leichtathletik.de-Analyse - Stabhoch Frauen
Die Olympische Leichtathletik-Saison 2008 ist Geschichte. Sowohl mit Enttäuschungen als auch mit freudigen Überraschungen im Gepäck kehrten die Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) aus Peking (China) zurück. leichtathletik.de nimmt die einzelnen DLV-Disziplinbereiche unter die Lupe, macht eine Momentaufnahme, bilanziert das Jahr 2008, blickt voraus auf 2009 und stellt die aktuellen Hoffnungsträger vor.
Wo stehen die DLV-Asse international?Ähnlich wie bei den männlichen Disziplinkollegen stellt sich auch im Frauen-Stabhochsprung selten die Frage, wie viele Springerinnen zum Saisonhöhepunkt mitgenommen werden. Unklar ist eher, welche der zahlreichen Kandidatinnen letztendlich nominiert werden. Mit Carolin Hingst (USC Mainz), Silke Spiegelburg (TSV Bayer Leverkusen) und Anastasija Reiberger (ABC Ludwigshafen) schickte der DLV drei der erfahrensten Athletinnen zu den Olympischen Spielen nach Peking.
Anastasija Reiberger, mit 31 Jahren die Älteste im Bunde, schied hier in der Qualifikation aus. Carolin Hingst und Silke Spiegelburg überquerten im Finale beide 4,65 Meter, die Mainzerin mit einem Fehlversuch weniger, was gleichbedeutend mit den Plätzen sechs und sieben war. Nur zusehen konnten sie später, als die überragende Yelena Isinbayeva (Russland) über die neue Weltrekordhöhe von 5,05 Metern flog und sich ungefährdet den Olympiasieg sicherte.
Die deutsche Saisonbestleistung von 4,70 Metern geht auf das Konto von Silke Spiegelburg, die diese Höhe gleich zwei Mal meisterte, zuletzt als Siegerin des Weltfinales in Stuttgart im September. Damit schaffte sie es als Zehnte weltweit in die Top Ten. In der U23-Altersklasse kam keine andere Athletin so hoch hinaus wie die 22-Jährige. Carolin Hingst reihte sich wenig dahinter auf Platz zwölf der Weltjahresestenliste ein. Im kontinentalen Vergleich bedeuten diese Leistungen Platz sechs bzw. acht.
Hinter diesen beiden Athletinnen klafft eine kleine Lücke. Mit übersprungenen 4,52 Metern folgen Kristina Gadschiew (LAZ Zweibrücken) und Martina Strutz (SG Dynamo Schwerin), die damit aber auch noch zu den Top 30 weltweit (24.) gehören und in Europa als Zwölfte nur knapp die Top Ten verfehlten.
Die Bilanz 2008
Der scheidende Disziplintrainer Herbert Czingon zeigt sich zufrieden mit den Leistungen der Stabhochspringerinnen im Olympiajahr: „Auf breiter Front ist eine Aufwärtsentwicklung zu erkennen. Sieben Athletinnen sind 4,50 Meter und höher gesprungen, das ist ein enormes Leistungsniveau, das nur wenige Disziplinen im DLV aufweisen. Auf diesen Erfolg kann man stolz sein. Schließlich konnte ganz am Ende der Saison mit Silke Spiegelburg sogar noch eine Athletin in der absoluten Weltspitze mitmischen.“
Die U20-Weltrekordhalterin erlebte trotz ihrer erst 22 Jahre in Peking bereits die zweiten Olympischen Spiele. Im Vergleich zu Athen (Griechenland) steigerte sie sich im „Vogelnest“ um sechs Plätze, haderte aber anschließend trotzdem ein wenig mit dem nur knapp gerissenen ersten Versuch über 4,70 Meter.
Die Zufriedenheit mit dem Erreichten stellte sich jedoch schnell ein, und spätestens beim Weltfinale in Stuttgart bewies sie, dass sie mit den Besten der Welt mithalten kann. In einem Stechen mit der Polin Monika Pyrek behielt sie die Nerven und überquerte als Erste 4,67 Meter, nachdem sie zuvor im regulären Wettbewerb schon 4,70 Meter gesprungen war. Der verdiente Lohn: ein Scheck über 30.000 US-Dollar.
Ebenfalls zum zweiten Mal bei Olympischen Spielen dabei war Carolin Hingst. Die Mainzerin verfolgte hartnäckig der Ruf, bei Großveranstaltungen regelmäßig Opfer ihrer Nerven zu werden, doch diesen Unkenrufen konnte sie in der Saison 2008 endgültig den Kampf ansagen. Erst holte sie sich bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg den nationalen Titel, dann sprang sie in Peking bis auf einen Zentimeter an ihre Bestleistung heran und damit zum größten Erfolg ihrer Karriere.
Herbert Czingon hatte schon im Vorfeld damit gerechnet, dass es diesen beiden Athletinnen gelingen würde, das Olympiaticket zu lösen: „Silke war ja schon im Alter von 18 Jahren dabei, und Caro gehört seit Jahren zur Weltspitze. Für sie freut es mich besonders, dass sie ihr Leistungsvermögen in einem Top-Wettkampf abrufen konnte. Neben diesen beiden hätten vier, fünf andere Springerinnen das Potenzial gehabt, in Peking dabei zu sein.“
Der dritte Olympiaplatz war also hart umkämpft. In Nürnberg waren gleich vier weitere Athletinnen am Start, die im Vorfeld mindestens einmal die zweimal zu erfüllende Norm von 4,50 Meter gemeistert hatten. Etwas überraschend gelang hier Anastasija Reiberger das Kunststück, diese Höhe erneut zu überqueren und zugleich mit der Vize-Meisterschaft die Nominierung dingfest zu machen. Sie war aufgrund einer Schulterverletzung spät in Form gekommen und erst fünf Tage vor den Titelkämpfen zum Kreis der Kandidatinnen für Peking hinzugestoßen.
„Sie hat sehr diszipliniert und gut gearbeitet und ich bin nicht unzufrieden mit ihrer Leistung“, bilanziert Coach Herbert Czingon, obwohl für die gebürtige Omskerin im „Vogelnest“ schon in der Qualifikation das Aus kam.
Während Anastasija Reiberger in Nürnberg überglücklich Platz zwei bejubelte, zerplatzten für ihre 20 Jahre alte Schwester Lisa Ryzih (ABC Ludwigshafen), Martina Strutz und Kristina Gadschiew die Olympiahoffnungen. Alle drei konnten im Jahr 2008 ihre Bestleistungen steigern, Lisa Ryzih (4,50 m) sogar um 15 und Kristina Gadschiew (4,52 m) um zwölf Zentimeter.
Für zwei weitere große Hoffnungsträgerinnen war die Freiluft-Saison dagegen schon beendet, bevor sie richtig begann: Julia Hütter (LAZ Bruchköbel) und Anna Battke (USC Mainz), Erste und Zweite der Hallen-DM in Sindelfingen, holte das Verletzungspech heim.
Julia Hütter, 2007 drittbeste Deutsche, wurde mit neuer Bestleistung von 4,60 Metern zum zweiten Mal in Folge Deutsche Hallenmeisterin. Im Mai konnte sie mit übersprungenen 4,50 Metern auch im Freien nahtlos an die gute Form des Vorjahres anknüpfen. Nur zwei Wochen später landete sie bei einem missglückten Sprungversuch im Einstichkasten und verletzte sich schwer am linken Knie und rechten Fuß. Der Traum der Olympiateilnahme war ausgeträumt, es folgten zwei Operationen und eine lange Phase der Rehabilitation, die erst im kommenden Jahr abgeschlossen sein wird.
Anna Battke steigerte ihre Bestmarke in der Halle auf 4,50 Meter und feierte als Achte der Hallen-WM in Valencia (Spanien) ihren ersten großen Einsatz im Nationaltrikot. Im Freien überquerte sie Anfang Juni in Regensburg 4,40 Meter, bevor ihr wenig später eine Entzündung der Achillessehne so starke Schmerzen verursachte, dass sie eine längere Trainings- und Wettkampfpause einlegen musste. Mit ihrer Leistung aus dem Vorjahr, in dem sich die 23-Jährige auf 4,56 Meter steigerte, hätte auch sie gute Chancen gehabt, in Peking dabei zu sein.
