Marc Blume - "Einfach alles maximal"
Eine große Sprint-Karriere geht auf leisen Sohlen zu Ende. Marc Blume (TV Wattenscheid 01) bestritt am vergangenen Wochenende seinen letzten offiziellen 100-Meter-Lauf. Peter Grau traf den 33-Jährigen für leichtathletik.de und führte aus diesem Anlass mit dem Hallen-Europameister von 1996 am Rande des Meetings in Königs Wusterhausen ein ausführliches Interview.

Marc Blume hängt die Spikes an den Nagel (Foto: Chai)
leichtathletik.de:Marc Blume, Sie haben in Königs Wusterhausen Ihren allerletzten 100-Meter-Lauf absolviert. Beschreiben Sie bitte Ihre Gefühle…
Marc Blume:
Es ist schon ein komisches Gefühl ist, zum letzten Mal bei einem Wettkampf in den Block zu gehen. Aber ich weiß, dass ich eine schöne Karriere hatte.
leichtathletik.de:
Der Abschied kommt ja auch nicht plötzlich…
Marc Blume:
Nein, im letzten Jahr gab es die Vertragsverhandlungen mit meinem Verein, dem TV Wattenscheid 01, und da habe ich gesagt, dass 2007 mein letztes Jahr sein soll. Wir haben immer mit offenen Karten gespielt, da fand ich es nur fair, so vorzugehen.
leichtathletik.de:
Blicken wir zurück… Wann hat Ihre sportliche Karriere begonnen?
Marc Blume:
1991, da holte ich meinen ersten Deutschen Meistertitel in der Jugend, ganz in der Nähe, im Olympiastadion von Berlin.
leichtathletik.de:
Wie hatten Sie überhaupt zum Sport gefunden?
Marc Blume:
Geboren wurde ich am 28.12.1973 in Lüdinghausen, einer Gemeinde im Münsterland. Halb so groß wie der Friedhof von San Francisco, aber doppelt so tot. Aufgewachsen bin ich in der Nachbargemeinde in Selm. Sportlich hatte ich bis zum zwölften Lebensjahr nicht viel am Hut. Dann aber kam ein Volleyballtrainer zu mir und meinem Zwillingsbruder Holger, und lud uns ein, mal zum Training zu kommen. Aber nicht zum Volleyball, sie hätten auch eine Leichtathletikabteilung.
leichtathletik.de:
Aber das war auch nicht das Wahre?
Marc Blume:
Nein, denn dort wurden wir für Mittel- und Langstrecken trainiert, aber das war nicht unser Ding. Wenn ich zwei Runden eingelaufen war, habe ich mein Soll schon erfüllt gehabt. Zwischendurch versuchten wir uns beide tatsächlich im Volleyball, aber das war auch nicht das Optimale, denn man konnte so gut spielen wie man wollte, man war doch sehr abhängig von den Leistungen seiner Mitspieler.
leichtathletik.de:
Wie wurden aus Ihnen und ihrem Bruder dann doch noch Sprinter?
Marc Blume:
Wir hatten in der Zeitung gelesen, dass in unserer Nähe, in Nordkirchen, auch eine Leichtathletik-Abteilung bestehen würde und unsere Eltern fuhren uns mit dem Auto mal hin. Da waren wir so 15, 16 Jahre alt. Dort hat es von Beginn an Spaß gemacht. Von da an waren wir Sprinter. Es begann mit Münsterlandmeisterschaften, die ersten kleinen Erfolge folgten. Da wurden auch andere Vereine auf uns aufmerksam, auch die LG Olympia Dortmund. Dort lernten wir 1991 Trainer Ronald Stein kennen, der nach der Wende aus Erfurt herübergekommen war. Danach bin ich gleich Deutscher Jugendmeister geworden, und wir haben auch die Staffel gewonnen.
leichtathletik.de:
Aber ihr Trainer ging zwischenzeitlich nach Bayern…
Marc Blume:
Als es in Dortmund einige Probleme gab, nahm Ronald Stein ein Angebot aus Bayern an, wurde dort 1992 Sprinttrainer. Wir blieben in Dortmund und wechselten zu Thomas Kremer, in die Trainingsgruppe von Silke Knoll. Wir haben uns aber nicht aus den Augen verloren. Ronald Stein wechselte Anfang 1993 nach Wattenscheid als Trainer. Und wir beschlossen, wieder zu ihm zu gehen. Damit schloss sich der Kreis.
