Martin Lauer wird 70 - Höhen und Tiefen
Am heutigen Dienstag wird Martin Lauer 70 Jahre alt. Eine große Geburtstagsfeier ist nicht angesagt, "da den meisten nach den Feiertagen mit all den Gänsen sowieso nicht mehr zum großen Festen zumute ist." Begrüßen wird Deutschlands berühmtester Hürdensprinter sein neues Lebensjahr im kleinen Kreis der Familie.
Martin Lauer wird heute 70 Jahre alt (Foto:Chai)
Viele Leute einzuladen, ist nicht das Ding des Martin Lauers, denn da hat man "nur zwei Sekunden Zeit mit jedem zu reden."Der Diplom-Ingenieur befindet sich seit 1988 im Ruhestand und kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken mit manchen Höhen, aber auch einigen Tiefen.
Bis 1960 lief für im Sportlerleben fast alles perfekt. Doch eine verunreinigte Injektionsnadel beendete ein Jahr später eine Karriere, die eigentlich erst bei den Olympischen Spielen 1964 in Tokio (Japan) ihren Höhepunkt hätte finden sollen. Der Beginn dieser Geschichte liegt vor den Spielen in Rom 1960.
Gehandicapt durch eine Knochenhautentzündung musste er auf einen Doppel-Start über 110 Meter Hürden und im Zehnkampf verzichten. Sein Auftritt in seiner Paradedisziplin endete mit einem vierten Platz. Stattdessen hat er sich auf die Sprintstaffel konzentriert und wurde dafür zusammen mit Armin Hary, Bernd Cullmann und Walter Mahlendorf auch mit Gold belohnt. Im Anschluss begab sich der damals 23-Jährige in ärztliche Behandlung. Eine Serie von drei Spritzen sollte die Entzündung stoppen. Die dritte, die er sich an seinem Studienort in München setzen ließ, führte dann zu einer Blutvergiftung im Fußgelenk.
Mit Musik gegen die Schulden
Zahlreiche Fehler der behandelnden Ärzte spitzten die ganze Situation dramatisch zu. Eine Amputation des Beines wurde gar erwogen, doch ein verzweifelter Martin Lauer wehrte sich dagegen. Er wollte lieber sterben, als dass man ihm das Bein abnimmt. Das Schicksal kannte kein Erbarmen mit dem gebürtigen Kölner in diesen Tagen. Auf der Autobahn bei Augsburg verunglückte seine damalige Freundin zusammen mit seinem Bruder Fredy nach einem Besuch an seinem Krankenbett. Die Freundin starb und der Bruder trug schwere, dauerhafte Verletzungen davon, an deren Folgen er Jahre später starb.
Auch finanziell wurde die Situation prekär. Er musste seine Behandlungen und sein Studium finanzieren. Der "Musikus", der sowohl Akkordeon, Saxophon als auch Gitarre beherrscht, begann noch im Krankenhaus seine ersten Lieder zu schreiben. Zahlreiche bekannte Songs ("Sacramento"; "Die letzte Rose der Prärie"; "Taxi nach Texas") nahm er auf und verkaufte damit über sechs Millionen Platten. "Gutes Geld" hat er damit verdient, welches aber auch gebraucht wurde. Prozesse gegen die Versicherung des Krankenhauses verschlangen eine Summe, die größer war, als der "Preis eines normalen Hauses." Erschöpft an "Geld, Nerven und Kraft" hatte er am Ende einem Vergleich zugestimmt.
Doppel-Weltrekord im legendären Letzigrund
Schulden waren nicht das einzige Andenken an diese Zeit, viele Jahre litt er unter starken Schmerzen, die sich erst 1988 besserten, nachdem er sich ein künstliches Kniegelenk einsetzen ließ. Doch vor der Zeit der Schmerzen, nicht nur der physischen, stand eine Sportlaufbahn, die von einem Höhepunkt zum nächsten ging.
Einer dieser Höhepunkte war sicherlich der 7. Juli 1959. Auf der schnellen Aschenbahn des Züricher Letzigrundes lief er mit 13,2 Sekunden einen Weltrekord über die 110 Meter Hürden, der bis zum Jahre 1972 bestand haben sollte. Sein US-amerikanischer Gegner Willie May forderte gleich im Anschluss Revanche über die selten gelaufenen 200 Meter Hürden. Anstatt seine Revanche zu bekommen, durfte er Zeuge werden, wie Martin Lauer in 22,5 Sekunden einen zweiten "Weltrekord" auf die Bahn zauberte.
Nur knapp an 8.000 Punkten vorbei
Das Jahr 1959 stand sowieso unter einem ganz besonderen Stern für den 1,86 Meter großgewachsenen Athleten. Am 29. und 30. August stellte er mit 7.955 Punkten einen neuen deutschen Zehnkampf-Rekord auf. 45 Punkte fehlten ihm dabei zu den magischen 8.000. Gründe dafür gab es einige. Er selber beförderte den Diskus nur auf 32 Meter, aber vor allem die äußeren Umstände verhinderten eine bessere Punktzahl. Am zweiten Wettkampftag fand zeitgleich ein Fußballspiel zwischen dem FC Schalke 04 und Fortuna Düsseldorf statt. So mussten die 1.500 Meter in der Halbzeitpause dieser Begegnung absolviert werden und beim Speerwerfen, das auf einem Feld vor dem Stadion ausgetragen wurde, beseitigten Fußballfans die Anlaufmarken.
Im Jahr davor konnte er Europameister über die Hürden werden und lief gemeinsam mit Manfred Steinbach, Manfred Germar und Heinz Fütterer Weltrekord über 4x100 Meter beim Stadionfest des ASV Köln. "Wir haben viel Blödsinn gemacht. Und das war nur einer von vielen", erinnert er sich an die aus der Not heraus geborene Staffel. Gerade mal 19 Jahre alt belegte er bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne einen vierten Platz über die 110 Meter Hürden und einen fünften im Zehnkampf. Dazu kamen 16 Deutsche Meistertitel.
Segeln und Surfen am Tegernsee
1964 war er dann gezwungen, als Journalist auf Krücken nach Tokio zu reisen. "Rotz und Wasser" hat er dabei geheult und es war nur ein schwacher Trost, dass sein Freund Willi Holdorf Gold im Zehnkampf gewinnen konnte. Beruflich legte er nach Beendigung seines Studiums eine einem Zehnkämpfer durchaus ebenbürtige vielseitige Karriere hin. Er war Spezialist für Natriumkühlung bei Kernreaktoren, beschäftigte sich mit Teilbereichen der Raumfahrt, arbeitete an der Entstehung des ersten Mikrocomputers mit und war bei den Olympischen Spielen in München für die Zeitmessung zuständig.
Auch dem Sport blieb er dabei bis zum heutigen Tag immer verbunden. Regelmäßig schreibt er Kolumnen über unterschiedliche Themen. Gleichzeitig steht Martin Lauer seit 1978 in seinem Wohnort Lauf bei Nürnberg, wo er mit seiner Familie seit 1977 lebt, der LG Lauf-Pegnitzgrund als 1. Vorsitzender vor, bei der er hin und wieder als Übungsleiter aushilft. Selber aktiv ist er, wenn er im Sommer Segeln und Surfen an den Tegernsee geht.