Stephen Cherono: Adieu Kenia, Willkommen in Katar
Der Pass ist noch nagelneu und unverbraucht. Stephen Cherono, einer der Hauptdarsteller über 3000 Meter Hindernis, heißt jetzt Saif Saaeed-Shaheen. Den Namen hat er gewechselt und auch die Nationalität. Adieu Kenia, Willkommen in Katar! Da sich die beiden Verbände hinter den Kulissen geeinigt haben und auch die IAAF keinerlei Einwände erhoben hat, darf Cherono alias Saaeed-Shaheen bei den IX. Leichtatheltik-Weltmeisterschaften starten.
Wenn am WM-Eröffnungstag um 19 Uhr die Vorläufe im "Stade de France" ausgetragen werden, sind gleich fünf Naturburschen aus der Läufer-Nation Nr. 1 gemeldet. Reuben Kosgei, der amtierende Weltmeister und Olympiasieger, dann das Trio, das sich bei den Trials qualifiziert hat, und last not least Stephen Cherono, der jetzt ein Katari ist.Beim ersten Start gab es den Asienrekord
Am 8. August, vor gerade mal fünfzehn Tagen, hat er seinen Personalausweis erhalten. Stolz präsentierte ihn der Neo-Katari beim Golden League-Meeting in Zürich, wo er als besonderes Antrittsgeschenk gleich den Asienrekord zerlegte: 8:02,48 Minuten. Ali-Asmari aus Saudi-Arabien, 1995 in Göteborg WM-Dritter, hielt die alte Bestmarke mit 8:08,14 Minuten. Cherono war fast sechs Sekunden schneller und schneller auch als alle anderen in dieser Saison.
Es hatte lange Zeit so ausgesehen, dass die Verbandsoberen aus Kenia ihre Freigabe verweigern würden. Stets hatten sie ihr Veto eingelegt. Dann wäre er normalerweise drei Jahre lang für sämtliche Großereignisse gesperrt gewesen, ähnlich wie Wilson Kipketer, der Weltrekordler über 800 Meter, der in Dänemark lebt und auch mit einer Dänin verheiratet ist. Doch Cherono hatte Glück. Denn die Funktionäre beider Nationen hatten sich an einen Tisch gesetzt und nach einigen Verhandlungen Konsens erzielt, so dass der viel gefragte Mann im "Stade de France" seiner Favoritenrolle gerecht werden kann.
Auch über 5000 Meter der Jahresbeste
Mit ihm ist auch sein Landsmann Albert Chepkirui gewechselt, ein 5000-Meter-Mann mit einer Bestzeit von 12:59,90 Minuten. Cherono führt auf dieser Distanz ebenfalls die Weltbestenliste 2003 an. In Ostrava Anfang Juni siegte er in 12:48,81 Minuten vor, man höre und staune, Hicham El Guerrouj, der bei der WM den Doppelstart über 1500 und 5000 Meter riskieren will. "Jeden Monat bekommen wir 1000 Dollar ausgezahlt", erzählt der gerade mal 20-jährige Cherono allen, die es hören wollen, "das hat es in Kenia nicht gegeben." Er ist zufrieden. Hochzufrieden.
Das Scheichtum, das dank seiner Erdölreserven über enorme Reichtümer verfügt, musste zweifellos kräftig investieren, um Stephen Cherono loszueisen. Wie die italienische Sportzeitung "La Gazetta dello Sport" berichtete, habe der Verband aus Katar den Ostafrikanern das Versprechen gegeben, dass man demnächst in der Provinzhauptstadt Eldoret eine Kunststoffbahn bauen werde. Dort, im Eldorado der Läufer-Welt, leben und trainieren viele Kenianer, die einst zum Wohle ihrer Nation reichlich Ruhm und Ehre heim gebracht haben wie beispielsweise Kipchoge Keino, Paul Ereng, Moses Kiptanui oder Daniel Komen.