leichtathletik.de:
Und dem TV Wattenscheid 01 sind Sie bis heute treu geblieben…
Marc Blume:
Ich bin nun schon 14 Jahre im gleichen Verein. Und ich habe mich dort wohl gefühlt, hatte das richtige Umfeld, wir waren eine tolle Truppe und warum sollte ich da wegen 40 Mark oder Euro ständig den Verein wechseln.
leichtathletik.de:
Nationale Titel haben Sie wie andere Briefmarken gesammelt. Gewöhnte man sich daran?
Marc Blume:
Nein, denn Deutsche Meisterschaften sind immer etwas Besonderes. Und mit jedem Titel, den man mehr geholt hat, wuchs der Druck. Erstmals wurde ich 1993 Meister bei den Männern, gleich im ersten Männerjahr. Da hieß es, dass ich vielleicht Glück gehabt hätte. Danach musste ich den Titel verteidigen, der Druck wuchs.
leichtathletik.de:
In diesen 90er-Jahren wurde der deutsche Sprint oft mit "den Blumes" gleichgesetzt.
Marc Blume:
Das stimmt wohl. Sechs Titel holte ich allein hintereinander über 100 Meter im Freien, da stellte sich schon eine gewisse Routine ein. Aber deshalb bin ich nicht abgehoben.
leichtathletik.de:
Und wie stand es mit den 200 Metern?
Marc Blume:
Ich bin diese Distanz nie gern gelaufen. Es war für mich immer eher ein Halbmarathon. Mein Bruder Holger war überall dort, wo es über 100 Meter hinausging, besser als ich. Es war logisch, dass er dann mehr zu den 200 Metern tendierte.
leichtathletik.de:
Wie geht es Ihrem Bruder Holger?
Marc Blume:
Er hat vor zwei, drei Jahren mit dem Leistungssport aufgehört und ist jetzt Nachwuchs-Trainer beim ASV Berlin. Er ist mit seiner Freundin nach Berlin gezogen und hatte in der Zeitung von dem Angebot gelesen.
leichtathletik.de:
International landeten Sie 1996 bei den Hallen-Europameisterschaften in Stockholm (Schweden) mit dem Titel ihren größten Erfolg. Überhaupt waren Sie in der Halle erfolgreicher als im Freien. Woran lag das?
Marc Blume:
Es ist nicht einfacher in der Halle. Aber mein Vorteil lag immer im Start und in der Beschleunigung. Und bei 60 Metern hatte ich einen gewissen Vorteil gegenüber denjenigen, die erst ab 30, 40 Metern ihre Geschwindigkeit aufbauen und die dann länger halten können.
leichtathletik.de:
Oft wird in der Öffentlichkeit, sicher auch in Funktionärskreisen, die Halle etwas abgewertet. Sehen Sie das auch so?
Marc Blume:
Nein. Ich denke, dass gerade die Halle immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Mittlerweile gibt es einen Hallen-Europacup, es gibt Hallen-Welt- und -Europameisterschaften, und da nehmen genauso viele Länder teil wie draußen.
leichtathletik.de:
10,13 Sekunden, das ist Ihre Bestzeit im Freien, die Sie am 7.6.1996 bei einem Meeting in Nürnberg aufstellten. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Marc Blume:
Mit im Rennen war der Brite Linford Christie. Bis 70 Meter lag ich vorn, dann kam er noch vorbeigeflogen. Aber es war ein enger Einlauf, Linford Christie 10,06, Donovan Bailey 10,09 und ich als Dritter 10,13 Sekunden.
leichtathletik.de:
Aber die Medaillen blieben für Sie international aus.
Marc Blume:
Auf eine warten wir als Staffel noch, auf die von der EM 2002 in München. Die Briten gewannen damals, vor der Ukraine, wir wurden Vierter. Hinterher wurde Dwain Chambers wegen Dopings disqualifiziert, uns steht also Bronze zu. Doch auf die Medaille warten wir noch.
leichtathletik.de:
Warum sind Sie nicht noch schneller gelaufen, nicht unter 10 Sekunden gekommen?
