Massiver Protest gegen Abmeldepflichten
Manche reden von einer „Happy Hour“ für Kontrolleure oder „Hausarrest“ für die Athleten, andere sagen, es ist ein notwendiges Übel und wieder andere meinen, der Punkt des Erträglichen sei spätestens jetzt überschritten. Die Rede ist von den Abmeldungen, die Athleten tätigen müssen, um für Doping-Kontrollen angetroffen zu werden. Die Abmeldepflichten wurden zu Jahresbeginn verschärft und es regt sich Unmut.
Seitdem am 1. Januar 2009 der neue Anti-Doping-Code der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in Kraft getreten ist, müssen viele Athleten zusätzlich zu den wie bisher vierteljährlich im voraus abzugebenden Angaben zu Aufenthaltsort und Erreichbarkeit (sogenannte Whereabout-Informationen) auch neu täglich eine Stunde zwischen 6:00 und 23:00 Uhr festlegen, in der sie definitiv an einem von ihnen festgelegten Ort für Kontrollen anzutreffen sind (eine genaue Beschreibung der Testpools und der entsprechenden Pflichten finden Sie unten).Wer für eine Kontrolle nicht angetroffen wird oder seine Whereabout-Informationen nicht rechtzeitig abgibt, erhält die Mitteilung über eine verpasste Kontrolle oder einen Meldepflichtverstoß. Drei Verwarnungen wegen solcher Versäumnisse innerhalb von 18 Monaten ziehen eine Sperre von einem bis zwei Jahren nach sich, wie es beispielsweise die britische 400-Meter-Olympiasiegerin Christine Ohuruogu erfahren musste.
Massiver Protest
Das Maß ist bei vielen Sportlern mehr als voll. Fußballer Michael Ballack spricht von „einem Eingriff in das Privatleben“, Tennisspieler Rafael Nadal aus Spanien sieht durch die „inakzeptable Verfolgung die Intimsphäre nicht respektiert“. Degenfechterin Imke Duplitzer fühlt sich wie eine „Gefangene“.
65 belgische Sportler haben den Anwalt Kristof De Saedeleer beauftragt, Klage einzureichen, weil die Anti-Doping-Regelungen der WADA gegen das Recht auf Privatsphäre, garantiert in der Europäischen Konvention der Menschenrechte, verstießen. Kristof De Saedeleer spricht von „drakonischen Maßnahmen“, die ergriffen werden, um Dopingsünder zu überführen. Eine ganze Stadt werde verhaftet, um einen einzigen Verbrecher zu fassen.
Auch der Dresdner Hochspringer Raul Spank kommt sich vor wie „ein Verbrecher“ und der Berliner Mittelstreckenläufer Carsten Schlangen schreibt auf seiner Homepage, dass „die Unschuldsvermutung gegenüber dem Athleten“ auf der Strecke geblieben sei.
Erheblicher Eingriff in die Grundrechte
Die Berliner Rechtsanwältin Stephanie Musiol spricht von einem „erheblichen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Athleten“. Die Einteilung der Athleten in Pools mit unterschiedlichen Meldepflichten gefährde zudem das Gleichheitsgebot. Sportler, die unterschiedlichen Kontrollregelungen unterlägen, würden gegeneinander antreten, was der Wettkampfgerechtigkeit widerspreche.
Zudem spricht sie der neu eingeführten Ein-Stunden-Regel die Effektivität ab, „da viele Dopingsubstanzen innerhalb weniger Stunden nicht mehr nachweisbar sind.“ Ein Athlet könne das Ein-Stunden-Fenster so legen, dass er zu Kontrollen stets „sauber“ sei, auch wenn er verbotene Substanzen eingenommen habe.
Die Fußballvereinigung Fifpro gibt zudem zu bedenken, dass es sich um einen Verstoß gegen die EU-Arbeitszeitdirektive handeln könne. 20 Tage Jahresurlaub werden darin vorgegeben - Top-Athleten müssen sich hingegen 365 Tage im Jahr abmelden, bzw. für Kontrollen anzutreffen sein. Zudem hatte die Bundesregierung zuletzt festgestellt, dass der internationale Datenschutzstandard, den die WADA erarbeitet hat, nicht mit deutschem und europäischem Datenschutz vereinbar ist.
Verhältnismäßigkeit fraglich
Den meisten Athleten geht es nicht darum, das Kontroll-System völlig zum Einsturz zu bringen. Lediglich die Verhältnismäßigkeit der Eingriffe wird in Frage gestellt - und der logistische Aufwand, den die Athleten betreiben müssen. „Das ist kaum noch zu schaffen“, sagt auch Carsten Schlangen. „Wir müssen absurdeste Sachen angeben und dann bekommt man dauernd Fehlermeldungen.“
Würde das Online-Abmelde-System ADAMS funktionieren, „sollten die Abmeldungen monatlich in einer Stunde zu machen sein“, denkt er. Derzeit rechnet er in der Wettkampf-Saison mit zwei Stunden wöchentlich, die er mit diesem Thema verbringt. Zudem falle der Server des Systems öfter aus, eine stundengenaue Abmeldung sei dadurch gar nicht möglich. „Das frisst Zeit vom Training“, sagt er. Viele Athleten seien zudem verunsichert, wann sie sich abmelden müssen. Müssen sie jede Änderung im geplanten Tagesablauf, wie kurzfristige Artbesuche stets angeben?
Ortung über das Mobiltelefon?
Die US-Amerikanerin Lolo Jones, Hallen-Weltmeisterin über 60 Meter Hürden, hat ebenfalls so ihre Probleme mit den Abmeldungen, die sie tätigen muss. „Vielleicht hängen sie uns künftig so etwas wie eine Hundemarke an“, bemerkt sie sarkastisch. Gegen eine Ortung über ihr Mobiltelefon hätte sie hingegen nichts.