Katar will weitere Athleten locken
Nach ihrem geglückten Fischzug bemüht man sich in Katar bereits um weitere Kenianer. Auch renommierte Trainer werden gehandelt, vor allem aus Frankreich. Hasan El-Idrissi ist einer davon. Fouad Chouki, sein Schützling, hat unlängst in Zürich den nationalen 1500-Meter Rekord von Europameister Mehdi Baala auf 3:30,83 Minuten gedrückt und gilt seither als chancenreicher WM-Außenseiter.
Mit ausländischer Entwicklungshilfe wollen die Wüstensöhne daheim die Begeisterung für die Leichtathletik ankurbeln. Istvan Gyulai aus Ungarn, Generalsekretär der IAAF, hat allerdings schon Bedenken erhoben. "Wir dürfen die Ethik nicht außer Acht lassen", wurde er in der französischen Sportzeitung "L'Equipe" zitiert. Denn es könne nicht sein, dass die nicht so reichen Länder ihrer besten Athleten beraubt werden. "Aber die aktuellen Statuten", so Gyulai, "lassen es nicht zu, einen Wechsel der Nationalität zu unterbinden." Frei übersetzt bedeutet das: Wer den meisten Zaster hat, kann sich die besten Athleten leisten.
Es gab erst eine Medaille für das Land
Mohammed Suleiman, eine "Leihgabe" aus Somalia, hat bisher die einzige Medaille für Katar gewonnen: Bronze über 1500 Meter bei den Olympischen Spielen 1992 in Barelona. Stephen Cherono wird sich nicht mit Platz drei begnügen. Nein, das ist ihm zu wenig. Viel zu wenig. Gold will er! Wie Christopher Koskei, sein acht Jahre älterer Bruder, der 1999 in Sevilla triumphierte, nachdem er 1995 in Göteborg bereits Vizeweltmeister war hinter Moses Kiptanui, der im gleichen Jahr als erster Mensch überhaupt die Acht-Minuten-Schallmauer geknackt hatte.
Apropos Moses Kiptanui! Mit ihm begann 1991 in Tokio die beispiellose Siegesserie der Kenianer. 1993 in Stuttgart und 1995 in Göteborg vollendete Kiptanui seinen WM-Hattrick. Wilson Boit Kipketer trat 1997 in Athen in seine Fußstapfen, als Kiptanui noch mal Zweiter wurde. Christopher Koskei folgte 1999 in Sevilla und Reuben Kosgei 2001 in Edmonton, wo Safeldin Khamis Abdullah, auch ein Katari, als Final-Siebter einen kleinen Achtungserfolg feierte.
Gold wäre viel Geld wert
Wenn ausgerechnet Stephen Cherono in Paris Gold holen würde, wäre das wie ein Stich ins Herz der Kenianer. Denn die 3000 Meter Hindernis sind "ihre" Strecke. Da haben sie sechs Mal in direkter Folge WM-Gold gewonnen. Cherono, ein unerschrockener Bursche vom Stamm der Keiyo, schert sich nicht um Traditionen, er doch nicht. Vom großen Coup träumt er. Von 60.000 Dollar Prämie, die jedem Weltmeister ausgezahlt wird. Und von weiteren Dollars, die sie ihm in seiner neuen Wahlheimat bündelweise nachwerfen, immer vorausgesetzt, er würde sich die Wertvollste aller Medaillen schnappen.
Und was ist mit den deutschen Läufern? Filmon Ghirmai aus Tübingen, der lustige Typ mit den wehenden Rastalocken, ist der einzige DLV-Starter. Damian Kallabis, der Ex-Europameister, hat sich genauso wenig qualifizieren können wie der deutsche Meister Christian Knoblich. Traurig, traurig sieht sie aus, die Realität in der schwächelnden Lauf-Szene hierzulande!
Deutsche Glanzzeiten vorbei
Vorbei sind die glorreichen Zeiten, als Patriz Ilg, der wackere Schwabe, anno 1983 ein Stück WM-Geschichte schrieb. Damals, bei der Premiere-Veranstaltung, war er der erste Weltmeister überhaupt. Mit einem rasanten Finish krönte Ilg sein fantastisches Rennen. Boguslaw Maminski, der Pole, und Colin Reitz, der Brite, kamen nicht mehr mit. Lang, lang ist's her.