Martin Keller: "An der Zeit, Meister zu werden"
So schnell wie Martin Keller (LAZ Leipzig) ist noch kein Deutscher gelaufen. Bei einem Wettkampf in Clermont (USA) lief der Sprinter die 100 Meter in 9,99 Sekunden – allerdings mit irregulärem Rückenwind von 3,7 Metern pro Sekunde. Im Interview spricht der 26-Jährige über Fluch und Segen dieser Fabelzeit, über ein Rauschen im Blätterwald und warum er in diesem Jahr seinen ersten deutschen Meistertitel holen will.

Martin Keller:
Das klingt erstmal gut. Wenn da nicht dieser Wind wäre. Ein Rückenwind von 2,0 wäre mir lieber gewesen.
3,7 Meter Rückenwind pro Sekunden: Erklären Sie dem Sprintlaien mal, wie viel das überhaupt ist.
Martin Keller:
Das ist schon einiges. Es gibt da eine Faustformel: Ein Meter Rückenwind pro Sekunde entspricht einer Zehntelsekunde. Aber so viel Wind, wie es in Clermont war, das ist schon nicht mehr nur schön. Die Schubkraft von hinten muss man überhaupt erstmal als Geschwindigkeit auf der Bahn umsetzen können. Wenn man nichts draufhat, dann hindert so ein Wind eher.
Dann haben Sie also etwas drauf?
Martin Keller:
Ich denke schon. Ich glaube, unter regulären Bedingungen wäre ich an dem Tag 10,15 Sekunden, vielleicht sogar 10,13 Sekunden gelaufen.
Das wäre eine neue Bestzeit, die seit 2008 bei 10,23 Sekunden steht. Fühlen Sie sich so schnell wie nie zuvor?
Martin Keller:
Sagen wir es so, ich habe viel an meinem Start gearbeitet und bin erstmals seit 2008 wieder richtig gut im fliegenden Bereich. Das ist mir sogar fast lieber. Mir ist es wichtig, dass ich am Start gut wegkomme, aber dann ab 50 Metern nochmal richtig Gas geben kann. Und das klappt momentan schon ganz gut.
Nun stehen da aber 9,99 Sekunden. Ist so eine Zeit Fluch oder Segen?
Martin Keller:
Naja, bis auf öffentliches Interesse habe ich ja noch nichts von dieser Zeit. Kann sein, dass die Öffentlichkeit nun von mir erwartet, dass ich so eine Zeit auch unter regulären Bedingungen laufe, aber da lasse ich mich nicht unter Druck setzen. Für mich zählt jetzt erstmal die WM-Norm von 10,15 Sekunden. Und was dann kommt, schauen wir mal.
Dennoch hat diese Zeit ein enormes Interesse provoziert. Die „Bild“ kürte Sie gar zum „Aufsteiger des Tages“. Verbuchen Sie das unter positiven Momentaufnahmen, oder können Sie langfristig daraus Motivation ziehen?
Martin Keller:
Mir gibt das schon einen kleinen extra Schub. Ich war vor Clermont schon heiß, aber jetzt hab‘ ich richtig Bock, diese Saison einen abzufackeln.
Sechs Wochen waren Sie jetzt im Trainingslager in den USA, länger als alle anderen DLV-Sprinter. Warum?
Martin Keller:
Weil ich glaube, dass das Sinn macht. Die klimatischen Bedingungen sind in Florida ideal und je länger ich dort trainieren kann, umso besser. Bei der Hitze kann ich besser an meiner Form arbeiten und verarbeite die Trainingsreize auch besser. Außerdem trainierten auf unserem Trainingsgelände unter anderen Justin Gatlin und Churandy Martina. Da kann man sich schon was abschauen und abgesehen von meinem Trainingsplan habe ich gefragt, ob ich einmal in der Woche bei Starts mitmachen darf. Dennis Mitchell war sehr freundlich, hat mich mitmachen lassen und mir sogar nützliche Hinweise zu meiner Technik gegeben.
Seit Donnerstag sind Sie wieder zurück in Deutschland. Haben Sie noch Muskelkater?
Martin Keller:
Ach, es geht mir ganz gut. Nach dem Wettkampf in Clermont war ich allerdings richtig platt. Nach den 100 Metern bin ich ja auch noch über 200 Meter gestartet, das ist überhaupt nicht meine Strecke. Ich komme bis 150 Meter und dann ist einfach der Tank leer. Aber ich finde ja, dass jeder Wettkampf besser ist als eine Trainingseinheit, deshalb habe ich in den USA auch mehrere Trainingswettkämpfe eingestreut. In Gainesville bin ich etwa gegen Justin Gatlin gelaufen. Den kann ich zwar nicht schlagen, aber in Rennen gegen diese schnellen Jungs lerne ich, nicht zu verkrampfen und trotzdem meinen Schritt voll durchzuziehen, auch wenn die vor mir herrennen. Davon kann ich nur profitieren.
Im Jahr 2011 hatten Sie immer wieder Verletzungssorgen. Seitdem scheinen Sie verletzungsfrei durchzukommen. Haben Sie Ihr Training umgestellt, oder verträgt der Körper die Belastungen heute einfach besser?
Martin Keller:
2011 hatte ich immer wieder Wadenprobleme und daraus folgte dann ein Muskelfaserriss. Danach haben wir erst herausgefunden, dass es an den Schuhen und meiner Fußstellung lag. Seitdem trage ich Einlagen und es läuft. Im letzten Jahr war ich noch nicht wieder 100-prozentig auf der Höhe, aber nach einem kompletten Jahr mit Verletzungen braucht der Körper auch etwas Zeit. Deshalb glaube ich, dieses Jahr kann schnell werden.
Wie schnell?
Martin Keller:
Die WM-Norm traue ich mir auf jeden Fall zu. Und auch mit der Staffel können wir noch was rausholen. Beim Rekord im letzten Jahr (38,02 Sekunden, Anm. d. Red.) haben wir gesehen, dass da noch Luft nach oben ist. Sowohl bei den Wechseln als auch im läuferischen Bereich. Wenn da alles gut passt, ist vielleicht eine 37er-Zeit drin.
Wo wollen Sie denn persönlich schnell laufen?
Martin Keller:
Mein Wettkampfplan steht noch nicht ganz fest. Sicher sind bislang die Starts in Weinheim (25. Mai), Regensburg (8. Juni) und die Deutschen Meisterschaften in Ulm (6./7. Juli). In Regensburg will ich mich für die Team-EM empfehlen, da wäre ich gerne mit einem Einzelstart dabei.
Jetzt haben Sie ja lange mit den besten deutschen Sprintern zusammen trainiert. Mit Hinblick auf Ulm: Wer ist der Schnellste?
Martin Keller:
Ich glaube, Julian ist derjenige, den es zu schlagen gilt. Er trainiert anders als ich, deshalb ist es jetzt schwer schon Prognosen zu treffen, aber ich sehe mich momentan mit ihm auf Augenhöhe. Und auch den amtierenden Deutschen Meister Lucas Jakubczyk schätze ich hoch ein. Es könnte auf einen Dreikampf zwischen uns hinaus laufen. Aber ich finde, mit fast 27 Jahren ist es für mich mal an der Zeit, dass ich Deutscher Meister werde.