Markus Rehm - Sprung ins Rampenlicht
Markus Rehm (TSV Bayer 04 Leverkusen) hat mit seinem Siegersprung bei der WM in Lyon (Frankreich) einen neuen Maßstab im Behindertensport gesetzt. Mit einem Satz auf 7,95 Meter verbesserte der Weitspringer seinen eigenen, erst kürzlich aufgestellten Weltrekord gleich um 41 Zentimeter. Mit dieser Leistung wäre der 24-Jährige bei den Olympischen Spielen 2012 Achter und bei den Deutschen Meisterschaften in Ulm 2013 Dritter geworden.
Schon als kleiner Junge war Markus Rehm sportlich vielseitig begabt. Er betrieb Leichtathletik bei seinem Heimatverein TG Reichenbach und liebte das Skifahren, im Winter auf Schnee, im Sommer auf dem Main bei Kitzingen, wo die Familie regelmäßig Camping-Urlaub machte.Als ihm das Gleiten auf zwei Brettern zu langweilig wurde, wechselte er zum Wakeboarden. Im Sommer 2003 wurde ihm die Begeisterung für diese Sportart jedoch zum Verhängnis. Bei einem Sprungversuch stürzte er bei der Landung und tauchte unter. Ein Motorbootfahrer übersah den Jungen und fuhr über ihn hinweg. Dabei geriet Markus Rehm unter die Schiffsschraube.
Drei Tage kämpften die Ärzte an der Uniklinik Würzburg um sein schwer verletztes rechtes Bein – vergebens. Es musste amputiert werden. Ein harter Schlag für den 14-Jährigen.
Schicksalsschlag als neue Chance
„In mir ist eine Welt zusammengebrochen“, sagt Markus Rehm. Sechs Wochen lag er im Krankenhaus, fünf Wochen Reha schlossen sich an. „In dieser Zeit habe ich gelernt, den Schicksalsschlag als neue Chance zu sehen. Freunde und vor allem meine Familie haben mir dabei geholfen.“
Nach seiner Reha erhielt er eine Prothese, mit der er gut zurecht kam. Er fasste neuen Mut, wollte sich und allen anderen beweisen, dass er auch mit dem Handicap noch vieles erreichen kann. Bereits ein Jahr später stand er wieder auf dem Wakeboard, wurde 2005 Deutscher Jugend-Vizemeister mit diesem Sportgerät.
Schützling von Steffi Nerius
Dass Markus Rehm wieder zur Leichtathletik fand, verdankt er einem Zufall. Athleten des TSV Bayer 04 Leverkusen wurden auf ihn aufmerksam, als er bei einer Messe Trampolin-Sprünge mit dem Wakeboard vorführte. Sie animierten ihn 2008 zum Vereinswechsel. In Leverkusen fand er ein neues Zuhause – und mit der ehemaligen Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius eine ambitionierte Trainerin, die sein Talent im Sprint und Sprung förderte.
Markus Rehm wurde 2012 in London (Großbritannien) Paralympics-Sieger im Weitsprung und verteidigte in Lyon seinen Titel mit Weltrekord. Sein besonderer Dank gilt seiner Trainerin: „Sie weiß genau, wie ich funktioniere. Ohne Steffi hätte ich das nicht geschafft.“
Tüfteln an der eigenen Prothese
Als Orthopädiemeister leistete er neben der konsequenten Trainingsarbeit mit der Fertigung einer perfekt sitzenden Prothese einen weiteren entscheidenden Beitrag zur Erfolgsstory. „Den Schaft aus Kohlefaser stelle ich selbst her“, erklärt er.
An die Unterseite des Schafts hat Markus Rehm ein Ventil eingebaut, damit zwischen Stumpf und Schaft ein Unterdruck entstehen kann. Der unechte Teil des Beins saugt sich am echten fest, die Verbindung sitzt optimal. Der Fußteil aus Karbon wird in Island hergestellt. Er hat eine Sohle, die Rehm mit einer Mischung aus Alu- und Edelstahl-Spikes bestückt.
Gemeinsame oder getrennte Wertung?
