leichtathletik.de-Analyse - Mittelstrecke
Der Leichtathletik-Sommer 2006 ist Geschichte. Die deutsche Szene war dabei vor allem von einer erfolgreichen EM in Göteborg (Schweden) gekennzeichnet. leichtathletik.de nimmt die einzelnen DLV-Disziplinbereiche unter die Lupe, macht eine Momentaufnahme, bilanziert das Jahr 2006, blickt auf 2007 voraus und stellt die aktuellen Hoffnungsträger vor.
René Herms konnte bei der EM keine Akzente setzen (Foto: Kiefner)
MÄNNERWo stehen die DLV-Asse international?
René Herms (bisher LG asics Pirna) war auch in diesem Jahr national über die 800 Meter kaum zu bezwingen. International ist ihm der Durchbruch aber erneut nicht gelungen. Mit seiner Saisonbestzeit von 1:45,26 Minuten, die er im Juli in Helsinki (Finnland) ablieferte, fehlten dem künftigen Braunschweiger eineinhalb Sekunden bis zur Weltspitze. In Europa lief René Herms immerhin die zwölftbeste Zeit, war aber rund eine halbe Sekunde langsamer als noch im Vorjahr. Mit 1.193 Zählern steht er auf Platz 28 der Punkte-Weltrangliste.
Auf den 1.500 Metern sieht es ähnlich aus. Schnellster Deutscher in diesem Jahr war Carsten Schlangen (LG Nord Berlin) mit 3:38,04 Minuten. Hinter ihm rangiert sein Vereinskollege Franek Haschke, der mit seinen in Kassel gelaufenen 3:39,18 Minuten immerhin fast eineinhalb Sekunden schneller lief als im vergangenen Jahr.
Carsten Schlangen ist mit seiner Zeit auf Platz 18 in der europäischen Jahresbestenliste, Franek Haschke folgt auf der 30. In der Punkte-Weltrangliste hat Carsten Schlangen 1.129 Zähler gesammelt, was gleichbedeutend mit Rang 46 ist. Sechs Plätze weiter vorne befindet sich mit Stefan Eberhardt (LC Erfurt) ein weiterer Deutscher. Dem Thüringer gelang es im Saisonverlauf elf Punkte mehr zu machen, als dem Deutschen Meister. Mit seinen in Regensburg gelaufenen 3:39,93 Minuten beförderte sich Stefan Eberhardt auf Platz vier der diesjährigen europäischen U23-Rangliste.
Die Bilanz 2006
Bei der Europameisterschaft konnten weder René Herms, noch Carsten Schlangen das Finale erreichen. Beide schieden im Vorlauf aus. Vor allem der Pirnaer enttäuschte mit seinem Auftritt. Das angepeilte Finale erwies sich für ihn als nicht erreichbar. "Die Leistung in diesem Jahr und auch in Göteborg war absolut indiskutabel. Die Athleten sind selbst am unzufriedensten. Da haben wir einfach eine große Chance vertan", sagt DLV-Disziplintrainer Henning von Papen kritisch über den Saisonverlauf.
Dabei sind die Leistungen der einzelnen Läufer sicherlich unterschiedlich einzustufen. Carsten Schlangen ist auf internationalem Parkett noch unerfahren. "Er ist nicht so frech und unbekümmert gelaufen, wie er das sonst bei nationalen Rennen tut. Eine solche Angehensweise hätte bestimmt fürs Finale gereicht", glaubt Henning von Papen.
Nach zwei relativ schwachen Jahren für deutsche Mittelstreckenläufer wäre die Europameisterschaft eine gute Möglichkeit gewesen, sich zu rehabilitieren. "Die EM hat gezeigt, dass man mit machbaren Zeiten gute Platzierungen erreichen konnte", findet der DLV-Disziplintrainer.
Dieser stellt aber weiter fest, dass das Abschneiden auf der Mittelstrecke auch viel mit andauerndem Verletzungspech zu tun hatte: "Nils Schumann (LG Eintracht Frankfurt) war gut in die Saison gestartet, da konnte man eigentlich bei seinem Typ annehmen, dass er sich noch steigern würde. Das hat seine Verletzung aber nicht zugelassen."
Für René Bauschinger (LAC Quelle Fürth/München/Würzburg) gilt ähnliches. Er war gut in Form gekommen, lieferte mit 1:47,04 Minuten in Nürnberg eine ansprechende Zeit und schaffte es damit immerhin auf Platz elf der europäischen U23-Bestenliste über 800 Meter. Dann hielten ihn jedoch Allergieprobleme von einer weiteren Steigerung ab.
Über die 1.500 Meter stellt sich die Situation genauso dar. Sowohl der oft angeschlagene Wolfram Müller (LG Asics Pirna), als auch Toni Mohr (LC Cottbus) und Stefan Eberhardt waren in dieser Saison von gesundheitlichen Problemen geplagt, die bessere Leistungen verhinderten.
