| Porträt

Lisa Nippgen: Die Sprint-Aufsteigerin der Hallensaison

Lisa Nippgen, die für das LAZ Ludwigsburg startet und in Mannheim beim baden-württembergischen Landestrainer Valerij Bauer trainiert, hat einen traumhaften Winter hinter sich, mit zwei Medaillen bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund. Die Weichen sind voll auf Spitzensport gestellt, die Ziele ambitioniert – auch wenn die 21-Jährige in kleinen Schritten denkt.
Thorsten Eisenhofer

Vom 60-Meter-Finale der Deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund im Februar ist den meisten Zuschauern wohl der <link video:17955>phänomenale Lauf von Tatjana Pinto (LC Paderborn) in Erinnerung, die in der Weltklasse-Zeit von 7,06 Sekunden siegte. Lisa Nippgen denkt noch an etwas anderes zurück: Wie sie nach dem Rennen, bei dem es hinter Pinto sehr eng zugegangen war, im Innenraum stand, und auf der Anzeigetafel kein Ergebnis erschien. Ewig lang, so hat es jedenfalls Lisa Nippgen empfunden.

Irgendwann kam dann die Hallensprecherin Julia Nestle zu ihr und gratulierte. Lisa Nippgen brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass es eine Gratulation zu einem Medaillenrang war, sie in 7,40 Sekunden Rang drei belegt hatte. Nippgen sagt, es ist nicht leicht, die damals empfundene Freude heute in Worte zu fassen, so groß war sie: „Ich konnte es gar nicht glauben.“

Zwei überraschende DM-Medaillen

Sie hat sicherlich von den Ausfällen von Gina Lückenkemper (TSV Bayer 04 Leverkusen), Lisa Mayer (Sprintteam Wetzlar) und Rebekka Haase (LV 90 Erzgebirge) profitiert, die in der Jahresbestenliste alle vor ihr platziert waren. Aber sie nutzte die Chance, die sich plötzlich auftat – auch das muss man erst einmal schaffen, zumal sie die zweitjüngste Athletin im Feld war und einige deutlich erfahrenere Konkurrentinnen neben ihr im Startblock saßen.

„Ich habe versucht, mir keinen Druck zu machen, bewusst nicht versucht, alles perfekt zu machen. Dann wäre es nichts geworden“, sagt Nippgen. Sie nutzte einfach die Gunst der Stunde. Wie auch am Folgetag über 200 Meter. Sie gewann Silber (23,93 sec), steht aber in der Jahresbestenliste „nur“ auf Rang sechs. Plötzlich hatte sie – recht überraschend – zwei DM-Medaillen. „Ich habe ein paar Tage gebraucht, um das zu realisieren“, sagt Lisa Nippgen.

Dabei hatte sie für den Winter gar nicht so große Erwartungen. Nicht über die 60 Meter, weil ihr Start nicht gut ist. Und auch nicht über die 200 Meter, „weil wir nicht so viele Tempoläufe gemacht haben“. Doch schon nach dem Trainingslager auf Teneriffa merkte Nippgen, dass die Form stimmte. Und gleich im ersten Wettkampf, den baden-württembergischen Landesmeisterschaften in Mannheim, rannte sie über 200 Meter eine persönliche Bestzeit (23,85 sec). „Dann lief es halt“, versucht Nippgen zu erklären, dass es in der sportlichen Karriere Phasen gibt, in denen man gar nicht so genau sagen kann, warum alles zusammenpasst.

Studienort nach dem Trainer ausgesucht

Dass es so gut lief, daran hat Mannheim beziehungsweise ihr Trainer Valerij Bauer sicherlich einen großen Anteil. „Valerij ist ein mega guter Trainer“, sagt Nippgen über den Sprint-Experten, der Verena Sailer 2010 zum EM-Titel über 100 Meter führte. Lisa Nippgen suchte sich den Studienort nicht nach dem Renommee der Universität aus. Sondern nach dem Renommee des Trainers. Sie studierte zuerst ein Jahr in Ludwigshafen Controlling, wechselte dann im September 2017 an die Universität Mannheim. Dort studiert sie nun Unternehmens-Jura und wird auch durch ein Sportstipendium unterstützt.

Lisa Nippgen kann nun das machen, was sie sich schon als Kind erträumt hatte. „Ich habe früh gewusst, dass ich Leistungssportlerin werden will“, sagt sie. Schon während ihrer Schulzeit wechselte sie deswegen auf ein Sport-Gymnasium nach Ludwigsburg und schloss sich 2011 dem LAZ an. In diesem Jahr zog sie sich jedoch ein Knochenödem mit Haarriss zu, hatte Wasser im Knochen. Ein Orthopäde eröffnete ihr damals, es werde wohl nichts mehr mit dem Spitzensport. Ein Schockmoment.

Die Prognose bewahrheitete sich zwar nicht – aber die kommenden Jahre waren trotzdem nicht einfach, immer wieder war Nippgen verletzt: „Irgendwann hatte ich nur noch Angst, mich wieder zu verletzen. Aber aufgeben wollte ich nicht.“ Warum auch? Sie schaffte es in den verletzungsfreien Phasen in Endläufe bei Deutschen Jugendmeisterschaften.

Zwei internationale Einsätze in Bydgoszcz

2016, ihre letzte Saison in der U20, war dann das erste Jahr seit Langem ohne Blessuren. Und es wurde gleich ein richtig gutes. Die Sprinterin belegte Rang drei über 100 Meter bei der U20-DM und wurde für die U20-WM im polnischen Bydgoszcz nominiert – wenn sie in der Staffel auch Ersatzläuferin blieb. 2017 qualifizierte sie sich, für sich selbst überraschend, für die U23-EM, die ebenfalls wieder in Bydgoszcz stattfand, und belegte über 100 Meter Rang sieben. In der Staffel wurde sie nicht eingesetzt. „Ich hatte eigentlich schon auf einen Staffelstart gehofft“, sagt Nippgen: „Aber das ist jetzt vergessen und abgehakt.“

Schließlich hat die 21-Jährige noch große Ziele und Träume: Ein Olympia-Start („2020 kommt vielleicht noch zu früh“), eine internationale Staffel-Medaille, ein erneuter Einzelstart bei der U23-EM 2019. „Und mal Deutsche Meisterin zu werden, wäre schon mal cool. Aber die Konkurrenz ist halt sehr stark.“
Erst aber steht die Freiluft-Saison 2018 an, die für Nippgen vermutlich bei der Kurpfalz-Gala in Weinheim am 26. Mai beginnt.

EM-Norm über 100 Meter angreifen

„Ich will über 100 Meter die EM-Norm laufen“, sagt sie. Die steht bei 11,35 Sekunden, Nippgens Bestzeit (11,41 sec) nur unwesentlich darüber. Über 200 Meter, beiden Strecken will sie erst einmal die gleiche Aufmerksamkeit schenken, traut sie sich zumindest eine Steigerung auf 23,50 Sekunden zu. Die EM in Berlin (7. bis 12. August) hat sie im Hinterkopf, ohne sich großen Druck zu machen: „Ich glaube nicht, dass es für einen EM-Start reichen wird.“

Das ist sicherlich eine nicht ganz unrealistische Einschätzung aufgrund der Vielzahl an schnellen deutschen Sprinterinnen und der begrenzten Anzahl an Startplätzen über 100 und 200 Meter sowie in der Sprintstaffel. Aber man weiß ja nie, was passiert, wie sich alles entwickelt. Rund dreieinhalb Monate vor den Deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund hätte Lisa Nippgen ja schließlich auch nicht damit gerechnet, bei den Titelkämpfen zwei Medaillen zu gewinnen.

Die Finals von Dortmund im Video

60 Meter: <link video:17955>Tatjana Pinto sprintet in die Weltspitze
200 Meter: <link video:18033>Tatjana Pinto – Zweiter Titel, zweite Bestzeit

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