Linda Stahl - Peking-Ente olympisch
Erst U23-Europameisterin und wenig später im Konzert der Großen bei den Weltmeisterschaften in Osaka (Japan) ein beachtlicher achter Platz - das Jahr 2007 war ohne Zweifel ein sehr erfolgreiches für Speerwerferin Linda Stahl (TSV Bayer 04 Leverkusen). Nächster Schritt in der noch jungen Laufbahn der 22-Jährigen sollen die Olympischen Spiele in Peking (China) werden. Dass sie den Sprung nach Asien packen wird, darauf hat sie sogar schon gewettet.
In den „Westfälischen Nachrichten“ hat sie diese Wette abgeschlossen, die natürlich nicht ganz so ernst gemeint ist, was auch der Wetteinsatz zeigt, den sie im Falle eine Niederlage einlösen würde: „Eine Peking-Ente im Münsterschen Zoo suchen.“ Das sie die Enten aber lieber in Peking suchen würde, ist klar. Der erste Schritt dazu soll bei den Halleschen Werfertagen am Wochenende getan werden.„Das Ziel ist die Norm von 60,50 Metern“, sagt sie. Ob sie gleich wieder in den Bereich ihrer Bestweite von Osaka kommt, als sie in der Qualifikation 62,80 Meter warf, oder an die 62,34 Meter anknüpfen kann, die sie im Januar beim Flutlichtwerfen in Köln erzielte, bezweifelt sie. „Die Erwartungen sind nicht ganz so hoch. In der Vorbereitung habe ich Probleme mit dem Rücken gehabt. Das hat mich ein paar Wochen gekostet.“
Die Rückenprobleme haben die Medizinstudentin auch daran gehindert die mündliche Physikums-Prüfung wie ursprünglich geplant im März abzulegen. Die soll jetzt im September nachgeholt werden. Den schriftlichen Teil, vor dem ihre Angst größer war, hat sie schon erfolgreich hinter sich gebracht. Den Spagat zwischen Sport und dem arbeitsintensiven Medizinstudium will sie auf alle Fälle meistern, auch wenn das eine oder andere Trainingslager dadurch flachfallen muss.
Pause kommt gelegen
Dennoch ist sie sie froh, dass sie im Sommersemester aufgrund der nicht abgelegten Physikumsprüfung frei hat. „Die Pause kommt mir sehr gelegen“, gesteht sie und das nicht nur im Hinblick auf die Olympischen Spiele. In den letzten eineinhalb Jahren bestand das Leben der 1,75-Meter großen Athletin nur aus Training, Lernen und Veranstaltungen an der Universität. Mit einem normalen Studentenleben in dem auch mal Feiern und freie Stunden ihren Platz finden, hatte das nur wenig zu tun.
Hinzu kommt das Pendeln von ihrem Studienort Münster nach Leverkusen zum Training. 140 Kilometer müssen jedes Mal zurückgelegt werden. Dem Auto ihres Vaters sei Dank, dass das auch schon mal in 55 Minuten gelingt. Dennoch bedeutet die Fahrerei eine Belastung, auch in finanzieller Hinsicht, Spritkosten von 300 bis 400 Euro fallen dabei monatlich an. Einen Studienplatztausch im Oktober nach Köln soll dieses Problem lösen.
Vater ist wichtigste Stütze
Der Vater ist nicht nur Bereitsteller eines fahrbaren Untersatzes, sondern auch privat enorm wichtig für Linda Stahl. „Mein Vater ist die wichtigste Stütze was den Sport angeht. An ihm lass ich meinen Stress aus“, erzählt sie, denn dieser kann gut zuhören, was vielleicht daran liegt, dass er wie Mutter Stahl und der 24-Jährige Bruder Lehrer ist. In dieser „Lehrerfamilie“ fällt sie mit ihrem Medizinstudium schon ein klein wenig aus der Art. „Mein Vater hat mir gesagt, dass ich so geschickt mit den Händen bin und deswegen Chirurgin werden soll“, erzählt sie lachend, wenn man sie nach ihrer Entscheidung für Medizin fragt.
