leichtathletik.de-Analyse - Sprint Männer
Das Leichtathletik-Jahr 2006 ist Geschichte. Die deutsche Szene war dabei vor allem von einer erfolgreichen EM in Göteborg (Schweden) gekennzeichnet. leichtathletik.de nimmt die einzelnen DLV-Disziplinbereiche unter die Lupe, macht eine Momentaufnahme, bilanziert das Jahr 2006, blickt auf 2007 voraus und stellt die aktuellen Hoffnungsträger vor.
Ronny Ostwald schaffte es ins EM-Finale (Foto: Kiefner)
Wo stehen die DLV-Asse international?"Für die Sprintstaffel der Männer ist 2006 im Vergleich zu 2004 und 2005 eine rückläufige Tendenz zu verzeichnen." Festmachen konnte Ronald Stein, der verantwortliche Staffeltrainer des DLV, das sowohl an den gelaufenen Zeiten als auch den erreichten Plazierungen. "2005 wurde die Staffel WM-Siebter in 38,48 Sekunden und mit dieser Zeit lag man in der europäischen Bestenliste an dritter Stelle. Normalerweise wären wir mit einem solchen Niveau in Göteborg ganz weit vorn gewesen. Aber aus den unterschiedlichsten Gründen gelang das nicht. Die meisten Athleten erreichten in Göteborg nicht ihre Bestform, oder waren, wie Tobias Unger, wegen Verletzung überhaupt nicht dabei." So sind die Zeit von 39,38 Sekunden (Vorlauf 38,94 sec) und der fünfte Platz von Göteborg zu erklären. " Es fehlten einfach die Einzelleistungen, um ganz vorn mitlaufen zu können."
Im Einzelwettbewerb über 100 Meter war allein Ronny Ostwald (TV Wattenscheid 01) dabei, der sich in Deutschland klar als schnellster Sprinter behauptet hatte und auch in Göteborg als Achter die von ihm erwartete Leistung brachte. Alle anderen waren über 100 Meter im Vergleich zu den beiden vorhergehenden Jahren langsamer.
Auch über 200 Meter war die Tendenz rückläufig. Sebastian Ernst (TV Wattenscheid 01) und Till Helmke (TSV Friedberg-Fauerbach) konnten sich seit 2004 zeitlich nicht verbessern, Tobias Unger (LAZ Salamander Kornwestheim/Ludwigsburg) musste den Sommer abschreiben. In Göteborg verpasste Sebastian Ernst das Finale knapp.
Die Bilanz 2006
Die Staffel in Göteborg wurde Fünfte, und damit musste man letztendlich zufrieden sein, nachdem man zuvor beim Europacup in Malaga (Spanien) in 40,05 Sekunden nur Siebter geworden war und einen herben Rückschlag erlitten hatte. " Wir haben noch das Beste daraus gemacht, aber eine Chance vertan, denn solch ein Wettkampf im europäischen Maßstab bringt am ehesten die Chance, eine Medaille zu erringen", analysiert Ronald Stein.
Ronny Ostwald (TV Wattenscheid 01) konnte 2006 eine positive Entwicklung nachweisen. "Nachdem er 2005 mehr oder weniger pausiert hatte bzw. nicht in Form kam, hat er 2006 mit den 10,24 Sekunden von Regensburg und dem achten Platz bei der EM an sein altes Leistungsniveau angeknüpft", lautet das Urteil seines Heimtrainers Ronald Stein, der auch noch die Wattenscheider Kollegen Alexander Kosenkow, Marc Blume, Jan-Christopher Schulte und den Hürdensprinter David Filipowski unter seinen Fittichen hat.
Marius Broening (LAV asics Tübingen) lief in der Halle über 60 Meter mit 6,69 Sekunden noch persönliche Bestzeit. Nach der Hallensaison wechselte er den Trainer, ging zu Mihai-Marius Corucle, der auch Tobias Unger betreut. Wenn man zu einem neuen Trainer kommt, braucht man immer etwas Zeit, um sich an ein neues Trainingssystem, an neue Trainingsmethoden zu gewöhnen. Aber bei ihm waren vor allem Beugerprobleme der ausschlaggebende Grund, warum er im Sommer nicht die erhofften Zeiten lief. Trotzdem lieferte er in Göteborg zwei gute Staffelrennen ab.
Alexander Kosenkow hatte im Dezember 2005 einen doppelten Bänderriss erlitten, musste deshalb die komplette Hallensaison aussetzen. Zudem brach er sich im April einen Zeh und brauchte dann lange, um überhaupt in Gang zu kommen. Im letzten Moment lief er sich bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm in die Staffel hinein. Aber insgesamt konnte er sich wegen der gesundheitlichen Probleme nicht weiterentwickeln.
Stefan Wieser (TSV Bayer 04 Leverkusen), 2005 kampfstarker U23-EM-Dritter in Erfurt, lief in Regensburg mit 10,33 Sekunden noch persönliche Bestzeit, konnte danach aber an diese Leistung nicht mehr anknüpfen und verpasste in Ulm als Sechster den Sprung in die EM-Staffel.
Der junge Martin Keller (LAC Erdgas Chemnitz) zeigte eine gute Saison, entwickelte sich vielversprechend weiter und füllte auch seine Rolle als Ersatzmann der Staffel in Göteborg bestens aus. Zum Saisonschluss holte er sich in Bautzen noch den Titel bei den Junioren. Mit 10,34 Sekunden ist er schon fast oben angekommen, und wenn er sich in diesem Bereich stabilisiert, dann ist weiter mit ihm zu rechnen.
Sebastian Ernst kam als guter Kurvenläufer mit in die EM-Staffel. Seine Einzelambitionen liegen weiterhin vor allem auf den 200 Metern. Auf dieser Distanz wurde er Deutscher Meister und war auch in Göteborg am Start, verpasste nur knapp den Einzug ins Finale.
Dessen Rivale Till Helmke kam relativ mühsam in die Saison und verpasste auch den Sprung nach Göteborg. Etwas versöhnend dann der Saisonabschluss als 200-Meter-Meister bei den Junioren in 20,70 Sekunden, aber das kam eben zu spät. Doch damit zeigte er wieder fast alte Qualitäten.
Daniel Schnelting (LAZ Rhede) war lange Zeit verletzt, startete dann nur in Ulm, wurde über 200 Meter Zweiter und holte damit als Nachwuchsathlet die Fahrkarte nach Göteborg. Dort lief er einen passablen Vorlauf, verletzte sich dann aber wieder und musste auf den Zwischenlauf verzichten.
Christian Blum (LAC Quelle Fürth/München/Würzburg) kam bei der Junioren-WM in Peking (China) über 100 Meter ins Halbfinale, war aber wie manch anderer von den äußeren Gegebenheiten in seinem Leistungsvermögen beeinträchtigt, und verfehlte das Finale. Julian Reuss (Erfurter LAC) hielt sich in Peking über 200 Meter achtbar, verpasste nur knapp den Einzug ins Finale. Die von diesen beiden angeführte Staffel kam ins Finale, verpatzte dort aber den letzten Wechsel und musste aufgeben.
Die Vorschau 2007
Das erste Ziel der Sprinter wird in diesem Jahr die Hallen-EM in Birmingham (Großbritannien) sein. Mit Ronny Ostwald, Marius Broening, Alexander Kosenkow, Marc Blume und Christian Blum stehen einige heiße Kandidaten dafür bereit. Die Norm von 6,66 Sekunden sollte dabei nicht das unüberwindbare Hindernis sein.
Hauptziel aber sind die Weltmeisterschaften in Osaka (Japan). "Wichtig ist erstmal, dass sich unsere Staffel qualifiziert", meint der Staffelverantwortliche Ronald Stein. "Die Norm liegt bei 38,80 Sekunden und das sollte machbar sein. Aber wir haben immer nur zwei bis drei Möglichkeiten, um diese Zeit zu laufen." Auf das Hintertürchen, dass auch zwei Athleten, die die Einzelnorm laufen, ausreichen würden, um einen Start der Staffel zu ermöglichen, will sich der Trainer nicht verlassen.
