| Mittelstreckentalent

Marcel Fehr läuft zwischen zwei Welten

Fast unbemerkt hat sich Marcel Fehr in die deutsche Spitze der Männer geschoben: Vor einer Woche stellte der 21-Jährige in Belgien über 5.000 Meter eine beeindruckende Bestzeit auf. Mit 13:38,53 Minuten blieb er nur dreieinhalb Sekunden von der EM-Norm für Zürich (Schweiz; 12. bis 17. August) entfernt. Die Überraschung war für den Junior so groß, dass er über einen nochmaligen Angriff auf die Norm erstmal nachdenken muss.
Pamela Ruprecht

In seiner Jugend lief alles glatt. Mehrmals Deutscher Jugendmeister auf den 1.500 Metern und vor der Saison 2012 - seiner ersten in der Aktivenklasse - hoffnungsvolles Nachwuchstalent. Die internationale Ausbeute: Sechster bei der U20-WM 2010 und Vierter bei der U20-EM 2011, jeweils über 1.500 Meter.

Doch dann hatte Marcel Fehr einen folgenschweren Zusammenprall mit einem Couchtisch. Knieentzündung, Virusinfektion, Fehlbelastung durch zu frühe Rückkehr ins Training, Probleme am anderen Bein, Saisonausfall - so hatte er sich den Übergang in die Aktiven-Klasse nicht vorgestellt.

Aus der Traum von einer U23-EM-Medaille

2013 reichte es nach einem Jahr ohne Wettkämpfe und einer weiteren Knieverletzung durch einen Sturz auf einer Eisplatte nicht, für den Saisonhöhepunkt rechtzeitig fit zu werden. Wieder aus zu großem Ehrgeiz belastete er sein Knie im Höhentrainingslager in Flagstaff (USA) zu früh und kam mit Achillessehnenproblemen zurück. Die anschließende Schonphase kostete ihn die Form für die Qualifikation zur U23-EM in Finnland.

Eine vertane Chance, wie der Läufer der LG Limes-Rems heute weiß. „Das war im Endeffekt ärgerlich, weil es das letzte Jahr war, in dem es für mich eine U23-EM gegeben hätte.“

Bestzeiten stimmen versöhnlich

Ein versöhnliches Ende gab es im schwierigen Jahr 2013 dennoch: Marcel Fehr knackte noch eine Reihe von Bestzeiten (1.500 m, 5.000 m und 10 km auf der Straße) und wurde für die U23-Challenge im Vorprogramm des Diamond League-Finals in Zürich nominiert. Hinter Timo Benitz (LG farbtex Nordschwarzwald) lief er als Zweiter ein. Trotz der verpassten U23-EM „war das auf jeden Fall besser, als ein ganzes Jahr verletzt zu sein.“

Die 5.000-Meter-Zeit, die er jetzt im belgischen Oordegem lief, hievte Marcel Fehr im europäischen Vergleich der Junioren derzeit auf Platz zwei, auf den 3.000 Metern steht er gar auf Platz eins der Bestenliste. Aber dieses Jahr gibt es keinen internationalen U23-Höhepunkt und zurückspulen kann er die Zeit nicht.

Neu auf den längeren Strecken

In der Zukunft muss sich der Läufer im Erwachsenenbereich behaupten, um noch an internationalen Meisterschaften teilnehmen zu können. Der Vorteil, bei den Männern in den Ergebnislisten zu stehen: „Man weiß, dass es keine älteren Läufer gibt, die noch besser sind. Man ist mittendrin unter den Schnellsten.“ Und das hat es in sich.

Das 5.000-Meter-Rennen steckt Marcel Fehr noch in den Knochen. Die Belastung der langen Strecke, die er erst zum zweiten Mal auf Zeit gelaufen ist, ist er noch nicht gewohnt. In der Jugend lag sein Fokus auf den 1.500 Metern. „Ich musste danach eine ganze Weile im Gras rumliegen, bevor ich überhaupt wieder aufstehen konnte.“ Da sind die anderen, älteren Athleten, schon beim Auslaufen.

EM-Norm-Angriff ja oder nein?

Mit dem Plan, erstmals unter 14 Minuten zu laufen, war er nach Belgien gefahren. Dass er am Ende 33 Sekunden unter seiner alten Bestzeit blieb, davon waren Marcel Fehr und sein Trainer Uwe Schneider selber überrascht. Mit einer Zeit, die der EM-Norm so nahe kommt und die aktuell Platz drei in Deutschland bedeutet, hat keiner gerechnet. Das müssen sie nun sortieren.

„Wir wissen noch nicht genau, wie es weitergehen soll.“ Wird jetzt die EM-Norm angegriffen? Problem: „Eigentlich habe ich in dem Rennen wirklich optimale Bedingungen gehabt und bis auf die letzte Sekunde alles aus mir rausgeholt.“ Eine bessere Zeit würde er in den nächsten Wochen nur schaffen, wenn er mit dem Training in Ruhe zulegen kann.

