Manfred Kehm - Rahmenbedingungen schaffen
Viel Bewegung und Umbrüche charakterisierten die letzten Monate im Hessischen Leichtathletik-Verband (HLV): Anja Wolf-Blanke folgte auf Wolfgang Schad als Präsidentin, Michael Siegel wurde Nachfolger von Horst Blattgerste im Amt des Sportwartes. Und nachdem Jörg Peter als verantwortlicher U18-Bundestrainer zum Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) nach Darmstadt wechselte, übernahm Manfred Kehm zum 1. Januar 2008 das Amt des Leitenden Landestrainers im HLV.
Für Manfred Kehm ist der Weg nach Hessen so etwas wie die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln: Der 42-Jährige stammt aus Frankfurt und studierte dort bis 1993 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Diplom-Sportwissenschaften. Nach dem Examen ergänzte er 1994 sein theoretisches Know-how durch das eher praxisbezogene Studium zum Diplom-Trainer an der Trainer-Akademie in Köln. Im darauffolgenden Jahr trat er als Sportlicher Leiter der Turngemeinde Frankfurt-Bornheim seine erste Festanstellung an.1995 verschlug es Manfred Kehm für zehn Jahre nach Westfalen, wo er als Leistungssportreferent für den Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen (FLVW) tätig war. Es schloss sich ein Wechsel innerhalb des Bundeslandes an: Von 2005 bis 2007 arbeitete Manfred Kehm als Leitender Landestrainer im Landesverband Nordrhein (LVN). Als Trainer ist sein Name vor allem mit den Erfolgen der Mehrkämpfer Claudia Tonn (LC Paderborn) und Christopher Hallmann (SG TSV Kronshagen/Kieler TB) eng verknüpft.
Näher am Geschehen
Außenstehende mag es vielleicht verwundern, dass Manfred Kehm nach nur zwei Jahren die leitende Funktion im leistungsstärksten deutschen Leichtathletik-Landesverband aufgab, um in Hessen die gleiche Stelle zu übernehmen. Ohne die familiären Gründe außer acht zu lassen, hat Manfred Kehm auch gute Argumente, die diesen Wechsel nachvollziehbar machen: „Hessen ist ein kleinerer, überschaubarerer Verband, was mir die Möglichkeit gibt, am Geschehen wesentlich näher dran zu sein. Sowohl in Nordrhein als auch in Westfalen war ich für bis zu 250 Kaderathleten verantwortlich, in Hessen kann ich die 120 Kaderathleten individueller betreuen.“
An weiteren Standortvorteilen mangelt es in Hessen nicht: „Mit Felix Gerbig habe ich auf der HLV-Geschäftsstelle einen hauptamtlichen Mitarbeiter, der mich neben seinen breitensportlichen Aufgaben sowohl im Bereich des Leistungssports als auch im Bereich des Lehrwesens unterstützt und der als Diplom-Sportlehrer immer wieder sein Know-how in diese Aufgaben einfließen lässt“, erklärt er.
Trainer-Lehrer enger einbeziehen
Auf drei hauptamtliche Trainer stützt sich zurzeit vorrangig die Leistungssportförderung im HLV. Dies ist nicht gerade eine üppige Ausstattung, zumal der Disziplinblock Sprint/Hürden nicht hauptamtlich besetzt ist. Umso wichtiger sind für Manfred Kehm die elf Trainer-Lehrer-Stellen, über die das Land Hessen verfügt. „Dies sind reine Leichtathletik-Stellen, und die Mehrheit dieser Trainer-Lehrer arbeitet sogar ausschließlich für die Leichtathletik, wird also gar nicht im normalen Sportunterricht der Schulen eingesetzt.“
Diese elf Trainer-Lehrer enger in die Verbandsarbeit und die Leistungssportförderung einzubeziehen, ist eines der zahlreichen ehrgeizigen Ziele, die sich Manfred Kehm für die nächsten Jahre in Hessen gesetzt hat.
