Lord Sebastian Coe - „Erbe nicht verkaufen“
Lord Sebastian Coe, heute IAAF-Vizepräsident und Chef des Londoner Olympia-Organisationskomitees, gehörte in den 80er-Jahren zu den weltweit besten Mittelstreckenläufern, gewann vier Olympische Medaillen und stellte acht Weltrekorde auf. Im Interview spricht der 52 Jahre alte Brite unter anderem über die WM in Berlin, die Situation der Leichtathletik und europäischen Sprinter sowie über den umstrittenen britischen Sprinter Dwain Chambers.
Herr Coe, Sie sind am Wochenende zu den Council-Sitzungen des Leichtathletik-Weltverbandes in Berlin. Dabei geht es in erster Linie um die Weltmeisterschaft im August in der deutschen Hauptstadt. Doch es gibt auch ein aktuelles Thema, das zuletzt an Brisanz gewann, das ihren Landsmann Dwain Chambers betrifft. Er arbeitet nach seiner Sperre noch mit Victor Conte zusammen, dem Drahtzieher des Balco-Dopingskandals. Nun wird eine erneute Strafe gegen ihn diskutiert. Sollte Chambers wieder gesperrt werden? Lord Sebastian Coe:Darüber werden wir im Council in Berlin am Wochenende sprechen. Aber es ist nichts, wozu ich mich jetzt äußern sollte.Dwain Chambers hat jüngst in seinem Buch geschrieben, Sie hätten Ihre Frau betrogen. Haben Sie schon darüber nachgedacht, ihn zu verklagen.Lord Sebastian Coe:
Ich habe keine Ahnung, was er über mich oder irgendwen anders geschrieben hat, ich lese das nicht.
Die Situation der Leichtathletik interessiert Sie umso mehr. Und dieses Jahr wohl in erster Linie eine erfolgreiche WM in Berlin. Was erwarten Sie von diesem internationalen Sport-Highlight im August?
Lord Sebastian Coe:
Leichtathletik war in Deutschland immer gut organisiert. Ich erinnere nur an die herausragende EM 2002 in München. Leichtathletik hat hier starke Wurzeln und eine große Geschichte.Dennoch haben sie Sorge um die Entwicklung dieser Sportart. Jüngst haben Sie gesagt, wenn sie sich nicht verändere gehe sie zu Grunde. Welche Veränderungen brauchen wir bei Weltmeisterschaften? Sechs Tage statt neun, weniger als 47 Disziplinen?Lord Sebastian Coe:
Das sind alles Punkte über die wir reden müssen. Aber wir dürfen nicht unser Erbe und unsere Philosophie verkaufen. 47 Disziplinen in vier Tage zu packen wird nicht funktionieren. Wir müssen die Präsentation verbessern und die Jugend für die Sportart begeistern. Aber bei allen Veränderungen wird die Leichtathletik kompliziert bleiben.Das Erbe, das die Leichtathletik zu tragen hat, wiegt schwer. Manche Weltrekorde gelten heute als dopingbelastet und müssten eigentlich gestrichen werden.
Lord Sebastian Coe:
Wir können unsere Geschichte nicht umschreiben. Ja, es gibt fragwürdige Rekorde, aber es gibt auch die, an denen niemand zweifelt. Ich halte nichts von willkürlichen Urteilen über Rekorde, die wir nur in Frage stellen, weil sie von Athleten aus bestimmten Ländern aufgestellt worden sind. Wenn wir keine Beweise haben, können wir nicht handeln.Sind Sie froh, dass Ihre Karriere in den 80er Jahren stattfand und Sie nicht gegen die afrikanische Übermacht antreten mussten?Lord Sebastian Coe:
Ich widerspreche vehement Behauptungen, dass es für europäische Läufer physisch oder psychisch nicht möglich wäre, auf irgendeiner Strecke jeden Gegner auf der Welt zu schlagen. Aber natürlich gab es früher nicht so viele afrikanische Läufer. Doch schauen Sie sich die Zeiten an. Sie sind heute kaum besser als meine von früher. Das Problem in Europa sind nicht die Athleten, sondern die Trainer. Sie wirken auf mich müde. Sie sagen, es sei unmöglich mit einem Afrikaner Seite an Seite zu laufen. Das glaube ich nicht.Glauben Sie, Sie könnten heute noch Olympiasieger werden?Lord Sebastian Coe:
Selbstverständlich, nur Wilson Kipketer war über 800 Meter je schneller als ich 1981.Lassen Sie uns noch kurz über ihr großes Projekt sprechen: Olympia in London. Die Kosten haben sich fast verdreifacht von 3,4 Milliarden Pfund auf 9,3 Milliarden...Lord Sebastian Coe:
Stopp, stopp, stopp. Die erste Zahl war Geld, das zu Beginn von der öffentlichen Hand zugesagt gewesen ist. Uns war von Anfang an klar, dass wir mehr Geld für die Erneuerungsarbeiten in Ost-London brauchen. Das Budget hat sich also nicht verdreifacht. Und wir reden an dieser Stelle auch nicht über Kosten für die Spiele, sondern es geht hier um die Erneuerung in Ost-London.Fürchten Sie, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise auf London 2012 voll durchschlagen könnte?Lord Sebastian Coe:
Wir haben eine halbe Milliarde Pfund an Sponsorengeldern bereits sicher. Und wir sprechen mit weiteren Partnern. Zudem liegen die Bauarbeiten vor dem Zeitplan. Das Budget dafür ist sicher, weil es aus öffentlichen Mitteln kommt. Wir sind auf einem guten Weg.
Quelle: Sport-Informations-Dienst