Marc Blume:
Weil ich vielleicht das falsche Müsli gegessen habe. Aber wenn ich bedenke, wer schon alles Weltmeister und Olympiasieger war und wer schon alles positiv getestet wurde, irritiert das doch.
leichtathletik.de:
Wie hat Sie diese ganze Dopingdiskussion beschäftigt?
Marc Blume:
Man muss wissen, wofür man das macht, und was man erreichen will. Und was man dafür einsetzen möchte und was man dafür zurückbekommt. Das muss man abwägen. Mir war eigentlich immer klar, dass ich nicht 9,80 Sekunden oder darunter laufen kann. Aber ich möchte ja die Leistung auch selbst bringen und nicht Medikamente auf dem Trikot stehen haben, die diese Leistung ermöglichen.
leichtathletik.de:
Was war das für ein Gefühl, neben den Großen der Weltsprint-Szene in den Startblöcken zu kauern?
Marc Blume:
Bei meiner ersten WM 1993 in Stuttgart war ich im gleichen Vorlauf wie Carl Lewis. Das war für mich ein Riesenerlebnis. Und da war ich natürlich noch beeindruckt. Aber es gab ja nicht nur ein, zwei Läufe im Jahr. Linford Christie, Donovan Bailey, Lerroy Burrell, Frankie Fredericks, alle und viele andere mehr habe ich als Aktive kennengelernt. Da gewöhnt man sich halt daran, und man will ja auch mal den einen oder anderen schlagen, was mir auch gelungen ist.
leichtathletik.de:
Wie kann man überhaupt das Gefühl eines Sprinters beschreiben?
Marc Blume:
Es ist einfach alles maximal. Man bringt die maximale Kraft auf, man versucht, die maximale Geschwindigkeit zu erreichen, man versucht sie maximal lange zu halten. Man erreicht die höchste Geschwindigkeit überhaupt. Und ich habe immer das Gefühl gehabt, dass das ganze Stadion auf diesen Lauf geguckt hat, man im Mittelpunkt stand. Es kommt bei 100 Metern eben auf die Reaktionszeit am Start an, auf die Beschleunigung an, und nach zehn Sekunden ist alles schon wieder vorbei. Wenn ich wieder wählen müsste, würde ich wieder die 100 Meter wählen.
leichtathletik.de:
Ihre Karriere dauerte von 1991 bis 2007, also 16 Jahre lang. Für einen Sprinter ist das sicher nicht normal. Warum hielten Sie so lange durch?
Marc Blume:
Erstmal hat mich mein Trainer Ronald Stein sehr gut aufgebaut. Es kam ihm nicht darauf an, sofort das Maximum herauszuholen, sondern es sollte erstmal eine gesunde Basis geschaffen werden. Außerdem wurde ich von Verletzungen weniger heimgesucht als vielleicht andere Sprinter.
leichtathletik.de:
Wie lange werden Sie brauchen, um den Abschied vom Leistungssport zu verkraften?
Marc Blume:
Es wird schon eine Zeit dauern. Aber jetzt, wo die Saison vorbei ist, sie war ja auch lang, seit Anfang Mai sind wir unterwegs, ist man froh, wenn man die Beine mal hochlegen kann, die ganze Hin-und-Her-Reiserei ein Ende hat. In zwei bis drei Wochen, wenn das Training der anderen wieder beginnt, werde ich auf meinem Balkon in Wattenscheid sitzen und zusehen.
leichtathletik.de:
Und nicht abtrainieren?
Marc Blume:
Doch, natürlich, aber ich werde nicht das volle Trainingsprogramm mitmachen. Und die anderen werden wieder anfangen, bei mir vor der Haustür ihre Bergläufe zu machen. Hinter dem Wattenscheider Stadion gibt es ein Gelände mit einer 250 Meter langen ansteigenden Gerade, die dafür sehr gut geeignet ist.
leichtathletik.de:
Sie wollen sich aber zukünftig nicht auf die faule Haut legen?
Marc Blume:
Nein, ab 1. Oktober werde ich als Trainer im Schüler- und Jugendbereich des TV Wattenscheid 01 arbeiten und meine Erfahrungen weitergeben. Ich hatte beruflich eine normale Ausbildung zum Bürokaufmann gemacht, im Bochumer Textilunternehmen von Klaus Steilmann. Und jetzt besitze ich eine Trainerlizenz, die ich bald ausbauen will.