acht (Welt).
Die Bilanz 2008
Alles wird im Olympiajahr überstrahlt von den Marathonleistungen von Irina Mikitenko, die aber ausgerechnet auf ihren Start beim Saisonhöhepunkt in Peking verletzungsbedingt verzichten musste. Das sieht auch DLV-Disziplintrainer Detlef Uhlemann so, der ihre Leistungen als „toll und sensationell“ bezeichnet.
Nach einem vielversprechenden Einstieg vor einem Jahr in Berlin (2:24:51 h) ist die 36-Jährige über 2:24:14 Stunden als Siegerin in London (Großbritannien) nun bei einer Bestzeit unter 2:20 Stunden und Platz vier der ewigen Weltbestenliste angekommen. Sie verbesserte nicht nur den deutschen Rekord im Marathon zweimal, sondern knackte als Nebenprodukt im September auch die nationale Bestmarke über 10 Kilometer (30:57 min).
Kein Wunder, dass Detlef Uhlemann nur voll des Lobes sein kann. „Was sie seit ihrem Marathondebüt abgefackelt hat, ist unglaublich. Ich hoffe, sie bleibt uns noch ein paar Jahre lang erhalten.“
Einziger Wermutstropfen war die Absage des Olympiastarts aufgrund von Beuger- und Rückenproblemen. „Es haben nur zwei Wochen zur Genesung gefehlt“, berichtet Detlef Uhlemann, der die Auswirkungen der Verletzung in der Höhe von St. Moritz (Schweiz) hautnah verfolgen konnte, und betont Gerüchten entgegen tritt, Irina Mikitenko habe die Peking-Variante mangels Lukrativität abgeblasen, um dem Berliner Stadtmarathon den Vorzug zu geben. „Solche Mutmaßungen sind nicht ganz fair. Ich war dabei, sie war verletzt und wusste, dass sie in Peking nicht das abliefern kann, was sie drauf hat.“
Das gelang in China allerdings der anderen herausragenden deutschen Ausdauerathletin. Sabrina Mockenhaupt krönte ihr Olympiajahr auf den 10.000 Metern mit einer Bestzeit zum Saisonhöhepunkt. „Dass sie trotzdem nur Platz 13 erreichte, zeigt, was auf der Langstrecke los ist“, merkt Detlef Uhlemann mit Blick auf die internationale Szene an.
Die Kölnerin konnte sich auch auf der Straße über 10 Kilometer (31:50 min) und im Halbmarathon steigern. Damit bewies sie in diesem Herbst bereits, dass es die richtige Entscheidung war, mittendrin und nach einem eher kurzen Intermezzo wieder vom Leverkusener Coach Paul-Heinz Wellmann in ihr Siegerländer Umfeld um Heinz Weber zurückzukehren. „Es war für sie eine wichtige Erfahrung“, stellt der Disziplintrainer fest.
Mit der Leverkusenerin Melanie Kraus und Susanne Hahn hatte der DLV im Marathon am Ende nur zwei Eisen bei den Olympischen Spielen im Feuer, die aber mit den Rängen 36 und 52 nicht so heiß geschmiedet waren wie gewünscht. Das ist für Detlef Uhlemann ein Abschneiden, mit der „wir nicht zufrieden sein können“. Das Duo sei, im nachhinein betrachtet, zu defensiv angelaufen.
Auf der Habenseite konnte Susanne Hahn im Jahresverlauf Bestzeiten im Halbmarathon (1:11:29 h) und vor allem als Deutsche Meisterin auch im Marathon (2:29:35 h) verbuchen. „Sie ist jetzt bei einer Marke unter 2:30 Stunden angelangt, das hatten nicht alle erwartet“, unterstreicht Detlef Uhlemann, „abgesehen von Peking ging es bei ihr vorwärts. Auf einer schnellen Strecke hat sie noch Steigerungspotenzial. Aber in dem Bereich wird es schwieriger, noch Sprünge zu machen.“
Bei Melanie Kraus blieb die souveräne Olympia-Qualifikation mit ihrem Sieg in Frankfurt (2:28:56 h) aus dem Herbst 2007 im Rücken das Entscheidende. Ihre 2:33:36 Stunden, die sie im Frühjahr als Düsseldorf-Siegerin lief, waren nach Ansicht von Detlef Uhlemann mehr wert, als diese Zeit aussagen kann. Das hat auch damit zu tun, dass sich die 33-Jährige vorher im Höhentrainingslager in Flagstaff (USA) bei einem Sturz eine Knieverletzung zuzog.
Nicht zu einem Peking-Start im Marathon hatte es bei Luminita Zaituc, Europameisterin Ulrike Maisch (1. LAV Rostock) und Claudia Dreher (LG Ihleläufer Burg) gereicht, was in diesen Fällen vor allem gesundheitliche oder verletzungsbedingte Gründe hatte. Bei diesen drei Läuferinnen gibt es aber inzwischen wieder positive Signale für das kommende Jahr. Um Anschluss kämpft die Rostockerin Romy Spitzmüller.
