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Marvin Schlegel: "Geflasht" von U20-Europarekord und EM-Premiere

Im Windschatten von Marc Koch ist Marvin Schlegel bei der Hallen-DM in Leipzig über 400 Meter zur Hallen-EM-Norm für Belgrad gelaufen. Erst am nächsten Tag erfuhr der 19-Jährige, dass seine 46,78 Sekunden – durch das Neuschreiben der kontinentalen Rekordlisten vor vier Jahren – wohl bald als neuer U20-Europarekord geführt werden. Wäre der schnellste deutsche U20-Athlet seit 1991 drei Tage früher auf die Welt gekommen, würde ihm diese Ehre nicht zu teil werden.
Pamela Ruprecht

„Das ist optimal, besser kann man’s nicht machen“, sagt Marvin Schlegel (LAC Erdgas Chemnitz) über sein Geburtsdatum – ein Tag nach Neujahr. Denn wäre der 19-Jährige drei Tage früher geboren worden, würden seine 46,78 Sekunden aus dem Hallen-DM-Finale in Leipzig nicht in die Jugend-Rekordlisten des Europaverbandes eingehen. Der Schüler des Sportgymnasiums in Chemnitz würde dann schon zur Erwachsenenklasse zählen.

Dass seine Zeit als Europarekord zählt (vorbehaltlich der Ratifizierung durch den Europaverband), ist ohnehin ein kleines Kuriosum. Die EAA legte vor vier Jahren die zehntbeste Leistung der ewigen U20-Bestenliste als neuen Referenzwert fest, diese fiel auf den Russen Valentin Kruglyakov (46,98 sec; 2005). Den deutschen U20-Hallenrekord hält aber Thomas Schönlebe seit 1984 mit 46,39 Sekunden.

Wie stark die Zeit von Marvin Schlegel dennoch ist, zeigt, dass seit der Wiedervereinigung kein deutscher Nachwuchsathlet auf den zwei Hallenrunden schneller unterwegs war. Und dass er in diesem Winter einer von nur vier Nachwuchstalenten weltweit ist, die unter 47 Sekunden bleiben konnten. Nur drei US-Amerikaner stehen in der U20-Weltjahresbestenliste vor ihm, allen voran der zwei Jahre jüngere Tyrese Cooper (46,01 sec). Belohnung für den Deutschen U18-Meister von 2015 war das Ticket nach Belgrad. Nach seinem 400-Meter-Einzel-Start bei der Hallen-EM könnte innerhalb kürzester Zeit der zweite internationale Einsatz bei den Aktiven folgen.

Eigene Routinen auf internationalem Parkett entwickeln

Marvin Schlegel fliegt nächsten Mittwoch mit ins Vorbereitungscamp der Langsprinter nach Teneriffa (Spanien), wo am 4. April eine Trainingsdiagnose-Einheit stattfindet, die gemeinsam mit den Eindrücken aus dem Trainingslager den Ausschlag für die Besetzung der deutschen 4x400-Meter-Staffel für die IAAF World Relays gibt. Der U18-WM-Teilnehmer von 2015 ist von dem Belgrad-Erlebnis (Serbien) erholt und will sich für die Staffel-WM in Nassau (Bahamas; 22./23. April) empfehlen. 2016 trug er als Schlussläufer des 4x400-Meter-Quartetts zum fünften Platz bei der U20-WM in Bydgoszcz (Polen) hinter USA, Botswana, Jamaika und Japan bei.

Der Chemnitzer will weiter Erfahrung sammeln. Bei der Hallen-EM konnte er sich vom Vorzeige-400-Meter-Läufer aus Tschechien viel abschauen. „Das war schon sehenswert, ihn mal live zu sehen, wie er jede Sekunde des Rennens dominiert und dem Lauf seinen Stempel aufgedrückt hat“, sagt der Deutsche Vize-Hallenmeister über Pavel Maslak, der im Vorlauf vor ihm über die Bahn zog und im Finale seinen dritten Titel in Folge holte. „Man merkt, dass die Athleten schon länger im internationalen Geschäft sind.“ Die Abläufe für die Profis Routine, für den Youngster neu. „Da muss man hellwach sein, um auf der Runde nicht gleich zwei Plätze zu verlieren, die man später nicht mehr aufholen kann.“ Im Vorlauf war daher diesmal schon Endstation.

Erste richtige Langsprint-Hallensaison

Dass Marvin Schlegel überhaupt in die serbische Hauptstadt reisen durfte und vorher mit EM-Norm die DM-Silbermedaille mitnehmen würde, hatte er sich vor seiner ersten richtigen 400-Meter-Hallensaison so nicht ausgemalt. Die vergangene Hallensaison fiel wegen Beuger-Zerrungen aus und die Winter zuvor war er immer nur auf den 200 Metern gestartet. „Umso mehr freut es mich, dass ich in der Vorbereitung gut durchgekommen bin. Meine Kraft- und Schnelligkeitswerte haben gestimmt, dort konnte ich mich gut weiterentwickeln.“

Nach dem gelungenen DM-Vorlauf hielten Marvin Schlegel und sein Trainer Lars Milde, Lehrer an der Sportschule Chemnitz und vormals Jugendwart von Sachsen, im Finale eine Zeit um 47,00 Sekunden für realistisch. Die ersten 200 Meter ging er eine halbe Sekunde schneller an als im Vorlauf – auf der Außenbahn hatte er keinen Läufer vor sich – und blieb bis zum Ende am vorbeiziehenden Marc Koch (LG Nord Berlin) dran, der als Sieger mit 46,40 Sekunden ebenfalls die eigenen Erwartungen sprengte.

