leichtathletik.de-Analyse - Sprint Männer
Die Olympische Leichtathletik-Saison 2008 ist Geschichte. Sowohl mit Enttäuschungen als auch mit freudigen Überraschungen im Gepäck kehrten die Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) aus Peking (China) zurück. leichtathletik.de nimmt die einzelnen DLV-Disziplinbereiche unter die Lupe, macht eine Momentaufnahme, bilanziert das Jahr 2008, blickt voraus auf 2009 und stellt die aktuellen Hoffnungsträger vor.
Wo stehen die DLV-Asse international?Nur eine Stunde nachdem die deutsche 4x100-Meter-Staffel der Frauen im Pekinger Vogelnest über Platz fünf jubeln konnte, fiel der Startschuss für das olympische Staffel-Finale der Männer. In der Besetzung Tobias Unger (LAZ Salamander Kornwestheim/Ludwigsburg), Till Helmke (TSV Friedberg-Fauerbach), Alexander Kosenkow (TV Wattenscheid 01) und Martin Keller (LAC Erdgas Chemnitz) sprintete das deutsche Quartett in 38,58 Sekunden ebenfalls auf den fünften Rang.
„Dieses Ergebnis war sicherlich ein Highlight der Saison“, bewertet Ronald Stein, einer der DLV-Disziplintrainer im Bereich Kurzsprint männlich, die Leistung seiner Schützlinge. „Es war seit 20 Jahren das erste Mal, dass wir uns für ein Finale bei Olympischen Spielen qualifizieren konnten.“ 1988 in Seoul (Südkorea) hatte es eine DLV-Staffel das letzte Mal unter die besten Acht geschafft, damals stand schließlich Platz sechs als Ergebnis zu Buche.
Dass es sogar noch schneller geht als im olympischen Endlauf, bewiesen die vier Sprinter beim Europacup im französischen Annecy, als sie in 38,30 Sekunden nur um eine Hundertstelsekunde am deutschen Rekord aus dem Jahre 1982 vorbeischrammten. Zwar wurde die siegreiche Staffel anschließend aufgrund einer Linienübertretung disqualifiziert, doch sie hatte eindrucksvoll ihr Potenzial angedeutet. Auch mit der nur wenig langsameren Saisonbestzeit von 38,48 Sekunden, gelaufen in Monte Carlo (Monaco), belegt das DLV-Quartett im europäischen Vergleich Rang zwei.
Im olympischen 100-Meter-Einzelwettbewerb vertrat „Schwabenpfeil“ Tobias Unger die deutschen Farben. Er überstand in 10,46 Sekunden knapp den Vorlauf und konnte sich im Zwischenlauf auf 10,36 Sekunden steigern. Hier war jedoch für ihn Endstation. Auch beim Europacup war er für die kurze Sprintstrecke nominiert und holte für das deutsche Team als Dritter (10,37 sec) wertvolle Punkte. Über die 200-Meter-Distanz musste Alexander Kosenkow (20,61 sec) ebenfalls nur zwei Läufer an sich vorbeiziehen lassen.
Bester deutscher Sprinter im europäischen Vergleich war jedoch ein dritter Athlet: Daniel Schnelting vom LAZ Rhede. In Weinheim lief er bereits im Mai 20,53 Sekunden über 200 Meter und sicherte sich damit als einziger deutscher Sprinter einen Platz unter den Top Ten in Europa (9.). Zwei Plätze hinter ihm folgt Alexander Kosenkow, über die Hälfte der Distanz sortierte sich Tobias Unger auf Rang 13 ein.
Die Bilanz 2008
Insgesamt setzte sich der Aufwärtstrend im deutschen Männersprint auch in der Saison 2008 fort. „Wenn man den Dreier- und Zehner-Schnitt der besten deutschen Sprinter betrachtet, wird deutlich, dass wir einen weiteren Schritt nach vorne gemacht haben“, betont Ronald Stein. Fünf Athleten boten über die 100 Meter Zeiten von 10,30 Sekunden und schneller an, alle deutschen Top-Ten-Sprinter blieben unter 10,50 Sekunden.