„Solche Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht müssen gerechtfertigt sein aufgrund des Schutzes anderer, schützenswerter Interessen, etwa durch den Schutz des Wohls der Allgemeinheit, den Schutz der Volksgesundheit oder des Staates“, erklärt Dr. Anne Jakob, Leiterin der Anti-Doping-Koordinierungsstelle (ADKS) des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Ein zu schützendes Gut könnte in diesem Fall die Moral oder der Fair-Play-Gedanke sein.
Notwendiges Übel im Kampf gegen Doping
Auch DLV-Sportdirektor Jürgen Mallow sagt, dass der „Widerspruch zwischen dem Schutz der Privatsphäre und dem Anspruch, ständig kontrollierbar zu sein“, schwer zu lösen ist. Trotzdem betont er: „Die Abmeldepflichten und Kontrollen sind ein notwendiges Übel, wenn wir einen glaubhaften Kampf gegen Doping führen wollen.“
Wegen der technischen Probleme mit dem Abmeldesystem hat er erst vor kurzem gemeinsam mit den DLV-Cheftrainern Rüdiger Harksen und Herbert Czingon ein ausführliches Gespräch mit der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) geführt, „aber ein viel intelligenteres System gibt es derzeit wohl nicht.“ Er hofft auf technische Verbesserungen in absehbarer Zeit.
Weltweit kein einheitliches System
Ein Problem besteht trotzdem: Das System, das beispielsweise für deutsche Athleten gilt, greift noch nicht weltweit. „Es kann doch nicht sein, dass ein deutscher Top-Athlet so oft kontrolliert wird, wie alle Jamaikaner zusammen“, gibt Carsten Schlangen zu bedenken. Auch hier versteht Jürgen Mallow den Unmut der Athleten, gibt aber zu bedenken: „Das stellt für uns keinen Anlass dar, die Regelungen nicht trotzdem weiter so anzuwenden.“
Das Dilemma ist offensichtlich. Im Kampf gegen Doping bleibt die Privatsphäre der Athleten oft auf der Strecke. Für diese wird dies noch härter, wenn sie miterleben, dass Sportler aus anderen Ländern nicht den gleichen strengen Regelungen unterworfen sind. Einen Ausweg zu finden erscheint fast unmöglich. Eine Möglichkeit sehen Jürgen Mallow und Dr. Anne Jakob aber beispielsweise darin, Nachweismethoden von verbotenen Substanzen in Doping-Tests zu verbessern.
Bessere Abstimmung mit Sportwissenschaftlern
Und Dr. Anne Jakob sieht weitere Möglichkeiten, beispielsweise in der Abstimmung mit Sportwissenschaftlern. „Man könnte Perioden ermitteln, in denen die Einnahme von bestimmten Mitteln besonders wirkungsvoll ist und dort dann gezielt Tests durchführen“, erklärt sie. Auch eine Deklarationspflicht auf Medikamenten, die verbotene Substanzen enthalten, sowie bessere gesundheitliche Aufklärung von Trainern und Athleten hält sie für unerlässlich.
Andere Vorschläge kommen von Athleten-Seite. Manche plädieren dafür, einen Chip unter die Haut zu pflanzen, über den sie jederzeit geortet werden können. Eine andere Alternative wäre eine Armbanduhr mit GPS-Sender. Sollte es jedoch so weit kommen, steht zumindest für Carsten Schlangen eines fest: „Dann wäre ich aus dem Leistungssport sofort raus.“
Sportler werden in vier verschiedene Testpolls mit unterschiedlichen Abmeldepflichten eingeteilt:
IAAF Registered Testing Pool (IAAF-RTP)
Dem IAAF Registered Testing Pool (IAAF-RTP) gehören die 50 Besten ihrer Disziplin weltweit an, aber auch sogenannte „Red Flags“. Dies sind beispielsweise Athleten, die sich nach langer Verletzung wieder in das Wettkampfgeschehen eingliedern oder solche aus Ländern ohne eigenes Anti-Doping-System. Vier Deutsche sind diesem Pool derzeit zugeordnet.
Pflichten: Angaben über Aufenthaltsort und Erreichbarkeit, quartalsweise im voraus Abgabepflicht der Whereabout-Infos, Festlegung des 1-Stunden-Fensters.
Kontrolle und Sanktionierung durch die IAAF.
Registered Testing Pool der NADA (NADA-RTP)
Der Registered Testing Pool der NADA (NADA-RTP) besteht aus den deutschen Athleten des IAAF-RTP, allen DLV-A-Kader-Athleten und ausgewählten B-Kader-Sportlern.
Pflichten: Angaben über Aufenthaltsort und Erreichbarkeit, quartalsweise im voraus Abgabepflicht der Whereabout-Infos, Festlegung des 1-Stunden-Fensters.
Kontrolle und Sanktionierung durch die NADA.
Nationaler Testpool der NADA (NADA-NTP)
Den Nationalen Testpools der NADA (NADA-NTP) bilden ausgewählte B- und C-Kader-Athleten.
Pflichten: Whereabout-Infos und Angabe der sonstigen Erreichbarkeit. Keine Angabe des Ein-Stunden-Fensters.
Kontrolle und Sanktionierung durch die NADA.
Allgemeiner Testpool der NADA (NADA-ATP)
B-, C-, D/C-Kader-Athleten, die nicht in einem anderen Pool sind, sowie ausgewählte Athleten mit Anti-Doping-Verpflichtungserklärung gehören dem Allgemeinen Testpool der NADA (NADA-ATP) an.
Pflichten: Abgabe der allgemeinen Kontaktdaten und eines Rahmentrainingsplans.
Kontrolle und Sanktionierung durch die NADA.