leichtathletik.de-Analyse - Speerwurf Männer
Die Olympische Leichtathletik-Saison 2008 ist Geschichte. Sowohl mit Enttäuschungen als auch mit freudigen Überraschungen im Gepäck kehrten die Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) aus Peking (China) zurück. leichtathletik.de nimmt die einzelnen DLV-Disziplinbereiche unter die Lupe, macht eine Momentaufnahme, bilanziert das Jahr 2008, blickt voraus auf 2009 und stellt die aktuellen Hoffnungsträger vor.
Wo stehen die DLV-Asse international?Wenn man allein die Weltjahresbestenliste nimmt, dann sieht es für die deutschen Speerwerfer gar nicht so schlecht aus. Stephan Steding (Hannover 96) liegt auf Platz 16, Alexander Vieweg (SV schlau.Com Saar 05 Saarbrücken) auf Platz 18. Peter Esenwein (LAZ Salamander Kornwestheim/Ludwigsburg) als 23. und Matthias de Zordo (SV schlau.Com Saar 05 Saarbrücken) als 24. platzieren sich kurz dahinter.
„Schlecht aber ist, dass wir solche Positionen nicht bestätigen können, wenn es darauf ankommt“, schätzt DLV-Disziplintrainer Ralf Wollbrück ein. „Der Abstand zur Weltspitze ist, wenn man den Jahreshöhepunkt, das heißt die Olympischen Spiele in Peking, betrachtet, riesig, aber das ist meines Erachtens keine realistische Einschätzung, weil einfach diese Plätze, die dort zustande gekommen sind, überhaupt nichts darüber aussagen, was die Athleten können. Was mich freut, ist, dass junge Athleten wie Alexander Vieweg und Matthias de Zordo mit in die deutsche Spitze eingedrungen sind, und deshalb kann man auch nicht sagen, dass wir uns nicht entwickelt haben. Das Problem ist, dass man zum richtigen Zeitpunkt in der Lage sein muss, sich gegen die gleichwertige Konkurrenz durchzusetzen bzw. auch mal gegen stärkere Konkurrenz, und das schaffen wir bisher nicht oder eben nur bei einzelnen Meetings.“
Die Bilanz 2008
Stephan Steding liegt in der deutschen Bestenliste mit 83,50 Metern auf Platz eins, aber er hat eine unstabile Saison hinter sich. Er lieferte zu dem Zeitpunkt, als es galt, sich für Olympia zu qualifizieren, zwei gute Wettkämpfe ab, warf in Dessau und Zeulenroda die Norm. Zwischendurch aber hatte er einige schwache Auftritte, so bei den Deutschen Meisterschaften. „Auch wenn es in Nürnberg schwierige Witterungsbedingungen gab, muss ein solcher Athlet sich dann gegen die deutsche Konkurrenz durchsetzen“, meint Ralf Wollbrück.
Vor Peking hatte Stephan Steding Ellenbogen- und Schulterprobleme, die dann auch zum Finale nicht hundertprozentig behoben waren. So enttäuschte er mit 70,05 Metern, aber er kam wie auch Alexander Vieweg nicht mit dem Regen im „Vogelnest“ zurecht. Das Ganze war im Grunde deckungsgleich mit Nürnberg, denn auch in Peking waren die Witterungsbedingungen schlecht, vielleicht noch schlechter. „Aber er war nicht in der Lage, sich auf solche Bedingungen einzustellen“, analysiert Ralf Wollbrück.
Ähnlich schlechte Erfahrungen mit dem Wetter machte auch Alexander Vieweg, der zweite Olympia-Teilnehmer, in Peking. Er war nachnominiert worden, als er einige Tage nach Ablauf des Qualifikationszeitraumes seine zweite Norm geworfen hatte. „Er ist ein junger Athlet, der sich in diesem Jahr bewährt hat und eine gute Entwicklung genommen hat. Deshalb stand ich voll hinter der Nominierung“, meint Ralf Wollbrück. Beim Abschlusstraining im japanischen Vorbereitungslager warf er kurz vor der Abreise nach Peking Weiten zwischen 81 und 83 Metern, allerdings bei normalen Bedingungen. Er war also in Form, was er auch nach Peking in Thum mit einem 82-Meter-Wurf bewies.
Das Vermögen war da, aber im entscheidenden Wettkampf wurde das nicht umgesetzt. Mit 67,49 Metern schied er in der Qualifikation aus. Sein Heimtrainer Boris Henry hat für das Versagen allerdings eine einleuchtende Erklärung, die eben mit dem Regen zusammenhängt.
„Es lag nicht an Alexander, sondern an mir als Trainer. Ich habe ihn nicht richtig auf die Regensituation vorbereitet. Wir hatten im Vorfeld wenig Wettkämpfe mit Regen. Zwar habe ich in Japan das Thema Regen angesprochen, auch noch Kleber gekauft. Aber wir wussten nicht, ob man den Kleber zuerst aufsprayen muss, oder ihn erst anbringt, wenn der Speer schon nass ist. Und wir wussten auch nicht, ob der Kleber hält, wenn schon Magnesium dran ist. Mein Fehler war, dass wir nicht alles ausgetestet haben. In der Quali war es dann so, dass die Speere nass waren und mit dem Magnesium vermischt gab das solch eine Mischung, dass man gar keinen Halt mehr am Speer bekam.“
So hatte Alexander Vieweg nach Ansicht seines Trainers praktisch keine Chance, weiter zu werfen, obwohl er in Topform war. Die Lehren aus dem Wetterdebakel werden sicherlich gezogen, und nochmals dürfte ein solches Malheur nicht passieren.
Pech hatte in diesem Jahr auch Peter Esenwein. Er zog sich zum ungünstigsten Zeitpunkt wieder eine Adduktorenverletzung zu, nach dem Europacupsieg in Annecy (Frankreich). Er flog anschließend zu einem Meeting nach Göteborg (Schweden) und merkte dort schon beim Einwerfen diese Verletzung, zog deshalb dann im Wettkampf auch nicht voll durch.
„Die Verletzung muss er sich schon in Annecy zugezogen haben, dort, wo auch viele andere Athleten mit dem Untergrund Probleme hatten und weggerutscht sind“, mutmaßt Ralf Wollbrück. Peter Esenwein hatte mit 82,82 Metern nur einmal die Norm geschafft, wollte es ein zweites Mal in Nürnberg bei den Deutschen Meisterschaften versuchen, aber scheiterte dort an den äußeren Bedingungen. Auch weitere Versuche bei zwei Auslandsmeetings brachten dann keinen Erfolg, sodass er nicht für Olympia nominiert werden konnte.
Matthias de Zordo hat 2008 erneut eine erfreuliche Entwicklung genommen und setzte damit den Trend von 2007 fort, als er bereits glänzte. Er packte wieder vier Meter drauf, kam bei 82,51 Metern an. Das war zu Beginn der Saison beim Werfermeeting in Halle/Saale die Olympianorm (82,00 m). Anschließend bekam er Schulterprobleme, die er dann immer mit sich herumschleppte. „Mal waren sie weg, mal kamen sie wieder“, erinnert sich sein Heimtrainer Boris Henry. Der traf dann gemeinsam mit ihm die vernünftige Entscheidung, ihn bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg nicht werfen zu lassen, um seine weitere Entwicklung, auch in Richtung 2009, nicht zu gefährden.
Tino Häber (LAZ Leipzig) hat sich auf einem Niveau stabilisiert, welches der Ausgangspunkt für den Weg in die deutsche Spitze ist. „Für ihn kommt es nun darauf an, dass er aus der Masse der guten Wettkämpfen nun einen Qualitätssprung macht, so drei bis vier Meter drauflegt“, meint Ralf Wollbrück. „Er hatte immer mal ungültige Würfe dabei, die viel weiter waren als seine Saisonbestweite von 80,71 Meter. In fünf Wettkämpfen warf er 80 Meter, war damit der stabilste Athlet in diesem Jahr.“
Manuel Nau (SCC Berlin) lieferte auf jeden Fall eine stabile Saison ab, aber eben nicht auf dem Niveau, auf dem er sich bewegen müsste. „Er hat größere Potenzen, wird aber immer wieder durch viele kleine Dinge behindert, die sich durch die Saison ziehen“, urteilt Ralf Wollbrück.
