London-Marathon: Ohne Moos nix los
Der Racedirector vom London-Marathon liebte schon immer das Extreme. Dave Bedford war zu Beginn der siebziger Jahre ein erstklassiger Langstreckler, der im Juli 1973 sogar Weltrekord über 10.000 Meter (27:30,8 min in London) gelaufen ist. Als lebenslustiger Engländer, der auch mal gerne ein paar Bierchen zu viel getrunken hat, kam schon früh das Karriere-Ende, weil sein Körper das harte Training nicht mehr mitmachte. Bedford, jeweils Sechster bei den Europameisterschaften 1971 in Helsinki und den Olympischen Spielen 1972 in München, hatte häufig weit über tausend Kilometer pro Monat zurück gelegt. Und das war zu viel des Guten!
Paula Radcliffe gibt in London ihr Marathon-Debüt. Foto: Chai
Dave Bedford zählt mittlerweile zum Organisatorenstab beim London-Marathon und lockt dabei so großzügig mit dem Zaster, dass die Stars der Laufszene gern und bereitwillig in die britische Metropole eilen. Na klar, dort gibt es schließlich viel zu verdienen. Joyce Chepchumba, die gemeinsam mit Tegla Loroupe vom Detmolder Grundschullehrer Volker Wagner betreut wird, kann's bestätigen, denn vor zwei Jahren, als die flotte Kenianerin mit 2:23:22 Stunden in einem reinen Frauenrennen triumphierte, soll sie die stolze Summe von immerhin 230.000 Dollar kassiert haben.Natürlich ist Joyce Chepchumba auch bei der 22. Auflage dieser Traditionsveranstaltung am kommenden Sonntag am Start. 1996 war sie Zweite (2:30:09 h), 1997 Erste (2:26:51 h), 1998 Dritte (2:27:22 h), 2000 wieder Dritte (2:24:57 h) und 2001 noch mal Dritte (2:24:11 h). Erneut zählt die Olympia-Dritte von Sydney zum engen Favoritenkreis, doch die Konkurrenz ist so groß wie nie zuvor. Denn Dave Bedford hat weitere schnelle Damen verpflichtet wie beispielsweise Derartu Tulu (Bestzeit: 2:23:56 h) aus Äthiopien. Die Doppel-Olympiasiegerin über 10.000 Meter, die nach zwei London-Siegen in Folge den Hattrick anstrebt, bestreitet am Sonntag den sechsten Marathon ihrer Karriere. Zu ihren Konkurrentinnen zählen die Kenianerin Susan Chepkemei (2:25:12 h), die noch kürzlich den gut besetzten Halbmarathon in Lissabon gewonnen hat, die Vorjahreszweite Swetlana Zacharova (2:24:04 h) aus Russland, die kleine Japanerin Reiko Tosa (2:24:36 h), Malgorzata Sobanska (2:26:08 h) aus Polen und nicht zu vergessen die Engländerin Paula Radcliffe, die in London ihr Debüt gibt über stramme 42,195 Kilometer. Dass sie hervorragend in Form ist, bewies ihr Sieg bei der Cross-WM in Dublin, wo sie scheinbar mühelos den Titel auf der Langstrecke verteidigte. "Ich möchte bitte schön nicht gefragt werden, wer das Rennen gewinnen wird", meinte Bedford mit breitem Grinsen, "ich jedenfalls gebe keinen Tipp ab."
Hochklassiges Feld bei den Männern
Das Elitefeld bei den Männern ist noch hochkarätiger besetzt. Alles, was Rang und Namen hat, strömt nach London. Dave Bedford köderte die Stars mit dicken Antrittsgeldern und lukrativen Prämien. Sie kommen bereitwillig, denn mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass die Straßen in London mit harten Dollars gepflastert sind. "Qualität hat ihren Preis", sagte der exzentrische Engländer und zuckte lapidar die Schultern, "wir wollen unseren Zuschauern schließlich das Beste vom Besten bieten." Auch diesmal liest sich die Besetzung wie ein "Who is who" der Marathon-Szene. Schade nur, dass Gezahegne Abera, Olympiasieger und Weltmeister, aus Verletzungsgründen seine Teilnahme abgeblasen hat.
Sein Landsmann Haile Gebrselassie, der Wunderläufer aus Äthiopien, feiert seinen Marathon-Einstand. Ob London für ihn zur Insel der Glückseligkeit wird? Abwarten! Wo "Gebre" läuft, da ist Paul Tergat nicht weit. Tergat wurde vor einem Jahr Zweiter in London, lief damals auf Anhieb 2:08:15 Stunden und wird alles versuchen, um seinen Dauerrivalen endlich einmal zu besiegen. Bei diesem Duell darf Khalid Khannouchi nicht fehlen. Khannouchi, Inhaber der Weltbestzeit (2:05:42 h in Chicago 1999), ist ebenso vertreten wie der Vorjahressieger Abdelkader El Mouaziz (2:07:11 h) aus Marokko, der New York-Champion Tesfaye Jifar (2:06:49 h) aus Äthiopien, Europameister Stefano Baldini (2:07:57 h) aus Italien und last but not least Antonio Pinto aus Portugal, der den flachen, aber windanfälligen Kurs von Greenwich über die Isle of Dogs bis hin zum Ziel an der Westminster Bridge nahezu auswendig kennt. 1992 war der 35-jährige Dauer(b)renner Zweiter und 1995 Dritter. 1997 dominierte er mit neuem Streckenrekord (2:07:55 h). 1998 wurde er noch mal Dritter, 1999 Zweiter und 2000 wieder Erster, als ihm mit 2:06:36 Stunden ein Europarekord gelang.
Alterpräsident mit 91 Jahren
Die vielen Superstars garantieren dem Publikum entlang der Strecke und daheim vor der Flimmerkiste allerbeste Unterhaltung. Sie sind die Hauptdarsteller, und in den Nebenrollen spielen weitere 32.000 Läufer und Läuferinnen mit, die unter rund 100.000 Interessenten ausgelost wurden. Ihnen wurde die heiß begehrte Startnummer ausgehändigt. London hat sich längst zum Marathon-Mekka entwickelt! 30.071 liefen im vergangenen Jahr innerhalb von zehn Stunden über die Ziellinie vorm Buckingham-Palast. Abraham Weintraub, ein rüstiger Senior aus den USA, war mit 91 Jahren sozusagen der "Alterspräsident" und bei weitem nicht der Letzte. Denn in etwas mehr als siebeneinhalb Stunden bewältigte er die klassische Distanz. Respekt, Respekt!