Lisa Ryzih - Zuerst kommt die Leistung
You've got me dancin' and cryin', rollin' and flying… Wenn David Guettas „Love don’t let me go“ aus den Boxen schallt und Lisa Ryzih bei passender Gelegenheit ausgerechnet zu ihrem Lieblingssong springt, passt alles zusammen. Den Stabhochsprung schon immer im Herzen, wird es ein stimmiges Bild, das sie bewegt, begeistert und abheben lässt.
Stellen Sie sich vor: Tausende Leute, verrückte Leute. Dazu noch laute Musik. Ein Trubel, ein Chaos. Im Rampenlicht plötzlich ein junges Mädchen aus Deutschland. Es muss ungefähr so sein, als wenn eine Newcomer-Band ihr erstes großes Open Air-Konzert spielt und vom Clubtent auf die Centerstage übersiedelt.Das Konzert, die Party wiederum steigt in Donezk, der ukrainischen Heimat von Sergey Bubka, wohin der Weltrekordmann geladen hat, und natürlich geht es um Stabhochsprung.
Unter Beobachtung
Die Athletin ist Lisa Ryzih und unter den Augen, die auf sie gerichtet sind, könnten auch jene von Yelena Isinbayeva, der Weltrekordhalterin, sein. Diese Atmosphäre aufsaugend und inhalierend, die Ehrfurcht vor der Russin im Hinterkopf, ist die Athletin des ABC Ludwigshafen dort zwei von zwei Mal so hoch gesprungen wie sonst den ganzen Winter nicht und das obwohl man sich „so beobachtet und am Anfang überfordert fühlt“.
Irgendwie hat es trotzdem hingehauen. David Guetta war dabei, wenn auch nur per Lautsprecher. Rollin’ and flying! Am Ende sagt Lisa Ryzih: „Voll geil, so toll. Das ist der Wahnsinn.“
Der ganz normale Wahnsinn
Doch dieser Wahnsinn ist der ganz normale, denn im Leben der Blondine war dieser Sport, nicht zuletzt wegen Vater und Trainer Vladimir, einfach immer da. Vielleicht macht das manche Dinge für sie so selbstverständlich, so einfach und so leicht.
„Es hat so angefangen, dass ich jeden Tag mit meinen Eltern und meiner Schwester beim Training im Stadion war“, erinnert sich Lisa Ryzih, „es gibt Fotos, bei denen ich mit Fünf schon mit dem Stab dastehe. Ich habe früher gesehen, wie Andrei Tivontchik und Nastja trainiert haben. Da habe ich einfach mitgemacht.“
Damals war es Hobby, heute ist es für die erst 20-Jährige der Job. „Ich verdiene mein Geld mit Stabhochsprung. Das ist richtig Arbeit. Das Leben dreht sich darum, da gibt es nichts anderes.“
Jugend forderte ihr Recht
Das war aber nicht immer so. Nach ihren großen Erfolgen, 2003 wurde sie U18-Weltmeisterin, 2004 gleich darauf U20-Weltmeisterin, forderte die Jugend ihr Recht. „Dann kam die Pubertät und ich wurde ein bisschen dicker. Mit 17, 18 ist es auch so, dass man in die Disco gehen will. Ich war viel unterwegs. Ich durfte zwar nicht weggehen, aber ich war trotzdem weg.“
Lisa Ryzih, die ihre Wurzeln in Russland hat und mit drei Jahren nach Deutschland kam, betont allerdings, dass sie weiterhin auf Wettkämpfe und Saison fokussiert geblieben sei. Auch hätten ihre Eltern nie das „Wo kommst du jetzt schon wieder her?“-Problem mit ihr gehabt. Aus der Bahn werfen konnte sie diese Phase trotz zwischenzeitlicher, durchaus bitterer und tränenreicher Niederlagen wie etwa 2006 bei der U20-WM in Peking (China) nicht. Ganz im Gegenteil: „Entweder man kriegt die Kurve mit Hilfe von Familie und Eltern oder eben nicht.“
Lisa Ryzih hat die Kurve bekommen. Es ist wahrscheinlich gerade auch der gewisse Rückhalt, der sie von anderen unterscheidet. Und überhaupt, dass sie die Zeit des Erwachsenwerdens, die zwangsläufig ihren Tribut fordert, sportlich erfolgreich bewältigt hat, lässt sie erkennen: „Es hätte auch schlimmer ausgehen können. Es ist oft so, dass man mit 15 was gewinnt und dann gibt es diese Leute nicht mehr. Von den Konkurrentinnen von früher gibt es kaum mehr jemand.“ Sie gibt es noch.