Stefan Wenk (VfL Sindelfingen) ist in diesem Jahr ein wenig abgetaucht und wenig in Erscheinung getreten. So blieb er bei 75,53 Metern hängen. Christian Nicolay (TV Wattenscheid 01) litt nach einer Ellenbogen-Operation unter den Nachwirkungen und hatte viele schwache Wettkämpfe. Zum Ende der Saison steigerte sich noch auf 75,37 Meter und machte sich damit Mut für 2009.
Fabian Heinemann (SC Magdeburg) hat sich wieder herangekämpft, steigerte seine Bestleistung von 73,50 auf nun 78,83 Meter. In Schönebeck hatte er einen mit 80,26 Metern vermessenen Versuch, der aber ungültig gegeben wurde, weil er auf die Linie fasste. Aber dieser Wurf zeigte zumindest seine Möglichkeiten, an die gerade sein Heimtrainer Ralf Wollbrück nach wie vor glaubt.
Mark Frank (1. LAV Rostock) hatte das ganze Jahr wegen der Ellenbogenverletzung , die er sich im Jahr 2007 vor dem Europacup zugezogen hatte, pausiert, ist aber jetzt wieder auf dem Wege der Besserung.
Mit Franz Burghagen (LG Nike Berlin) rangiert mit 77,18 Metern ein deutscher Athlet auf Platz zwei der aktuellen U20-Weltbestenliste, aber beim Saisonhöhepunkt, der U20-WM in Bydgoszcz (Polen), warf er mit 67,42 Metern zehn Meter weniger und flog in der Qualifikation heraus. Eine Woche später zeigte er bei den Deutschen Jugend-Meisterschaften in Berlin seine beste Leistung, eben die 77,18 Meter. Das Pech klebte aber weiter an seinen Fersen, denn inzwischen zog er sich einen Kreuzbandriss zu, der ihm einige Monate Zwangspause bringt.
Zweiter DLV-Athlet in Polen war Maik Dolch (Hallesche Leichtathletik-Freunde), ein Schützling von Maria Ritschel. Auch der Hallenser hatte kein Glück, flog mit 67,51 Metern in der Qualifikation raus. Eine Woche später warf er in Berlin den Speer auf 72,95 Meter, also fünf Meter weiter.
Maximilian Buchholz (SC Magdeburg), von Armin Lemme trainiert, steigerte sich im Laufe der Saison um fünf Meter zum Vorjahr, warf am 9. Juli in Halle/Saale 75,03 Meter, konnte aber mit Franz Burghagen und Maik Dolch nicht mithalten und schaffte deshalb nicht den Sprung zur U20-EM.
Die Chancen 2009
Seit dem 1. Oktober 2008 hat nun Boris Henry die Verantwortung für den A/B-Kader als DLV-Trainer übernommen, und damit die Verantwortung für die Vorbereitung der Erwachsenen für die WM und der jüngeren Athleten für die U23-EM. Ralf Wollbrück ist künftig für den Nachwuchs, also die Athleten der Alterklassen U20 und U18 verantwortlich. Seine Hauptaufgabe wird er in seiner Tätigkeit beim Landesverband Sachsen-Anhalt und als Stützpunkttrainer in Magdeburg haben.
Boris Henry geht voller Optimismus in die Saison 2009. Die Qualifikationsnorm für die WM in Berlin wird bei 81 Metern liegen, aber diese Weite wird wohl nicht reichen. „Ich denke vielmehr, dass zwischen vier und sieben Athleten über 81 Meter werfen, dabei zumindest zwei zwischen 84 und 86 Meter und der dritte dann zwischen 83 und 85 Metern.“ Zu seinen Kandidaten zählt er Stefan Steding, Alexander Vieweg, Matthias de Zordo, Peter Esenwein, Tino Häber, Mark Frank, wenn er gesund ist, und außerdem Manuel Nau. „Bei letzterem sind zwar einige skeptisch, ob er es packen kann, aber er hat wohl nun seine gesundheitlichen Probleme im Griff, so dass ich auch mit ihm rechne.“
Insgesamt ist sich Boris Henry sicher, dass sich die deutschen Speerwerfer 2009 besser als im bescheidenen Jahr 2008 aufstellen werden. „Wenn man Weiten von 84 bis 86 Meter wirft, dann kann man auch bei der Medaillenvergabe mitreden, zumindest im Kampf um Bronze.“ Hinzu wird kommen, dass die Athleten die Stimmung im Stadion für sich nutzen werden. „Ich habe selbst beim ISTAF mehrmals dort geworfen, und fand das Ganze spektakulär und atemberaubend. Und wenn dann die deutschen Zuschauer besonders auch für die eigenen Athleten Stimmung machen, wird das so motivieren, dass vielleicht einige über sich hinauswachsen können.“
Für die U23-EM in Kaunas (Litauen) ist Matthias de Zordo der Topkandidat. Auch ein Doppelstart, das heißt in Kaunas und später in Berlin, wäre für ihn nach Aussage seines Heimtrainers Boris Henry möglich. Der nächste Kandidat wäre normalerweise Franz Burghagen, aber bei ihm muss man die Heilung nach seiner Kreuzbandoperation abwarten. Als dritter Athlet kommt Maximilian Buchholz in Frage.