Für die Wettkämpfe der Behinderten ist der gebürtige Schwabe aus Reichenbach unterm Rechberg heute fast schon zu gut. Der Niederländer Ronald Hertog, Zweitplatzierter in Lyon, sprang 1,17 Meter kürzer. Verständlich, dass Markus Rehm den Wunsch hat, sich künftig in großen Wettkämpfen mit Nichtbehinderten zu messen. Allerdings: Die IAAF-Regel 144, Absatz 2c, spricht dagegen. Sie verbietet den Gebrauch von Technologien und Geräten, die dem Nutzer einen Vorteil gewähren.
IAAF-Councilmitglied Helmut Digel findet das richtig: „Wettkämpfe mit und ohne technische Hilfsmittel sind zwei verschiedene Sportarten, zumal die Biomechanik in jüngster Zeit deutliche Fortschritte gemacht hat. Man sollte sie international unter dem Aspekt der Chancengleichheit nicht miteinander vermengen. Wenn Behinderte bei deutschen oder regionalen Meisterschaften mit Nichtbehinderten an den Start gehen, aber getrennt gewertet werden, ist dagegen nichts einzuwenden.“
Fachwelt uneins
Aber bringen Hilfsmittel wie das von Markus Rehm wirklich einen Vorteil? Schon bei der Bewertung der Leistungen des südafrikanischen Sprinters Oskar Pistorius waren sich die Sportwissenschaftler uneins. Nach einem zweitägigen Test an der Sporthochschule Köln kam Prof. Dr. Gert-Peter Brüggemann, Leiter des Instituts Biomechanik, 2008 zu der Auffassung, der beidseitig Unterschenkelamputierte habe durch seine Prothesen aus Karbon einen unerlaubten Vorteil gegenüber Nichtbehinderten, weil er rund 25 Prozent weniger Energie verbrauche
Das Internationale Sportgericht CAS verschaffte Pistorius trotzdem eine Starterlaubnis bei den Weltmeisterschaften in Daegu (Südkorea) 2011 sowie bei den Olympischen Spielen 2012 in London. Begründung: Ein unfairer Vorteil könne nicht eindeutig bewiesen werden.
Bald gegen Nicht-Behinderte?
Das CAS kam damit einer Entscheidung der UN-Behindertenkonvention von 2006 entgegen. In Artikel 30 wird ausdrücklich eine Teilnahme von Menschen mit Behinderung am Sport gefordert. In Absatz 5 heißt es sogar, man müsse „geeignete Maßnahmen finden, eine gleichberechtigte Teilnahme an Sportaktivitäten zu ermöglichen“. Inklusion heißt das Zauberwort.
Über die Umsetzung der Konvention wurde schon im Sportausschuss des Bundestags diskutiert und zwischen DLV-Präsident Dr. Clemens Prokop und Behinderten-Vorstand Friedhelm Julius Beucher finden über dieses Thema seit geraumer Zeit Gespräche statt.
Für Prokop, ehemals ein erfolgreicher Weitspringer, besteht vor allem in dieser Frage Klärungsbedarf: Wie kann vermieden werden, dass nicht die technische Qualität der Hilfsmittel, sondern die körperliche Leistungsfähigkeit über das sportliche Ergebnis entscheidet? Weil die Antwort offen ist, gelte es, nach Lösungen zu suchen, „die dem Ziel der Inklusion möglichst weitgehend gerecht werden“. Gleichzeitig müsse aber das grundlegende Prinzip des sportlichen Wettkampfs, nämlich die objektive Vergleichbarkeit der Leistung, gewahrt werden.
Markus Rehm gelassen
Markus Rehm hält die Diskussionen für „überhitzt“ und verfolgt sie relativ gelassen. Er sagt: „Ich würde mich gern mit dem Verband zusammensetzen und eine brauchbare Lösung für alle Beteiligten finden." Einen Start einzuklagen, das komme für ihn nicht in Frage. "Ich will keinen Ärger.“
Die Saison hat Markus Rehm beendet. Bis er 2014 wieder ins Geschehen eingreift, bastelt er an einer neuen, noch besseren Prothese, mit der er als erster Behinderter die Acht-Meter-Schallmauer durchbrechen will. „Ich weiß jetzt, dass es möglich ist.“
Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift