Lisa Ryshich – Sister Act in luftiger Höhe
Die Szene war filmreif: Lisa Ryshich schlug die Hände vors Gesicht, ging in die Knie, wälzte sich dann auf dem Rasen des Olympiastadions in Grosseto und wurde fast von ihren Gefühlen überwältigt. Es war letzte Woche an einem heißen italienischen Sommerabend gegen 18 Uhr, als die temperamentvolle Stabhochspringerin begriffen hatte, dass sie soeben mit neuer Bestleistung von 4,30 Metern Junioren-Weltmeisterin geworden war.
Lisa Ryshich ist eine strahlende Junioren-Weltmeisterin (Foto: Möldner)
Sie lief über den Rasen, rannte wieder zurück, umarmte ihre Teamgefährtin Anna Schultze von der LG Filstal, die sich über 4,25 Meter freute, und feierte mit ihr einen deutschen Doppelsieg. Dabei machte es die U18-Weltmeisterin sehr spannend - und kostete ihrem Vater und Trainer Wladimir einige Nerven. "Ich kann es immer noch nicht glauben", meinte die blonde Springerin noch Tage später. Denn die Favoritenposition hatten ganz andere Athletinnen. Doch Papier ist geduldig. Was man von Wladimir Ryshich nicht behaupten konnte. Der sonst so beherrschte Mann war völlig gerührt. Am Ende zeigte er sich allerdings nicht so verwundert über die Vorstellung seiner Jüngsten, wie manch andere Beobachter.
"Bei diesen Töchtern kann ich doch nicht mehr überrascht sein", sagte er strahlend. Das ist jetzt der dritte Weltmeistertitel in der Familie. Lisa gewann den U18-WM-Titel im vergangenen Jahr, ihre Schwester Nastja war 1999 Hallen-Weltmeisterin und jetzt folgte Sieg Nummer drei. Nun ist sie bisher die jüngste Junioren-Weltmeisterin der gesamten Meisterschaft.
Kein Schwesternkrieg
Dass nun im Hause Ryshich ein "Schwesternkrieg" um die Top-Position im Stabhochsprung ausbrechen könnte, davor hat Vater Ryshich absolut keine Angst. Im Gegenteil. "Die beiden verstehen sich ausgezeichnet und profitieren voneinander", sagt er.
"Wir sind nicht nur Schwestern, wir sind auch Freundinnen, die sich alles erzählen. Und wir halten immer zusammen", erzählt die Schülerin, die nach den Ferien in die zehnte Klasse eines Gymnasiums in Zweibrücken gehen wird. Doch erst kommen noch etwa drei Wettkämpfe und dann will ich Urlaub machen", sagt sie. Wohin steht noch nicht ganz fest. "Meine Mama will nach Russland, mein Vater ist mit meiner Schwester bei Wettkämpfen und ich würde am liebsten nach Malibu. Aber das ist zu weit und zu teuer", verrät die schlanke Springerin.
Sieht man die Ryshich-Girls springen, ist man verblüfft über die Ähnlichkeit der beiden, nicht nur was das Äußerliche angeht. Auch in der Art sich zu bewegen und zu sprechen, gleichen sich die beiden wie ein Ei dem anderen. Auch haben sie eine Menge Temperament geerbt.
Lisa der ruhigere Typ
Läuft es für die gebürtigen Russinnen aus Omsk nicht so, wie sie wollen, geht ihnen schon mal der Hut hoch. Sowohl Lisa als auch Nastja sind sehr emotionale Menschen. "Aber Lisa ist im Prinzip der ruhigere Typ", sagt Vater Ryshich.
"Ich mache mir nicht soviele Gedanken über irgendwelche Probleme", verrät die "kleine" Ryshich. Und sie ist sehr bescheiden, kann noch gar nicht richtig ermessen, was sie eigentlich geleistet hat.
"Meine Schwester ist mein großes Vorbild", sagt sie. Doch inzwischen ist sie schon fast genauso gefragt, wie die um neun Jahre ältere Nastja. In Grosseto wurde nach ihrem Überraschungserfolg ein Fotoshooting organisiert - zusammen mit der Speerwurf-Siegerin Vivian Zimmer und dem Dritten im Zehnkampf, Norman Müller, die beide aus Halle kommen - eine spontane Idee von Stefan Thies (Agentur Köster & Co), der die Berliner Bewerbung der WM für 2009 in Grosseto vertrat.
Fotos pro WM
Die Fotos sollen Lust machen auf die Leichtathletik-WM in Deutschland - was bei dem Erscheinungsbild und der Attraktivität von Lisa Ryshich und Co nicht schwer fallen wird. Hübsche, erfolgreiche Sportler sind immer gefragt.
Auch wenn Lisa Ryshich in Grosseto mit ihrer Goldmedaille für eine Riesenüberraschung sorgte, ihr Vater hatte der 15-Jährigen einen Leistungssprung durchaus zugetraut. "Sie ist in der letzten Zeit drei Zentimeter gewachsen und ist ein bisschen schwerer geworden, das mussten wir angleichen ans Training und an die Stäbe." Offensichtlich ist das außerordentlich gut gelungen.
Familie Ryshich ist eine sehr sportliche und ambitionierte Familie. Das Oberhaupt war selbst Stabhochspringer, Mutter Katja widmete sich erfolgreich dem Hochsprung. Die Frage, woher das Talent für außerordentliche Höhen stammt, erübrigt sich unter diesen Umständen ziemlich schnell.
Deutsch geprägt
Als Lisa Ryshich nach Deutschland kam, war sie drei Jahre alt. "Ich bin ziemlich deutsch geprägt", sagt sie über sich selbst. Zur Heimat ihrer Eltern hat sie kaum einen Bezug, im Gegensatz zu Nastja, die bei jeder Gelegenheit nach Russland fährt. "Ich mag lieber den Süden."
Katja Ryshich ist das Ebenbild ihrer Töchter und war in Grosseto ausnahmsweise dabei. "Ich gehe nicht oft zu den Wettkämpfen mit, aber wir mussten ohnehin mit dem Auto fahren, wegen der Stäbe, da bin ich mitgefahren", erzählte Mutter Ryshich, die in Grosseto nebenbei einige Erinnerungen auffrischen konnte. "Ich habe hier viele Freunde getroffen, die ich aus der früheren Sowjetunion noch kenne und die ich seit 20 Jahren nicht gesehen habe", erzählt die hochgewachsene junge Frau.
Die Ryshichs leben in Zweibrücken, die Mädchen starten allerdings seit dieser Saison für den ABC Ludwigshafen, nach einigen Streitereien mit dem alten Verein. Es konnte eigentlich gar nicht anders kommen, als dass Lisa auch beim Stabhochsprung landet. Dass sie ein Riesentalent ist, dafür hatte ihr Vater natürlich ein geschultes Auge. Und Lisa vertraut ihm völlig. Ärger gibt es nur, wenn er möchte, dass die Kleine um zehn Uhr zu Hause ist. "Aber manchmal kriegt er sowieso nicht mit, wann ich komme." Ansonsten herrscht eitel Sonnenschein.
Und inzwischen ist es schon fast ein Ritual: Klappt es bei der einen nicht, rettet die andere die Familienehre. Nastja verpasste die Olympiaqualifikation, dafür sprang Lisa in die Bresche, holte den Titel in Grosseto. So gesehen bleibt ohnehin alles in der Familie.