Für die U20-EM in Novi Sad (Serbien) hat Maik Dolch die besten Aussichten, sich zu qualifizieren. Neben ihm aber gibt es laut DLV-Trainer Ralf Wollbrück einige andere junge Athleten, die zuletzt bei den Deutschen Jugend-Meisterschaften in Berlin weit warfen.
Dazu gehören Till Wöschler (LAZ Zweibrücken) aus dem ehemaligen Verein von Alexander Vieweg, dann Peter Göbel (SV schlau.com Saar 05 Saarbrücken), der bei Boris Henry trainiert. Von den 91er Jahrgängen ist mit Andreas Hofmann (MTG Mannheim) und Patrick Hess (LG Staufen), der inzwischen auch einige Trainingseinheiten mit Peter Esenwein machte, zu rechnen.
Für die U18-WM in Brixen (Italien) ist Adrian Richter (SV Medizin Eberswalde) der heißeste Kandidat. Er hat sich in diesem Jahr sehr gut entwickelt, blieb mit 74,22 Metern nur knapp unter dem deutschen Jugend-Rekord von David Klaus (LG Wetzlar; 74,88 m). Trainiert wird er von Herwig Biering, der in seiner aktiven Zeit 1970 mit dem alten Speer 82,56 Meter geworfen hatte.
Die Hoffnungsträger
Beim Blick auf die Hoffnungsträger betont Boris Henry, dass seine beiden Schützlinge Alexander Vieweg und Matthias de Zordo mit 22 bzw. 20 Jahren noch jung sind, „in einem solchen Alter fing ich meine Karriere erstmal an.“
Aber nicht nur auf diese beiden setzt der neue DLV-Trainer. „Auch Tino Häber und Stephan Steding (Anm: beide Jahrgang 1982) sind noch nicht so alt, dass man sie zum alten Eisen zählen könnte. Ich hoffe, dass wir in ein, zwei Jahren, spätestens 2012 wieder solch eine starke Truppe haben, dass wir bei der Medaillenvergabe bei Olympia ein gehöriges Wort mitreden können.“
Zurückhaltend äußert sich in diesem Zusammenhang Ralf Wollbrück über Athleten der jüngeren Jahrgänge. „Im Jugendbereich kann man jetzt noch nicht sagen, wie sich die einzelnen Athleten sportlich entwickeln, vor allem aber, wie sie den Übergang ins Berufsleben packen.“ Aber vielleicht kann es ein Adrian Richter schaffen, der gegenwärtig Akzente setzt.
Mehr Analysen:
Sprint Männer
Sprint Frauen
400 Meter Männer
400 Meter Frauen
Mittelstrecke Männer
Mittelstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Hürdensprint Männer
Hürdensprint Frauen
Langhürde Männer
Langhürde Frauen
Hindernis Männer
Hindernis Frauen
Gehen Männer
Gehen Frauen
Weitsprung Männer
Weitsprung Frauen
Dreisprung Männer
Dreisprung Frauen
Hochsprung Männer
Hochsprung Frauen
Stabhochsprung Männer
Stabhochsprung Frauen
Kugelstoßen Männer
Kugelstoß Frauen
Diskuswurf Männer
Diskuswurf Frauen
Hammerwurf Männer
Hammerwurf Frauen