Spitzenleichtathletik vorrangig in Frankfurt
Sein Selbstverständnis als Leitender Landestrainer ist vor allem auch von einer Gesamtverantwortung geprägt: „Ich bin für ganz Hessen verantwortlich. Funktionierende Talentschmieden in der ‚Provinz‘ sind für uns als Verband genauso wichtig wie der Bundesstützpunkt Frankfurt. Natürlich kann Spitzenleichtathletik vorrangig nur in Frankfurt betrieben werden, wo wir mit dem verbandseigenen Wurfhaus in Frankfurt-Niederrad eine Einrichtung haben, die in den alten Bundesländern einmalig ist und sich insbesondere im Erfolg der Hammerwurfgruppe um Betty Heidler unter der Leitung von Michael Deyhle widerspiegelt. Auch die Leichtathletik-Halle in Frankfurt-Kalbach ist für unsere Fördermaßnahmen absolut optimal.“
Die Kommunikation zwischen den Vereinen und dem Verband weiter zu optimieren, ist ein Hauptanliegen von Manfred Kehm: „Erfolgreiche Athleten werden vorrangig im Verein gemacht. Aber uns als Verband kommt eine herausragende Bedeutung als Dienstleister zu. Beispielsweise möchte ich den Bereich der Trainer-Aus- und -Fortbildung wesentlich enger mit der Kader- und Leistungssportförderung vernetzen. Hier kann der Verband den Vereinen unverzichtbare Hilfestellungen leisten.“
Vereine und Verband als Team
Und er fügt hinzu: „Ich sehe ein großes Leistungspotential darin, das moderne wissenschaftliche Know-how nicht nur auf der Ebene der Verbandslehrgänge einzusetzen, sondern den Vereinstrainern verfügbar zu machen. Dies ist ein Baustein auf dem Weg zu einem optimierten Selbstverständnis der Leichtathletik: Ich möchte, dass Vereine und Verband sich als Team verstehen. Die Vereine sollen den Verband stärker als Stütze ihrer eigenen Arbeit wahrnehmen und nutzen.“
Erste Maßnahmen, wie dies verwirklicht werden kann, bestehen bereits: „Als konkrete Maßnahme sind sogenannte „Praxisgespräche“ in den Disziplinblöcken sowie die Präzisierung von Trainerhospitationen in der Aus- und Fortbildung initiiert worden; beides soll zur verstärkten Fachdiskussion über Training und Wettkampf unter den hessischen Trainern beitragen.“
HLV-Kongress im September
Gleichzeitig wirft der 1. HLV- Kongress am 27. September in Bad Vilbel seine Schatten voraus, der vom Programm und der Referenten-Besetzung schon jetzt als durchaus hochkarätig bezeichnet werden darf. „In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Mosaikstein erwähnenswert: Als HLV-Lehrwart fungiert Dr. Luis Mendoza, der gleichzeitig hauptberuflich als Biomechaniker beim OSP-Hessen angestellt ist“, erklärt Manfred Kehm.
Um im Bereich des Leistungssports in Hessen weiter erfolgreich sein zu können, will sich Manfred Kehm auch noch stärker mit dem „sehr gut aufgestellten medizinischen Team des Verbandes“ vernetzen. „Vorbildlich ist in Hessen die Kooperation zwischen Leistungssport und den Universitäten, die mittlerweile fast alle mit dem OSP Hessen Kooperationsverträge abgeschlossen haben. Auf diese Basis müssen die Oberzentren Gießen, Marburg, Kassel, Darmstadt und Fulda verstärkt setzen, um mehr Aktive jenseits der Jugendklasse an sich zu binden und im Sinne einer optimalen dualen Karriere auch die zeitlichen Ressourcen für hochleistungssportlich ambitionierte Athleten sicher zu stellen.“
Eliteschule des Sports
Zudem dient die Carl von Weinberg-Schule in Frankfurt als Eliteschule des Sports, in Verbindung mit dem Haus des Sports, nicht zuletzt auch durch die räumliche Nähe zum Leistungszentrum Frankfurt Niederrad als Grundpfeiler für das HLV-Gesamtförderkonzept.
„Ein weiterer Baustein im Rahmen der großen Herausforderung, Hochleistungssport und Berufsausbildung optimal miteinander verbinden zu können, ist die seit vier Jahren existierende Spitzensportausbildung der hessischen Bereitschaftspolizei, die sogar eine Anwartschaft für den gehobenen Dienst ermöglicht. Dieses Angebot kann als Paradebeispiel in puncto struktureller Unterstützung der dualen Karriere angesehen werden, was aktuell durch die Frankfurter Hochspringerin Ariane Friedrich bestens belegt wird“, hebt Manfred Kehm hervor.
Direkter Praxisbezug
Den direkten Praxisbezug pflegt Manfred Kehm durch seine Unterstützung der erfolgreichen Arbeit des HLV-Landestrainers Mehrkampf Jörg Graf. Im Stabhochsprung ergänzt er hier das Training des U20-WM-Kandidaten Jan-Felix Knobel aus Frankfurt sowie der Nachwuchstalente Steffen Klink (TSV Kirberg) und Aron Schneider (SC Diegten).
Mit konkreten Prognosen, was die sportlichen Erfolge hessischer Athleten in den nächsten Jahren betrifft, ist Manfred Kehm zurückhaltend: „Man kann Erfolg nicht nur an der Zahl von Medaillen und Kaderplätzen festmachen, der biologische Faktor bedingt immer auch unplanmäßige Anteile. Vor allem anderen sind es hochqualifizierte und motivierte Trainer, die uns entsprechend die Zukunft sichern. Diesen muss allerdings auch ein seriöses Berufsbild geboten werden, finanzielle und familiäre Sicherheiten spielen – berechtigterweise – mehr denn je die entscheidende Rolle für eine Vielzahl möglicher Kandidaten.“
Zufälle minimieren und Wahrscheinlichkeiten erhöhen, könnte das Motto für Manfred Kehms Richtung heißen: „Mein Ziel ist es, in Hessen Rahmenbedingungen zu schaffen, die es jedem geförderten und ambitionierten Leichtathleten ermöglichen, an sein individuelles Leistungslimit zu gelangen.“ Als „Nebeneffekt“ dürfte dann sehr wahrscheinlich auch die eine oder andere Medaille mehr für Hessen zu gewinnen sein.