„Dass es so grandios schnell wird, hätte ich echt nicht gedacht“, meint der DM-Zweite. Von dem Rekord, von dem der Deutsche U20-Meister erst am nächsten Tag von Männer-Bundestrainer Edgar Eisenkolb erfuhr, war er „total geflasht“ und mit der Norm hatte er auch nicht gerechnet. „Das hat sich nach dem Rennen alles ein bisschen überschlagen“, erinnert er sich.

Vom Fußball zur Leichtathletik

Seit vier Jahren trainiert Marvin Schlegel in Chemnitz bei Lars Milde, seit seinem zwölften Lebensjahr betreibt er Leichtathletik. Vorher hatte er („wie jeder Junge“) Fußball gespielt. Seinem Vater Kay Schlegel, Sportlehrer und früher auch Fußballer, fiel dabei die Schnelligkeit des Sohnes auf. Als vermehrte Niederlagen seiner Mannschaft drohten, folgte Marvin Schlegel dem Vorschlag seiner Eltern, es doch mal mit der Leichtathletik zu probieren. Nach den Anfängen in einem kleinen Verein dem SV Einheit Bräunsdorf (rund 30 Kilometer nordöstlich von Chemnitz) in der Nähe seines Wohnortes, wurde schon bald der LAC auf ihn aufmerksam.

Der Verein und seine sportbegeisterten Eltern, die ihn zu jedem Wettkampf begleiten, stehen hinter ihm. Sein Haupttrainingspartner ist derzeit der Jugend-Hallen-DM-Dritte von Sindelfingen Johann Rosin, der als Ersatz-Staffelläufer auch bei der U20-WM in Bydgoszcz dabei war. Kommenden Sommer werden die Weichen weiter auf Leistungssport gestellt: Marvin Schlegel verlässt das Sportgymnasium und schließt sich der Sportfördergruppe der Landespolizei in Sachsen an.

Den schunkelnden Laufstil gerade bekommen

Seine Stärke ist die Grundschnelligkeit, Potenzial gibt es noch im Ausdauerbereich und bezüglich seiner „schaukeligen“ Körperhaltung beim Sprinten (<link https: www.facebook.com leichtathletikde videos _blank>das Finale von Leipzig im Facebook-Video). „Da sind wir gerade dran, da lasse ich zu viel Zeit liegen.“ Auch die „frontside mechanic“ – beim Kader-Lehrgang vorgestellt vom neuen Nachwuchsbundestrainer Sven Buggel – will er im Training noch mehr umsetzen. Ziel ist es dabei, weniger anzufersen, weil man dadurch Zeit verliert, vorne große Schritte zu ziehen. Das summiert sich auf der Stadionrunde. „Die Weltspitze wie Wayde van Niekerk läuft auch so, da kann man sich einiges abkucken“, sagt Marvin Schlegel.

Auf seiner Agenda für die Sommersaison steht neben der Titelverteidigung bei der Jugend-DM in Ulm (4. bis 6. August) noch ein weiterer wichtiger Punkt: Die U20-EM in Grosseto (Italien; 20. bis 23. Juli). „Dort will ich ordentlich mitmischen.“ Das ist nach seinem starken Auftritt in der Halle nicht unwahrscheinlich. Eine Leistung um die 46,50 Sekunden war ursprünglich das Ziel für die Freiluftsaison, davon ist er mit seiner neuen Hallen-Bestzeit nur mehr knapp drei Zehntel entfernt. Sein lockeres Motto, ohne sich auf eine angepeilte Leistung fixieren zu wollen: „Einfach schnell laufen, dann kommen die Zeiten von selber.“

Seine Einsätze für die Nationalmannschaft – mit 17 Jahren begann es früh bei der U18-WM in Cali (Kolumbien) – will Marvin Schlegel mit Priorität auf der U20-EM in den nächsten Monaten fortsetzen. „Ich würde mich riesig freuen, mit auf die Bahamas zu fliegen. Das wäre cool, wenn ich das schaffen würde.“ Nach einer Woche Pause nach der Hallen-EM ist das Grundlagen-Training gerade wieder angelaufen. „In der Sommersaison ist dann Angriff angesagt.“ Womöglich mit einem Auftakt bei der Staffel-WM. Ein weiteres Mal ohne Druck die professionellen Abläufe checken und für die Zukunft lernen. Marvin Schlegel will sich von Jahr zu Jahr steigern und überraschen lassen, wo es noch hingehen kann.

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