leichtathletik.de-Analyse - Sprint Frauen
Die Olympische Leichtathletik-Saison 2008 ist Geschichte. Sowohl mit Enttäuschungen als auch mit freudigen Überraschungen im Gepäck kehrten die Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) aus Peking (China) zurück. leichtathletik.de nimmt die einzelnen DLV-Disziplinbereiche unter die Lupe, macht eine Momentaufnahme, bilanziert das Jahr 2008, blickt voraus auf 2009 und stellt die aktuellen Hoffnungsträger vor.
Wo stehen die DLV-Asse international?In einer international betrachtet durchwachsenen Saison der deutschen Sprinterinnen stach die Leistung der 4x100-Meter-Staffel des DLV bei den Olympischen Spielen in Peking positiv hervor. Begünstigt durch das Ausscheiden der Staffeln aus Jamaika und den USA belegten Anne Möllinger (MTG Mannheim), Verena Sailer (LAC Quelle Fürth/München), Cathleen Tschirch (LG Weserbergland) und Marion Wagner (USC Mainz) in 43,28 Sekunden Platz fünf.
„Man hat gesehen, wie wichtig das intensive Staffeltraining für das Abschneiden in Peking war“, sagte Thomas Kremer, Bundestrainer Sprint weiblich, rückblickend. „Die Athletinnen hatten schwierige Bedingungen, und einige Nationen konnten dem Druck nicht standhalten. Die Abläufe müssen häufig wiederholt werden, damit in so einer Situation alles klappt.“
Er weiß, dass bei optimalen Wechseln sogar eine bessere Zeit möglich gewesen wäre. Die Saisonbestleistung von 43,25 Sekunden, gleichbedeutend mit Rang sieben in Europa, hatte das Quartett in derselben Besetzung in Monaco aufgestellt. Damit verfehlte die DLV-Staffel auch im Jahr 2008 erneut nur knapp eine Zeit unter 43 Sekunden.
In den Einzelwettbewerben über 100 und 200 Meter konnte der Deutsche Leichtathletik-Verband keine Athletinnen für den Saisonhöhepunkt im Pekinger Vogelnest nominieren. Auch im europäischen Vergleich schaffte keine DLV-Athletin den Sprung in die Top Ten. Beste war in dieser Hinsicht Verena Sailer, die über 100 Meter europaweit Platz 14 belegt.
Beim Europacup in Annecy (Frankreich) vertrat sie auf dieser Strecke die deutschen Farben und wurde in 11,44 Sekunden Achte. Für den Sechs-Nationen-Vergleich DecaNation in Paris (Frankreich) zwei Wochen nach den Olympischen Spielen war Cathleen Tschirch in das DLV-Team berufen worden. Sie belegte in 11,81 Sekunden Rang fünf.
Die Bilanz 2008
Schnellste Deutsche über die 100 Meter war im Jahr 2008 Verena Sailer. Die 23 Jahre alte U23-Europameisterin des Vorjahres verbesserte bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg ihre persönliche Bestleistung auf 11,28 Sekunden und war in der DLV-Staffel an Position zwei eine feste Größe. Die Einzelnormen für Peking (11,23 und 11,25 sec) verfehlte sie um wenige Hundertstelsekunden.
Lediglich drei weitere Sprinterinnen konnten in der Olympia-Saison die 11,50 Sekunden-Marke unterbieten. Eine von ihnen war überraschend die Dreispringerin Karoline Köhler (TV Wattenscheid 01). Sie steigerte sich Ende Juni in Zeulenroda auf 11,49 Sekunden. Als DM-Fünfte (11,57 sec) konnte sie mit einem Platz in der 4x100-Meter-Staffel liebäugeln, musste jedoch schließlich sechs anderen Athletinnen den Vortritt lassen.
Mit einem zweiten Platz in Nürnberg (11,45 sec) sicherte sich Cathleen Tschirch, 2007 Deutsche Meisterin über 200 Meter, ihr Ticket nach Peking. Dabei hatte Ende Juni noch eine leichte Fußverletzung ein Fragezeichen über ihren Gesundheitszustand gesetzt und ihr einen Strich durch den Start in Annecy gemacht. "Es war sehr klug von Cathleen, auf die Teilnahme beim Europacup zu verzichten", lobte Thomas Kremer die Entscheidung der 29-Jährigen, sich für den Saisonhöhepunkt zu schonen.
Anne Möllinger, mit persönlicher Bestleistung von 11,48 Sekunden DM-Dritte, und die erfahrene Marion Wagner, 2001 Staffel-Weltmeisterin, vervollständigten das DLV-Quartett bei den Olympischen Spielen. Als Ersatzläuferinnen wurden Katja Wakan (TV Wattenscheid 01), Deutsche Jahresbeste 2006 und seit 2003 regelmäßiges Mitglied der Nationalstaffel, sowie Mareike Peters (TSV Bayer 04 Leverkusen) nominiert.
Die 22-jährige Mareike Peters nimmt mit 11,54 Sekunden Rang sechs der Deutschen Bestenliste über 100 Meter ein. Auf der doppelten so langen Sprintdistanz war sie im Jahr 2008 sogar die schnellste Deutsche.
Bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg stellte sie im Vorlauf mit 23,52 Sekunden eine persönliche Bestleistung und die deutsche Jahresbestzeit auf. Anderthalb Stunden später sicherte sie sich in Abwesenheit von Titelverteidigerin Cathleen Tschirch, die aus Rücksicht auf den lädierten Fuß nicht an den Start ging, in 23,62 Sekunden erstmals den nationalen Meistertitel. Zweite wurde Karoline Köhler (23,72 sec), die sich in Nürnberg schweren Herzens auf die Sprintdisziplinen beschränkt hatte.
Insgesamt lagen die Spitzenleistungen der DLV-Sprinterinnen über 200 Meter fast eine halbe Sekunde über allen deutschen Jahres-Bestzeiten der vergangenen zehn Jahre. Ein Grund dafür mag die hohe Olympianorm von 22,70 Sekunden gewesen sein, die einige Athletinnen dazu veranlasst haben könnte zu versuchen, sich durch gute Leistungen über die kürzere Distanz für die 4x100-Meter-Staffel zu empfehlen.
Hinzu kam, dass Cathleen Tschirch, die ihre Bestleistung 2007 auf 22,97 Sekunden gesteigert hatte, nur wenige 200-Meter-Rennen bestreiten konnte. Ihre Jahresbestzeit von 23,53 Sekunden stellte sie Ende Mai in Dessau auf. Marion Wagner und Diana Webert (SV Halle) sicherten sich in den DM-Vorläufen mit 23,66 und 23,72 Sekunden die Plätze drei und vier der deutschen Jahres-Bestenliste.
Die Chancen 2009
Hoffnungen auf eine Finalteilnahme bei den Heim-Weltmeisterschaften im Berliner Olympiastadion kann sich vermutlich erneut nur die 4x100-Meter-Staffel machen. Nachdem das intensive Staffeltraining in der Olympiasaison Früchte trug, ist anzunehmen, dass die schnellsten deutschen Sprinterinnen wieder zahlreiche Staffeleinheiten absolvieren werden.
Wenn Verena Sailer ihre 100-Meter-Bestzeit wie schon in den vergangenen Jahren kontinuierlich verbessert, kann sie auch in der Einzel-Konkurrenz mit einer Nominierung liebäugeln. Über 200 Meter sind die Blicke vor allem auf Cathleen Tschirch gerichtet. Bleibt sie verletzungsfrei, kann sie erneut eine Zeit unter 23 Sekunden ansteuern. Thomas Kremer traut beiden Sprinterinnen im kommenden Jahr eine Leistungssteigerung zu.
Mit Spannung erwartet wird das Comeback von Sina Schielke (TV Wattenscheid 01). Die mit 11,21 Sekunden Schnellste des Vorjahres musste die Saison 2007 aufgrund einer Verletzung vorzeitig beenden und legte 2008 eine Babypause ein. Am 31. Juli kam Töchterchen Jaime zur Welt, seit September befindet sich die 27-Jährige (Bestleistung: 11,17 sec) wieder im Training. Bereits im Februar hatte sie angekündigt: „Ich möchte als Mutter bei der WM in Berlin glänzen.“ Auch ihr Heimtrainer Ronald Stein traut ihr dies zu: „Wenn alles gut läuft, ist Berlin für sie sicherlich ein Ziel.“
Die Hoffnungsträger
Bei der U20-WM im polnischen Bydgoszcz galt es für den deutschen Sprintnachwuchs, sich international zu bewähren. Jasmin Kwadwo (TV Wattenscheid 01) ging über 100 Meter an den Start und schaffte es bis ins Halbfinale. Hier verfehlte sie mit einer Zeit von 11,75 Sekunden ihre Bestleistung um neun Hundertstelsekunden und schied aus. Ruth Sophia Spelmeyer (VfL Oldenburg) verbesserte im 200-Meter-Halbfinale ihre persönliche Bestzeit auf 23,81 Sekunden und verpasste nur um eine Hundertstelsekunde den Finaleinzug.
Beide Athletinnen sind auch im kommenden Jahr noch in der A-Jugend startberechtigt. Ihr Hauptaugemerk wird also auf den U20-Europameisterschaften in Novi Sad (Serbien) liegen.
Julia Sutschet (LG Kreis Ahrweiler), 2007 die schnellste Jugendliche über 100 Meter, gewann im ersten Jahr in der Erwachsenen-Klasse auf Anhieb den Titel bei den Deutschen Junioren-Meisterschaften (11,67 sec). Sollte sie sich weiterhin steigern, könnte sie 2009 zur deutschen Spitze aufschließen. Ein Fragezeichen steht über der Leistung von Juliane Stolle (LAZ Leipzig), die schon vor zwei Jahren als 18-Jährige Bestzeiten von 11,66 und 23,39 Sekunden zu Buche stehen hatte. Sie trat im olympischen Jahr kaum in Erscheinung.
Ähnlich verhält es sich mit Jala Gangnus (LG Weserbergland). Die 22-Jährige gilt nach wie vor als eine der großen deutschen Sprinthoffnungen, hatte jedoch in den vergangenen beiden Jahren ständig mit Verletzungen zu kämpfen. Wenn sie ihr Potenzial voll ausschöpfen kann und verletzungsfrei durch die Saisonvorbereitung kommt, ist mit der Deutschen Meisterin von 2006 über 200 Meter eventuell wieder im Jahr der Heim-WM zu rechnen.