Die Chancen 2009
„Das erklärte Ziel für 2009 ist der deutsche Rekord“, lautet die eindeutige Zielvorgabe Herbert Czingons für die kommende Saison. Er selbst wird in seiner neuen Position als Cheftrainer Field dann allerdings nicht mehr direkt für die Stabartistinnen verantwortlich sein.
„In gewissem Maße habe ich zwar weiter einen Trainerjob, aber meine Aufgabe ist es eher, mit den Heim- und Disziplintrainern zusammenzuarbeiten. In den kommenden Wochen und Monaten werde ich viel unterwegs sein, um die Athleten der Nationalmannschaft und ihre Betreuer besser kennenzulernen“, erklärt er und fügt hinzu, dass ihm der Trainingsalltag in einer vertrauten, eingeschworenen Truppe wie zuletzt in Mainz sicher fehlen wird.
Die deutsche Bestmarke von Annika Becker liegt bei 4,77 Metern und stammt aus dem Jahr 2002. Als erste der potenziellen Rekordjägerinnen drängt sich sicherlich Silke Spiegelburg auf. Herbert Czingon hat aber insgesamt sogar acht bis zehn Athletinnen im Auge, denen im kommenden Jahr der Sprung in die Weltspitze gelingen kann. Die Startplätze für den Saisonhöhepunkt, die Weltmeisterschaften in Berlin, werden also auch 2009 nicht minder umkämpft sein.
Zu den Kandidatinnen für eine WM-Teilnahme rechnet der ehemalige Disziplintrainer neben den Leistungsträgerinnen des Olympiajahres auch die hoffentlich wieder genesenen Julia Hütter und Anna Battke.
„Julia und Anna gehören, was die Schnelligkeit betrifft, auch international zu den vielversprechendsten Springerinnen. Sie müssen sich vor allem im technischen Bereich verbessern. Für Julia ist es wichtig, dass sie sich Schritt für Schritt auf ihre Genesung konzentriert und eine gewissenhafte Regeneration betreibt. In der Halle wird sie sicher nicht an den Start gehen, und auch im Freien muss man mit den Erwartungen an sie vorsichtig sein. Langfristig traue ich es beiden Springerinnen durchaus zu, wieder in den internationalen Leistungsbereich vorzustoßen.“
Die Hoffnungsträgerinnen
Vier der deutschen Top-Ten-Springerinnen gehörten 2008 noch der U23-Altersklasse an, drei weitere Athletinnen sind unter 25 Jahre alt. Die Jüngste von ihnen ist Ann-Kathrin Schwarz. Die 19-Jährige aus der Talentschmiede des LAZ Zweibrücken schraubte ihre Bestleistung auf 4,25 Meter, was bei der U20-WM in Bydgoszcz (Polen) zu Bronze gereicht hätte. Hier scheiterte sie allerdings schon bei 4,10 Metern und wurde Zehnte. Ihre ein Jahr jüngere Vereinskameradin Natasha Benner übersprang diese Höhe und belegte Rang sieben.
Mit der 21-jährigen Denise von Eynatten (LG Leinfelden-Echterdingen) gehörte eine weitere Nachwuchsathletin zu den zehn besten deutschen Springerinnen, auch wenn sie mit 4,27 Metern nicht ganz an ihre Bestleistung aus dem Vorjahr (4,30 m) herankam.
Die Liste junger Athletinnen, die nachrückt, ist lang. „In der Jugend sind wir sehr, sehr gut und breit aufgestellt. Uns muss also um die Zukunft nicht bange sein“, blickt Herbert Czingon voraus. „Hier möchte ich aber mit konkreten Prognosen vorsichtig sein. Zunächst ist es wichtig, die Betreuung vor Ort sicherzustellen. Bei hoffnungsvollen Talenten kann es immer zu Turbulenzen kommen, die nicht leicht aufzulösen sind. Deswegen müssen vor allem stabile Bedingungen hergestellt werden.“
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