Mit 13 Jahren über 3,92 Meter
Dabei hob sie sich schon immer etwas ab. Als 13-Jährige ist Lisa Ryzih 3,92 Meter hoch gesprungen, zwei Jahre später schon 4,30 Meter, beides waren Weltbestleistungen für dieses Alter.
Ihre ersten zumindest in der Szene aufsehenerregenden Erfolge auf internationalem Parkett sind ihr zu der Zeit mehr oder weniger in den Schoss gefallen. „Ich habe kein Krafttraining gemacht, habe nicht besonders trainiert, um die U18-WM zu gewinnen. Es war einfach so, weil es zu mir gepasst hat. Mein Papa hat mir von klein auf die richtige Technik beigebracht. Man braucht sonst nicht viel, um vier Meter zu springen.“
Über Musik, Show, Spaß und Ernst: "Zwei Stunden am Tag will ich auch mal ernst sein können. Spaß ist dann, wenn ich gewonnen habe!" Jetzt reinhören: mp3 |
Technik ist das Stichwort. Denn nach wie vor ist die Psychologiestudentin davon überzeugt, dass vor allem die Technik ihr größtes Plus ist. „Ich fühle mich so, dass ich gar kein Talent für Sport habe“, erzählt sie, „ich profitiere von der Technik. Bei mir fehlt auf jeden Fall das Tempo. Von der Härte der Stäbe bin ich vorne mit dabei, aber ich brauche so lange, um da vorne anzukommen.“
Feinfühlig
Irgendwie ist der Stabhochsprung, den Lisa Ryzih als „so feinfühlig“ bezeichnet, auch ein Stück weit Mathematik. „Man weiß, wenn ich so schnell werde, wenn ich so weit springe, wenn ich diese Stäbe nehme, dann werde ich so hoch springen und eine gewisse Leistung irgendwann bringen können.“ Trotz aller Mathematik will sie ihr Potenzial aber nicht mit einer bestimmten Zahl beziffern. „Es sind bis dahin noch ein paar Jahre, die ich trainieren und überleben muss.“
Geduld ist also gefragt. Sie weiß das. Wenn Lisa Ryzih, die auch gerne den russischen Eurovision-Sieger Dima Bilan hört, gesagt bekommt, dass ihr der Übergang von der Jugend zu den Erwachsenen doch so prima gelungen sei, dann runzelt sie ein wenig die Stirn. Sie musste etwas lernen. Sie musste gerade jetzt lernen, sich hinten einzureihen.
Deshalb stellt sie auch für sich fest: „Ich habe überhaupt keinen Übergang gefunden. Früher habe ich alles gemacht, Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, jetzt nicht mehr. Jetzt im Sommer musste ich daheim sitzen, da hatte ich keinen großen Wettkampf mehr.“
„Entweder sie oder ich“
Doch Vater Vladimir rückt die Relationen wieder zurecht, wenn er sagt, seine Tochter sei immer noch die Allerkleinste und die Allerjüngste. „Ich sehe mich aber gar nicht so.“
Die Gegnerschaft ist mit dem Altersklassenwechsel natürlich national wie international größer und stärker geworden. Wenn es dann in den Wettkampf geht, zählt nur noch eines. „Entweder sie oder ich.“
Aber doch gibt es eine Ausnahme. „Wenn Nastja Erste ist, dann bin ich auch mit dem zweiten Platz zufrieden. Deshalb war es auch voll okay, dass Nastja zu den Olympischen Spielen nach Peking gefahren ist und ich nicht“, zeigt Lisa Ryzih gegenüber ihrer elf Jahre älteren Schwester, die ihr als frühere Hallen-Weltmeisterin noch etwas voraus hat, Respekt.