2006 war demnach für die deutschen Mittelstreckenläufer ein Jahr, in dem sie sich fast durchweg unter Wert verkauften.
Die Chancen 2007
Das kommende Jahr bietet allgemein durchaus Anlass zu Hoffnung, glaubt DLV-Trainer Henning von Papen: "Es gibt genügend Leute, die die WM-Normen, sowohl über 800, als auch 1.500 Meter laufen können. Die Personaldecke ist sicherlich immer noch dünn und einige Läufer sind noch recht unerfahren, aber wir haben viele Athleten mit einer guten Entwicklung."
Carsten Schlangen verbesserte seine Vorjahresbestzeit um ganze zwei Sekunden. Sollte ihm auch im kommenden Jahr eine weitere Leistungssteigerung möglich sein, könnte ihm der Anschluss an die erweiterte Weltspitze gelingen. Er konnte die EM nutzen, um internationale Erfahrung zu sammeln, die er im kommenden Jahr verwerten kann.
Vor allem der Nachwuchsbereich lässt auf eine starke Saison 2007 spekulieren. Gute Resultate von jungen Läufern können auch dazu dienen, die etablierten Läufer vom Erfolgsdruck zu entlasten.
Speziell René Herms, der in Göteborg noch einen der schwärzesten Tage seiner Karriere hatte, wird darauf brennen, sein wahres Leistungsvermögen unter Beweis zu stellen.
Die Hoffnungsträger
Mit Robin Schembera (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Martin Conrad (SC Potsdam) finden sich gleich zwei junge 800-Meter-Läufer, die Chancen besitzen, auf Dauer in die internationale Spitze vorzustoßen. Beide stehen jetzt schon, gefolgt von dem noch jüngeren Sebastian Keiner (LC Erfurt), auf den Plätzen drei und vier der DLV-Jahresbestenliste über 800 Meter.
Bei der Junioren-WM in Peking (China) verpasste Robin Schembera das Finale noch knapp. Aufgrund von schweren Magenbeschwerden musste er sich nach einem souveränen Vorlauf im Halbfinale mit dem dritten Platz begnügen. Seine Zeit aus Mannheim von 1:47,29 Minuten reicht aber, um ganz vorne im Junioren-Bereich mitzuhalten. Auch Martin Conrad und Moritz Waldmann (LG Hannover) konnten in diesem Jahr ähnliche Zeiten abliefern.
Martin Conrad, René Bauschinger und Moritz Waldmann, der sich künftig auf die 1.500 Meter konzentrieren will, bilden 2007 einen starken Juniorenblock. Dahinter kommt mit dem 17-jährigen Sebastian Keiner ein weiteres großes Talent nach.
FRAUEN
Wo stehen die DLV-Asse international?
Über die 800 Meter-Distanz konnte Monika Gradzki (TV Wattenscheid 01) ihre persönliche Bestzeit um fast eine Sekunde, auf 2:00,16 Minuten, verbessern. Die weltweit Jahresschnellste, Janeth Jepkosgei (Kenia), war mit 1:56,66 Minuten aber immer noch dreieinhalb Sekunden schneller als die Wattenscheiderin. Mit 1.158 Zählern steht Monika Gradzki auf Platz 38 der Punkte-Weltrangliste.
Monika Gradzki scheiterte bei der Europameisterschaft mit 2:03,64 Minuten bereits im Vorlauf. Eine weitere Mittelstrecklerin konnte der DLV nicht nach Göteborg entsenden.
Antje Möldner (SC Potsdam) lief mit 4:11,23 Minuten zwar erneut die schnellste deutsche 1.500-Meter-Zeit, allerdings schaffte sie es nicht zur EM und blieb gut zweieinhalb Sekunden unter ihrer letztjährigen Bestzeit. Mit dieser Zeit fehlen ihr 15 Sekunden bis in die internationale Spitze, eine große Distanz. Die internationale Bestenliste wird von Yuliya Chizhenko (Russland) mit 3:55,68 Minuten angeführt. Dort liegt Antje Möldner mit ihrer Zeit auf Rang 86.
Die Bilanz 2006
Monika Gradzkis 800 Meter-Bestzeit ist zwar ein deutlicher Sprung nach oben, allerdings fehlt ihr, wie auch Antje Möldner, die Konstanz. "Eigentlich hätte ich dieses Jahr schon erwartet, dass Antje Möldner unter 4:08 Minuten läuft. Auch bei Monika Gradzki sollte eine Zeit von unter zwei Minuten drin sein. Beide können in der Theorie die Zeit laufen, aber es fehlt wohl vor allem im mentalen Bereich", konstatiert DLV-Disziplintrainerin Beate Conrad. Es mangelt beiden Läuferinnen an der nötigen Konstanz. Ein Rennen auf internationalem Niveau mitlaufen zu können, verlangt einfach die Fähigkeit, stabil Leistungen abzurufen.