Alles in allem bleibt gegen Ende des Olympiajahres die Erkenntnis, dass die Breite und Dichte im deutschen Frauen-Marathon nach wie vor bemerkenswert hoch ist. Irina Mikitenko hat auf der Straße das Kommando an sich gerissen, während Sabrina Mockenhaupt die bestimmende Bahnläuferin ist.
Allerdings sind es nun schon seit Jahren die selben und immer mehr altbekannte Asse, die Akzente setzen und von Jahr zu Jahr älter werden, was einen baldigen und unvermeidlichen Umbruch androht. Die große Lücke, die sich dahinter auftut, ist auffällig und schmerzt auch den DLV-Disziplintrainer Detlef Uhlemann: „Das ist eine schwierige Situation und echt ein Problem.“ Er gesteht sich ein: „Diese Lücke zu schließen, wird in nächster Zeit nicht möglich sein. Wir haben den Stein der Weisen noch nicht gefunden.“
Dafür, dass man in jungen Jahren allerdings noch keine Höchstleistungen bringen muss und trotzdem eine positive Entwicklung zur Spitzenläufern nehmen kann, steht für ihn das Paradebeispiel Sabrina Mockenhaupt. „Sie hat das durchgestanden.“
Das könnte den aus den Jahrgängen 1984 bis 1986 kommenden Läuferinnen wie der Passauerin Julia Viellehner, der Münchnerin Ingalena Heuck, der Dortmunderin Heike Bienstein oder auch der Frankfurterin Simret Restle, die einen Versuch auf den Hindernissen hinter sich hat, Hoffnung geben.
Die Chancen 2009
Für das WM-Jahr sind die deutschen Langstrecklerinnen ordentlich aufgestellt. Deshalb will Detlef Uhlemann bei den Titelkämpfen in Berlin auch eine „volle Besetzung im Marathon“, wo eine Einzelnorm von 2:32:00 Stunden zu Papier schlägt, an den Start bringen. Fünf Athletinnen kann er als Mannschaft auf die Straßen der Hauptstadt schicken.
Dort wird, wenn sie gesund an der Spree ankommt, eine besonders im Mittelpunkt stehen. „Ich denke, Irina Mikitenko muss Medaillenambitionen haben. Sie macht ganz große Hoffnung“, erklärt der DLV-Disziplintrainer schon jetzt. Die jüngste Entwicklung lässt gar keine andere Maßgabe zu. Angeführt von der Wattenscheiderin kann man außerdem auch in der Teamwertung auf einen Platz unter den ersten Drei spekulieren.
Ob dann Sabrina Mockenhaupt als Bahnläuferin in Erscheinung treten wird, bleibt abzuwarten. Detlef Uhlemann will ihr die Wahl zwischen den 10.000 Metern und dem Marathon selbst überlassen. „Im Extremfall wären wir bei der WM in Berlin dann auf der Bahn nicht vertreten, wenn sie sich für den Marathon, der schon verführerisch ist, entscheidet. Ich sehe Sabrina aber noch nicht ganz weg von der Bahn und traue ihr Zeiten unter 15 Minuten bzw. 31 Minuten zu.“ Eine schwere Entscheidung kündigt sich schon jetzt an.
Die Hoffnungsträgerinnen
Die Nachwuchssorgen lassen keine ausgewiesene Hoffnungsträgerin zu. Julia Viellehner ist die einzige Athletin unter 25 Jahren, die zum B-Kader gehört. Den C-Kader bilden mit der Tübingerin Mira Glockner und Maren Kock von der LG Emstal-Dörpen zwei Athletinnen aus dem Jahrgang 1990, deren Entwicklung noch nicht vorherzusagen ist.
Die Problematik ist nicht von der Hand zu weisen: Während mehrere der namhaften Langstrecklerinnen in die Jahre kommen, melden noch keine Nachwuchskräfte nachhaltige Erbansprüche an.
Entsprechend hält sich Detlef Uhlemann auch mit Namen zurück. „Die jungen Mädchen sollen sich Zeit lassen, sich an ihren Leistungen orientieren und neue Bestleistungen laufen“, sagt er. So bleibt kurzfristig das Ziel, über die U23-Europameisterschaft junge Kräfte internationale Wettkampfluft schnuppern zu lassen und sie so an weitere Aufgaben heranzuführen.
Der DLV-Disziplintrainer hofft dabei auch auf eine Trotzreaktion: „Ich glaube, Athletinnen wie die Frankfurterin Katharina Heinig oder die Leverkusenerin Christina Kröckert wollen mir zeigen, dass es ein Fehler war, sie nicht in den Kader zu berufen.“
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