In Blomberg im Kreis Lippe ist Linda Stahl aufgewachsen. Handball, die Stadt beherbergt einen Frauen-Bundesligaverein, wird hier groß geschrieben. Und so führte der Weg zur Leichtathletik auch bei Linda Stahl über den Umweg mit dem kleinen runden Lederball. Erst mit dem Wechsel zur LG Lippe Süd, dem auch die Mehrkämpferin Claudia Tonn angehörte, änderte sich das. „Ohne spezifisches Training habe ich dann mit dem Speer 46 Meter geworfen.“ Der Beginn der Speerwurf-Karriere für Linda Stahl, die sie 2003 in die Trainingsgruppe von Helge Zöllkau nach Leverkusen führte. „Wenn er da ist, habe ich so eine Ruhe vor dem Wettkampf, aber zugleich weiß ich, dass ich was zeigen muss. Das ist die optimale Mischung“, beschreibt sie das Verhältnis zu ihrem Coach.
Richtig oder gar nicht
Pendeln war auch schon 2003 an der Tagesordnung. Die schulische Ausbildung ging vor und so mussten rund 220 Kilometer nach Leverkusen zum Training zurückgelegt werden. Bis sie so richtig gezeigt hat, was sie drauf hat, dauerte es eine ganz Weile. „Ich war immer so eine Mitläuferin“, gesteht sie freimütig. Besonders schmerzhaft ist die Erinnerungen an die Halleschen Werfertage 2004, als Vereinskameradin Annika Suthe (damals TV Mettingen) 61,38 Meter warf, und Linda Stahl nicht über 47,88 Meter hinauskam. „Jetzt machst du es richtig oder gar nicht“, war damals ihr Gedanke gewesen.
Diese Einstellung zahlte sich aus. Im gleichen Jahr wurde sie Deutsche A-Jugend-Meisterin. Im Folgejahr dann eine Steigerung auf 53,94 Meter und 2006 gleich früh in der Saison eine Verbesserung auf 57,17 Meter, die im weiteren Verlauf auch bedingt durch den Abiturstress nicht mehr bestätigt werden konnte. Die Entwicklung im vergangenen Jahr betrachtet sie dann auch sehr nüchtern: „Es war für mich kein so großer Sprung.“
„Hotel Nerius“
Wobei der Saisonbeginn unter keinem guten Stern stand. Eine Ellbogenverletzung verhinderte ihren Start in Halle. Der Ärger über die verpassten Wettkämpfe, sie konnte erst wieder im Juni werfen, gab ihr aber zusätzliche Motivation und sorgte dann bei den U23-Europameisterschaften für eine Leistungsexplosion im Finale, die sie mit 62,17 Metern zur Goldmedaille führte. Die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte fand dann bei den Weltmeisterschaften statt. In der Qualifikation trumpfte sie mit 62,80 Metern auf, im Finale belegte sie Platz acht mit 61,03 Metern.
Dabei profitierte sie von der Erfahrung ihrer Teamkameradin Steffi Nerius. „Sie war in Osaka eine gute Stütze für mich, ich konnte bei ihr sehen, wie sie sich auf den Wettkampf vorbereitet“, erzählt sie. Das Verhältnis zur 13 Jahre älteren Europameisterin ist gut. „Wenn ich an zwei Tagen hintereinander in Leverkusen zum trainieren bin, übernachte ich auch mal bei ihr.“
Wie es nach der „Standortbestimmung“ Halle weitergeht, will die deutsche U23-Rekordlerin erst im Anschluss planen. Im Sommer sollen dann auf jeden Fall die Olympischen Spiele in Peking auf dem Programm stehen. Allein schon, weil sich Peking-Enten im Zoo Münster nur schwer finden lassen werden.