Scharfe Augen für Mainzer Stabhochspringerin
"Lieber einen Tag mehr Pause. Den Bogen auf keinen Fall überspannen." Das Credo der Mainzer Stabhochsprunggruppe um Stabhochsprung-Teamleiter Herbert Czingon klingt einfach. Doch bei seinen ehrgeizigen Athletinnen gehört dazu eine Menge Fingerspitzengefühl. "Ein Gefühl, das man erst bekommt, wenn man seine Springerinnen ganz genau kennt. Dafür braucht man scharfe Augen", beschreibt Herbert Czingon.

Wenig Lust hat Yvonne Buschbaum, als sie aufs Ergometer soll. Trainer Herbert Czingon versucht sie zu ermuntern. (Foto: Mathes)
Zwei kennt er nahezu in- und auswendig. Carolin Hingst war die Erste, die er als Heimtrainer unter seine Fittiche nahm. Ende 2001 kam die Bayerin nach Rheinhessen, wechselte zum USC Mainz, lebt und trainiert seitdem hier und wurde in die Mainzer Sportfördergruppe der Bundeswehr aufgenommen. Yvonne Buschbaum kam wenig später aus Stuttgart dazu, startet bislang aber weiter für ihren Heimatverein, den VfB Stuttgart. Optimale Trainingsbedingungen, die Sportfördergruppe und ein Trainer, der sich meist den ganzen Tag für sie frei nimmt, lockten die Schwäbin nach Mainz.Nadine Sonnabend jetzt auch in Mainz
Eine andere hat Hunderte Kilometer weiter im Nordosten von der schlagkräftigen Truppe in Mainz Wind bekommen. Seit Beginn des neuen Semesters trainiert Nadine Sonnabend, Psychologiestudentin im siebten Semester, in der Gruppe von Herbert Czingon. Die 23-Jährige vom SC Potsdam hat erst 2001 begonnen, sich mit dem Stab über Latten zu schwingen. Doch ihre Bestleistung steht schon jetzt bei 4,20 Metern.
Und allesamt sind sie vom Typ her total unterschiedlich. "Yvonne ist die Kompletteste von den Dreien, Carolin muss sich noch im Sprint- und Sprungbereich verbessern und Nadine muss an ihrer Rumpfstabilität arbeiten", analysiert der 51-jährige Stabexperte Czingon.
Buschbaum immer noch angeschlagen
Yvonne, kaffeebraungebrannt, weil vor wenigen Tagen erst aus ihrem Kuba-Urlaub zurückgekehrt, wird an ihrem dritten Trainingstag auf den Ergometer in die Katakomben verbannt. Für sie nicht gerade das, was ihr Spaß macht. Dabei hatte sie sich so auf den Trainingsbeginn gefreut. Die Achillessehnen, die ihr schon im Pariser "Stade de France" einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten, haben sich noch immer nicht erholt. "Schon im Urlaub war ich unausstehlich. Da ging nichts. Weder Beachen noch Bladen." Der 23-Jährigen ist ihr Frust anzumerken. Am liebsten würde sie gleich wieder voll loslegen.
Herbert Czingon will ihr wieder zu alter Sicherheit verhelfen, die in Paris plötzlich nicht mehr da war. Yvonne und ihr Trainer – das ist ein ganz besonderes Verhältnis. "Ein gutes Arbeitsverhältnis", meint Czingon, "nein, es ist schon mehr. Zuweilen sehr explosiv. Aber stolz bin ich auf jeden Fall auf sie." Stolz auch auf sich. Er ist sich sicher, dass es an ihm liegt, dass Yvonne heute den Willen und Biss eines unbändigen Löwen hat.
Die 5,01 Meter des Trainers sind das Ziel
Damals 1997. Yvonne Buschbaum wird deutsche B-Jugend-Meisterin. Doch Bundestrainer Czingon verweigert ihr das Ticket für die internationalen Meisterschaften. Zwei andere Mädchen sprangen aus seiner Sicht im Vorfeld konstanter. "Ich war richtig sauer", erinnert sich Yvonne zurück. Irgendwann will sie ihm das heimzahlen, 5,01 Meter überqueren und damit die Bestleistung von Ex-Stabhochspringer Herbert Czingon einstellen. Nach einer Olympiamedaille ist es Yvonnes zweitgrößtes Ziel.
Abgestrampelt kommt sie aus der unteren Etage zurück in die Trainingshalle. Mit roten Wangen und nassem T-Shirt. Gleich geht's weiter. Ein Medizinball-Kontest mit ihren Trainingskolleginnen steht an. Unübersehbar, mit welch einem Spaß die Drei bei der Sache sind. Der Trainer nicht zu vergessen. In diesem Moment mag man vermuten, die drei Athletinnen seien sein Ein und Alles. Zumindest in den Trainingshallen und Stadien dieser Welt.
Czingon selbst war immer ohne Trainer
Er selbst habe in seiner Sportlerkarriere nie einen Trainer gehabt. Habe die anderen, die besseren, immer beobachtet und sich Dinge abgeschaut. Vielleicht kommen daher die scharfen Augen und das Gespür, was für den jeweiligen Athleten das Beste ist. Als deutscher Teamleiter Stabhochsprung ist er nicht nur für seine Mädchen in Mainz zuständig. Er besucht die anderen Kaderathleten zu Hause, ist für die bürokratischen Abläufe und die Aufstellung des Teametats zuständig. Außerdem stellt er die Kader zusammen.
Glaube an das Stab-Team
Der 51-Jährige, der in Neuburg an der Donau aufgewachsen ist, gibt zu, dass auch sein Team über die Ausbeute in Paris enttäuscht war. Trotzdem glaubt er weiterhin an das Konzept des Stab-Teams. Was es ausmacht? Die Kommunikation untereinander, der Austausch und das gemeinsame Lernen aus den Fehlern der anderen.
Dabei war es eigentlich Zufall, dass Herbert Czingon eine Trainerlaufbahn eingeschlagen hat. Nichts geplant, sondern reingerutscht. Dass es so gekommen ist, darüber können sich allen voran die drei Mainzer Mädchen glücklich schätzen. Wenn die scharfen Augen auch weiterhin funktionieren, die dafür sorgen, dass der Bogen nicht überspannt wird, dann, ja dann, wird von Herbert Czingon und seinen Mainzelmädchen noch viel mehr zu sehen und zu hören sein.