Über Schwester Nastja: "Bin zwar die Kleine, springe aber genauso hoch" Jetzt reinhören: mp3 |
Sie sieht sich aber inzwischen auf Augenhöhe: „Die Leistungen haben sich schon relativ angeglichen. In der Halle habe ich schon den Hausrekord. Ich bin zwar die Kleine, springe aber genauso hoch und kann auch mal beim Wettkampf gewinnen.“
Auf der Bühne
Wer gewinnt, steht im Mittelpunkt auf der großen Bühne des Sports. Überhaupt ist es so, dass sich Lisa Ryzih gerne zeigt. Vor der Kamera zu posieren, das ist zum Beispiel ihr Ding. Super fand sie es, bei drei Foto-Shootings für die neue Frühlingskollektion mit Nike dabei zu sein. Mit einem vorzeigbaren Ergebnis: „In Frankfurt hing plötzlich am Flughafen ein Riesenfoto von mir.“
Doch die 1,79 Meter große und nur 58 Kilogramm schwere Athletin sieht sich nicht als die Hübsche, nicht als das Model. Darauf will sie sich ganz und gar nicht reduzieren lassen. Mit Recht. „Wenn ich Shootings mache, dann als Stabhochspringerin und nicht als hübsches Mädchen, das Mode präsentiert. Ich weiß: Wenn ich das nicht so verbinde, würde sich kein Mensch mehr für mich interessieren.“
Auch eine andere Erfahrung hat sie das gelehrt. Das „Liebes-Aus“ mit Dortmunds Fußball-Profi Neven Subotic verkündete die „Bild“-Zeitung im letzten Herbst mit großen Lettern. Vorher gab es Schlagzeilen wie http://www.bild.de/BILD/sport/fussball/bundesliga/vereine/dortmund/2008/06/26/neven-subotic/kommt-ohne-freundin-lisa-nach-dortmund.html„Seine sexy Lisa Ryzih ist Stab-Königin“. Ein Interview stand unter der Schlagzeile „Neven hat mein Leben gerettet“.
Liebes-Aus in der „Bild“
Es hatte Unterhaltungswert, auch für die Beteiligten. „Wir haben morgens die Zeitung aufgemacht und haben uns da gesehen, uns darüber amüsiert und dann ging der Tag weiter“, erinnert sich Lisa Ryzih. „Wenn in der Zeitung aber ‚Liebes-Aus’ steht, dann findet man das auch nicht mehr schön.“
Vor allem eines ist ihr klar geworden: „Wenn ich keine Stabhochspringerin wäre, sondern nur ein Mädchen, das er in der Disco kennen gelernt hat, würde es niemanden interessieren. Über mich alleine würde die Bild-Zeitung auch nicht schreiben, aber eben diese Verbindung mit Sport und Jung hat ihnen gefallen.“ Kann gut sein.
Die Trennung von dem attraktiven Kicker war für Lisa Ryzih „auf einmal das erste Opfer“, das sie für den Stabhochsprung, ihre verlässlichste und längste Liebe, bringen musste. „Ich konnte nicht alles aufgeben, um nach Dortmund zu ziehen und glücklich zu sein. Ich hätte niemals aufgehört, das hätte auch kein Mensch akzeptiert.“
Sachte und vorsichtig
Denn noch hat Lisa Ryzih, die eine Schwäche für Tennis-Asse wie Maria Sharapova hat, viel vor und große Ziele. Der Weg, den sie eingeschlagen hat, ist vielversprechend. Selbstbewusst stellt sie fest: „Ändern muss ich gar nichts. Sachte, vorsichtig trainieren, nichts überstürzen. Ich will weiter diesen Weg gehen, er wird schon der richtige sein.“ Ihre Entwicklung gibt ihr Recht.
Dass dabei die Leistung vor der wirklichen Show auf einer großen Bühne wie in Donezk kommt, steht außer Frage. „Ich will mich als Sportlerin zeigen. Ich mag nicht diese Show im Röckchen mit langen, offenen blonden Haaren von einer, die nichts kann. Zuerst kommt die Leistung.“
Zur Person: * 27.9.1988 Größe: 1,79 m | Gewicht: 58 kg Verein: ABC Ludwigshafen Psychologiestudentin U18-Weltmeisterin 2003 U20-Weltmeisterin 2004 Bestleistungen: 4,52 m (Halle), 4,50 m (Freiluft) www.lisa-ryzih.de |
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