Ein fulminanter Start in das Olympia-Jahr gelang Tobias Unger. In seinem ersten Saisonrennen Anfang Juni sprintete er bis auf eine Hundertstelsekunde an seine 100-Meter-Bestzeit heran. Bei 10,17 Sekunden blieben für ihn die Uhren bei der Sparkassen-Gala in Regensburg stehen. Nur drei Wochen später machte er in Biberach mit einer Zeit von 10,22 Sekunden frühzeitig die Olympianominierung perfekt.
Der deutsche Rekordhalter über 200 Meter (20,20 sec) hatte zu Beginn des Jahres angekündigt, sich auf die kürzere Sprintstrecke konzentrieren zu wollen. Aufgrund von Achillessehnen-Problemen waren ihm längere Tempoläufe in der Saisonvorbereitung schwer gefallen. Die Umstellung seines Trainings trug schnell Früchte: Seit 2005 war er über 100 Meter nicht mehr so schnell gelaufen.
Auch bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg kam am deutschen Jahresbesten niemand vorbei. In 10,20 Sekunden gewann er zum zweiten Mal nach 2005 den Titel über die 100 Meter. In seinem Windschatten ins Rampenlicht rückte dabei Stefan Schwab (TSV Schwarzenbek). Der 21-Jährige hatte bereits im Vorlauf seine Bestleistung auf 10,31 Sekunden geschraubt und wurde im Finale mit einer erneuten Steigerung auf 10,29 Sekunden DM-Zweiter.
Da er im Frühjahr nicht an den DLV-Staffel-Maßnahmen teilgenommen hatte, wurde der Norddeutsche zwar nicht für die olympische 4x100-Meter-Staffel nominiert, konnte aber zeigen, dass in Zukunft mit ihm zu rechnen ist. Bei den Deutschen Junioren-Meisterschaften sicherte er sich in 10,36 Sekunden den Titel vor Sebastian Fricke (TV Gladbeck) und Aleixo-Platini Menga (TSV Bayer 04 Leverkusen) - einem weiteren jungen Sprinter, der in der vergangenen Saison auf sich aufmerksam machte.
Der Leverkusener absolvierte ebenfalls bereits Anfang Juni in Regensburg seinen besten Wettkampf, als er sich auf 10,27 Sekunden steigerte. Sein Lohn: Eine Einladung zum DKB ISTAF in Berlin als Ersatz für Tobias Unger, zuzurechnen der Kategorie „Erfahrungen sammeln“. Beim ersten Kräftemessen mit der internationalen Sprintelite hatte er als einziger deutscher Vertreter in 10,65 Sekunden erwartungsgemäß deutlich das Nachsehen.
Auch Martin Keller (LAC Erdgas Chemnitz) gehört zu den jungen deutschen Athleten, die sich in der nationalen Spitze etablieren konnten. Nachdem er bereits bei der EM 2006 in Göteborg (Schweden) als Ersatzläufer für die 4x100-Meter-Staffel nominiert worden war, erwies er sich zwei Jahre später im Quartett als feste Größe. Als Schlussläufer durfte er in Peking das Staffelholz über die Ziellinie tragen.
Beim Europacup war der 22-Jährige ebenfalls an den Start gegangen und hatte dort in 10,29 Sekunden den B-Lauf gewonnen. Eine Woche darauf steigerte er seine Bestleistung in Zeulenroda auf 10,23 Sekunden – und schrammte nur eine Hundertstelsekunde an der B-Norm für die Olympischen Spiele vorbei. „Auf den letzten Metern kam eine Windböe von vorne, das hat mich die Norm gekostet“, sagte er anschließend und schickte mit Blick auf die Deutschen Meisterschaften zugleich eine Kampfansage an Tobias Unger, die er allerdings nicht ganz in die Tat umsetzen konnte. Mit Platz drei (10,32 sec) ging er in die Ergebnislisten ein.