Es soll nicht auf Teufel komm raus um Zürich gehen, mit der Gefahr sich zu verheizen. Die 5.000 Meter sind ein anderes Kaliber als die 1.500 Meter, die kosten deutlich mehr Kraft. Mit 21 Jahren habe er noch Zeit, da müsse man nicht den Normen hinterherlaufen und könne sich mit dem Resultat zufrieden geben. „Auf der anderen Seite kitzelt es einen schon, wenn man so nah dran war. Man denkt, die drei Sekunden kannst du auch noch rausholen.“

Letzte U23-DM mitnehmen

„Schwammig“ ist daher die weitere Planung. Sicher ist sein Start bei den Deutschen U23-Meisterschaften am Wochenende (21./22. Juni) in Wesel. Das letzte Juniorenjahr will er mitnehmen, auf welcher Strecke, ist noch offen. Seine 5.000-Meter-Zeit ist zwar die stärkere. Aber wenn er die EM-Norm nochmal angreifen will, ist es cleverer sich zu schonen und die 1.500 Meter zu laufen.

Falls die Entscheidung für eine weitere Attacke auf die Norm fällt, ist damit frühestens Anfang bis Mitte Juli zu rechnen. Dazu muss auch erst einmal ein passendes Rennen her.

„Jetzt startet man gegen alle“

Nach den holprigen Jahren 2012 und 2013 ist Marcel Fehr bei den Männern angekommen. In den DLV-Ranglisten steht er über 3.000 Meter nach Platz drei bei der Hallen-DM auch im Freien in den Top Drei. In Pliezhausen konnte er sich von 8:05 Minuten aus dem Jahr 2010 („allerhöchste Zeit, dass die nach unten korrigiert wurde“) auf 7:54,63 Minuten verbessern. Damit rangiert er auf Platz zwei, 38 Hundertstel hinter Arne Gabius (LAV Stadtwerke Tübingen).

In der Regel dauert es ein paar Jahre, bis Talente bei den Aktiven die gleichen Erfolge feiern wie in der Jugend. Der Mittelstreckler ist bei kontinuierlichem Training nicht mehr weit weg. „In Leipzig hat es im Endspurt noch nicht gereicht, gegen Carsten Schlangen oder Homiyu Tesfaye zu bestehen. Aber ich habe gemerkt, dass es möglich ist, in den nächsten Jahren den Anschluss zu finden.“

Marcel Fehr sieht es als Herausforderung, mit der härteren Konkurrenz mitzuhalten. „Jetzt startet man gegen alle“, nicht mehr nur gegen Gleichaltrige. Bei den letzten Deutschen Meisterschaften in Ulm hatte er einen schwarzen Tag erwischt und musste nach Problemen mit der Hitze aus dem Rennen aussteigen. Das will er diesen Sommer besser machen.

Schallmauern brechen

Der Student des Internationalen Managements in Ansbach hat sein Trainingspensum im Vergleich zur Jugendphase kaum nach oben geschraubt. Nach den vielen Verletzungen und Krankheiten versucht er in erster Linie gesund zu bleiben. Er ist vorsichtiger geworden, deshalb dieses Jahr auch nicht ins Höhentrainingslager gefahren. Anstelle Kilometervorgaben durchzuprügeln, hört er auf die körperlichen Zeichen.

„Dieses Jahr wäre gut, um ein paar Schallmauern zu knacken“, hatte er sich vor Saisonbeginn gesagt. Für jede Strecke hatte er eine magische Marke gesetzt, vor der die Uhren stoppen sollten: Über 1.500 Meter 3:40 Minuten, über 3.000 Meter 8 Minuten, über 5.000 Meter 14 Minuten und über 10.000 Meter 30 Minuten. Zwei der Grenzen hat er schon unterboten.

Übergang zwischen zwei Welten

National ist der zweifache Deutsche Jugendmeister von 2011 vorne angekommen. International steht er mit seiner 5.000-Meter-Bestzeit noch zwischen zwei Welten. „Bei den Junioren ist die Zeit europäische Spitze, bei den Männern nicht ganz so viel wert.“ Ab nächstem Jahr gibt es für ihn zur Orientierung nur noch eine Skala, die der Aktiven. „Zur WM-Norm von 13:15 Minuten ist es dann nochmal eine andere Welt.“ Aber auch diese möchte er sich langfristig erschließen.

Zwei Jahre hat es unter erschwerten Bedingungen gedauert, bis er sich bei den Erwachsenen etablieren konnte. Nach den Übergangsschwierigkeiten ist der bald 22-Jährige dort schneller gelandet, als er dachte. Die Möglichkeit, sein Studium flexibel zu gestalten, und die große Trainingsgruppe der LG Limes-Rems - nur zwei der Erfolgsfaktoren.

Auf eine Strecke hat sich Marcel Fehr noch nicht festgelegt. Für die 5.000 Meter fehle es noch an Ausdauer und Trainingsvolumen, um mit dem Tempo der Männer konstant Schritt zu halten. Steigerungspotential ist jedoch genug vorhanden. Und mit ein paar Trainingsjahren mehr in den Beinen wird er nach einem 5.000er sicher genauso lässig aufstehen und zum Auslaufen gehen können wie die anderen Athleten.

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