"Um ganz nach vorn mit hineinlaufen zu können, brauchen wir in diesem Jahr wieder schnelle Einzelzeiten über 100 Meter und 200 Meter. Allein mit guten Wechseln ist kein Blumentopf zu gewinnen, geschweige denn eine Medaille." Wobei die Konkurrenz bei der Weltmeisterschaft und nachfolgend auch bei Olympia 2008 in Peking immer stärker wird. Für dieses Jahr erwähnt Ronald Stein noch einen weiteren Anreiz, schnelle Staffelzeiten anzubieten. "Für Olympia 2008 in Peking werden die 16 nationalen Sprintstaffeln eingeladen, das heißt die Staffeln, die in den Jahren 2007 und 2008 die schnellsten Zeiten angeboten haben. Die beiden schnellsten Zeiten aus diesen Jahren werden addiert, daraus das Mittel gezogen und damit muss man unter den 16 Besten landen."
Schwieriger wird es für die deutschen Sprinter, sich für die 100 Meter zu qualifizieren. 10,21 Sekunden ist eine harte Norm, die man nicht alle Tage läuft. "Aber ich hoffe, dass wir trotzdem einen oder zwei Athleten am Start haben werden." Über 200 Meter liegt die Norm bei 20,59 Sekunden. "Da wird es eher möglich sein, drei Athleten auf dieses Niveau zu bringen. Mit Tobias Unger, Sebastian Ernst , Till Helmke, Daniel Schnelting, vielleicht auch Alexander Kosenkow, wenn der mal wieder auf dieser Strecke antritt, stehen einige aussichtsreiche Kandidadaten in den Startlöchern", schaut Ronald Stein voraus.
Für Marc Blume (TV Wattenscheid 01) wird es definitiv die letzte Saison als Leichtathlet werden, ehe er es im Bobsport probieren will. "Er wird natürlich noch mal versuchen, in der Halle gut abzuschneiden und sich im Freien in die WM-Staffel hineinzulaufen", meint sein Heimtrainer Ronald Stein.
Für einen Start bei der U23-EM kommen nach jetzigem Stand mindestens folgende sechs Athleten in die engere Wahl: Martin Keller, Aleixo-Platini Menga (SC Langenfeld), Christian Blum, Daniel Schnelting, Stefan Schwab (TSV Schwarzenbek) und Nils Müller (TSG Friedberg-Fauerbach). Die Staffel hat dort auf alle Fälle Medaillenchancen. Aber auch die eine oder andere Einzelmedaille über 100 oder 200 Meter ist möglich.
Das Aushängeschild für die U20-EM ist der Erfurter Julian Reus (Jg. 88), der schon 2006 stark war, und der mit einer ordentlichen Leistungsentwicklung in der Lage sein müsste, über 100 oder 200 Meter ins Finale laufen zu können.
Die Hoffnungsträger
"Es gibt nicht den besonderen Hoffnungsträger oder den überragenden Sprinter, wie es etwa Tobias Unger in seinem bisherigen Glanzjahr 2005 war", erklärt Ronald Stein. "Alle gegenwärtigen Spitzenathleten sind noch relativ jung, abgesehen vielleicht von Ronny Ostwald und Alexander Kosenkow, die aber auch noch das Potential haben, vorn mit hineinzulaufen."
Das macht Hoffnung, vor allem in den Staffeln in den nächsten Jahren gute Platzierungen erreichen zu können. " 2004 sind wir bei Olympia in Athen Neunter geworden, haben um einen Platz das Finale verpasst . Unser Ziel muss es also sein, sowohl in Osaka als auch 2008 in Peking im Finale zu stehen. Das wird natürlich immer schwerer, weil die Konkurrenz immer stärker wird und alles noch enger zusammenrückt. Auch die anderen Nationen haben die Chance entdeckt, mit der Staffel Medaillen zu holen und legen deshalb mehr Wert auf intensives Staffeltraining."
Auf den Hinweis auf die WM 2009 in Berlin reagiert Staffelchef Ronald Stein mit einem Lächeln: "In Berlin eine Medaille holen, das wäre nicht schlecht", meint er und ist sich der Schwere dieser Aufgabe bewusst. Doch in der Staffel ist nichts unmöglich, und ohne hohe Ziele kann man auch keine Höhen nicht erreichen.
Und ein weiteres Ziel nennt der Trainer: "Ich hoffe, dass der deutsche Staffel-Rekord von 38,29 Sekunden in den nächsten drei Jahren verbessert wird. 2004 waren wir ja mit 38,30 Sekunden schon ganz dicht dran." Die Bestzeit, gelaufen von einer DDR-Staffel, stammt aus dem Jahr 1982 und gilt damit als Uraltrekord.