Das DLV Staffel-Quartett vervollständigten die erfahrenen Alexander Kosenkow und Till Helmke. Alexander Kosenkow, der seit 2001 an allen Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen teilgenommen hat, beschrieb das Abschneiden in Peking anschließend als den größten Erfolg seiner Karriere: „Mit Platz fünf haben wir alle unsere Zielsetzungen erreichen können.“
Der an Position drei als Kurvenläufer eingesetzte Wattenscheider brachte seine beste Einzelleistung im Olympiajahr über die 200 Meter, wo er in 20,57 Sekunden dicht an seine Bestzeit heran lief. Ebenfalls über die längere Sprintdistanz tat sich als DM-Vierter auch Till Helmke hervor. Seinen Vorjahres-Platz an der Spitze der deutschen Bestenliste musste er allerdings an ein weiteres aufstrebendes Talent abtreten: Daniel Schnelting (LAZ Rhede).
Obwohl erst 22 Jahre alt, konnte er in Nürnberg bereits zum zweiten Mal in Folge den Deutschen Meistertitel über 200 Meter feiern. Gerne hätte er dort noch einen zweiten Grund zum Jubeln gehabt, nämlich das Unterbieten der Einzelnorm für die Olympischen Spiele. Das regnerische Wetter machte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung: „Bei besseren Verhältnissen wäre auf jeden Fall die Norm drin gewesen. Aber der Sieg stand erstmal im Vordergrund.“
Die Chancen 2009
Erklärtes Ziel für die Saison 2009 ist zunächst der Angriff auf den deutschen Staffelrekord. „Mit einer Zeit unter 38,30 Sekunden ist bei der Heim-WM ein Platz zwischen drei und sechs möglich“, sagt Ronald Stein. „Wir absolvieren bereits seit zwei Jahren ein sehr intensives Staffeltraining. Dabei arbeiten wir eng zusammen mit dem Trainingswissenschaftler Dr. Ralf Buckwitz vom Olympiastützpunkt in Berlin und dem Biomechaniker Rolf Graubner von der Uni Halle.“
Wenn die deutschen Top-Sprinter fit und unverletzt die kommende Saison bestreiten können, werden die zuständigen Bundestrainer für die Staffelbesetzung die Qual der Wahl haben: „Dieser zunehmende Konkurrenzkampf ist im Hinblick auf die Entwicklung der Einzelleistungen sicherlich positiv zu bewerten.“ Neben den bereits erwähnten Routiniers und jungen Talenten wollen sich auch Christian Blum (LAC Quelle Fürth/München) und Julian Reus (TV Wattenscheid 01) im Jahr der Heim-WM wieder zu Wort melden.
Christian Blum, Jahresschnellster 2007, hatte in diesem Jahr mit einer hartnäckigen Oberschenkel-Verletzung zu kämpfen, die ihm die Teilnahme im Kampf um die Olympiatickets unmöglich machte. Wenn er wieder zu alter Form zurück findet, ist für ihn wie schon im Jahr 2007 eine Einzelnominierung für die Weltmeisterschaften möglich.
Julian Reus ist mit 20 Jahren der Jüngste im Bunde der deutschen Sprint-Asse und hatte in seinem ersten Jahr in der Erwachsenenklasse ebenfalls mit Verletzungspech zu kämpfen. Mit seiner 100-Meter-Bestzeit von 10,28 Sekunden sowie dem U20-Europameister-Titel über 200 Meter hatte er im Vorjahr bereits eindrucksvoll bewiesen, dass für ihn bei der Heim-WM nicht nur eine Rolle als Zuschauer in Frage kommt.
Die Hoffnungsträger
Dass es einem auch in Zukunft um den deutschen Männersprint nicht bange sein muss, bewies im Jahr 2008 Robert Hering (TuS Jena). Der 18-Jährige gewann bei der Junioren-WM im polnischen Bydgoszcz überraschend die Bronze-Medaille über 200 Meter. Mit seinen 100- und 200-Meter-Bestzeiten von 10,47 und 20,78 Sekunden schaffte er bereits in seiner ersten A-Jugend-Saison den Sprung in die deutschen Top Ten.
Die Heim-WM in Berlin ist Motivation und Druck zugleich. Es bleibt abzuwarten, wer aus der Gruppe der „Jungen Wilden“ im kommenden Jahr das Olympiastadion als Teilnehmer betreten darf. Vielen von ihnen ist es, zumindest als Mitglied der Staffel, zuzutrauen.
Weitere Analysen:
Sprint Frauen