"Bei Antje Möldner kommt hinzu, dass sie im vergangenen Jahr noch als absoluter Nobody gehandelt wurde. Da konnte sie noch befreit auflaufen. Dieses Jahr wurden die gleichen Leistungen von ihr verlangt, damit ist sie nicht perfekt zurecht gekommen", beschreibt die Potsdamer Trainerin das Problem ihres Schützlings.
2006 war kein befriedigendes Jahr für die deutschen Mittelstrecklerinnen. Sowohl Antje Möldner, als auch Monika Gradzki waren mit ihren gezeigten Leistungen nicht zufrieden und hoffen auf die nächste Saison, um sich zu rehabilitieren.
Die Chancen 2007
"Es fehlt in Deutschland schlicht an der Konkurrenz. Mit 2:10 Minuten kommt man nicht in internationale Meetings. Alleine ist es aber nicht einfach, eine gute Zeit zu laufen. In Lausanne kann man sogar als Zehnte noch eine Topzeit bringen", sagt die DLV-Disziplintrainerin. Sollte Kerstin Werner (TV Wattenscheid 01) der Anschluss an Antje Möldner, bei den Deutschen Meisterschaften konnte sie schon einen Überraschungssieg landen, gelingen, so wären die Läuferinnen in Deutschland nach dem Rücktritt der Potsdamerin Kathleen Friedrich immerhin wieder zu zweit.
Das Bild bei den Europameisterschaften dürfte auch in etwa dem der WM im kommenden Jahr entsprechen: "Die Europäerinnen sind auf der Mittelstrecke das Maß aller Dinge. Dazu kommen nur wenige außereuropäische Läuferinnen, so dass wir schon bei der EM immer die höchste Konkurrenz haben", stellt die Trainerin fest. Aus der geringen Athletendichte folgt, dass von den wenigen verbleibenden immer Höchstleistungen erwartet werden. Ein Ausfall kann von keiner anderen Läuferin kompensiert werden.
"Für 2007 kann man nur planen, die bisherigen Probleme analysieren und hoffen, dass sie abgestellt werden können", meint Beate Conrad weiter. Die WM-Normen sollten sowohl Monika Gradzki, als auch Antje Möldner schaffen können. Aber auch einigen anderen Läuferinnen kann man bei einem guten Saisonverlauf die Qualifikationsnormen zutrauen.
Monika Gradzki wird in den nächsten beiden Jahren bei der Bundeswehr beschäftigt sein, sodass ihr wohl zusätzliche Trainings- und Regenerationszeiten zur Verfügung stehen. Dies schlägt dann möglicherweise positiv auf ihre Leistung durch.
Auch Antje Möldner hat einige Änderungen vor sich. Im Moment lernt sie noch konzentriert für ihre Prüfung bei der Bundespolizei. Besteht sie diese, kann sie im nächsten Jahr wenigstens beruflich befreit auflaufen. Daneben haben sie und ihre Trainerin sich für eine Trainingsplanänderung entschieden. Es wird mehr über die längeren Distanzen gelaufen und sich voll auf die 1.500 Meter konzentriert. Ausflüge auf die 800 Meter-Strecke fallen aus.
Die Hoffnungsträgerinnen
Es gibt trotz der schweren Situation einige Läuferinnen, die möglicherweise demnächst den Durchbruch schaffen könnten. Annett Horna (TSV Bayer 04 Leverkusen) lief sich über 800 Meter mit 2:03,03 Minuten auf Platz drei der europäischen Junioren-Bestenliste. "Annett Horna hat natürlich ein schweres Jahr vor sich. Der Umschwung vom Jugend- in Richtung Junioren- und Erwachsenen-Bereich ist immer schwierig. Er bringt auch viele private und berufliche Veränderungen mit sich, die erstmal gemeistert werden müssen", sagt die DLV-Disziplintrainerin. Wenn Annett Horna dieser Umstieg gut gelingt, kann sie sich längerfristig weit nach vorne laufen.
Auf den 1.500 Metern finden sich gleich drei Läuferinnen, die gemeinsam den Jugendbereich verlassen. Neben Annett Horna sind dies Denise Krebs (TG Heilbronn) und Cornelia Schwennen (SV Concordia Emsbüren). Denise Krebs steht mit 4:18,35 Minuten nicht nur auf Platz drei der deutschen Jugend-Bestenliste, sondern ist auch Dritte bei den Erwachsenen. "Sie hat sich gut vorgestellt, ist in Regensburg eine tolle Zeit gelaufen, konnte diese dann aber nicht wiederholen", beschreibt Beate Conrad hier die Situation.
Es bleibt zu hoffen, dass dem Trio den Sprung in den Erwachsenenbereich unbeschadet gelingt und die niedrige Personaldecke im Mittelstreckenbereich etwas verstärkt.