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"Medaillensport" – Zustimmung und Kritik für Spitzensport-Reform

Der Entwurf der Leistungssport-Reform hat im deutschen Sport für Diskussionsstoff gesorgt. Dass alles dem Erfolg untergeordnet werden soll, gefällt nicht allen. DLV-Präsident Dr. Clemens Prokop hat die alleinige Fokussierung der Leistungssportreform auf die Steigerungen der Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften kritisiert.
dpa/pr

"Wir sind auf dem Weg. Generell ist der Ansatz zu begrüßen, den Leistungssport in Deutschland zu reformieren. Ich denke auch, dass das Reformkonzept eine ganze Reihe vernünftiger, interessanter Ansatzpunkte hat", sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. "Dem Ziel, dass wir mehr Medaillen holen wollen, will ich mich gar nicht verweigern. Die Medaillenperspektive aber zum alleinigen maßgeblichen Kriterium der Förderung zu machen, kritisiere ich."

Vielmehr müssten auch andere Kriterien wie die internationale Konkurrenzsituation in einer Sportart, deren gesellschaftliche Relevanz und die unterschiedliche Dopingbekämpfung auf der Welt berücksichtigt werden, meinte Prokop weiter. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) will mit den Fachverbänden am 18. Oktober in Frankfurt/Main über den vorgelegten Reform-Entwurf diskutieren. Der DLV-Präsident hofft, dass bei der nun anstehenden Diskussion über die Reform mit dem DOSB Vorschläge der Verbände auch angenommen werden. "Ich glaube nicht, dass geplant ist, dass die Reform in Stein gemeißelt ist wie die Zehn Gebote", so Prokop.

Hochleistungssport wird zum Medaillensport

Das Eckpunkte-Papier zur Reform der Leistungssportförderung hat unter Sportlern, Funktionären und Experten kontroverse Diskussionen ausgelöst. Die Zustimmung für das Modell überwiegt, auch weil allen Beteiligten klar ist, dass es ein "Weiter so" nicht geben kann. Klar ist aber auch: Die Reform wird nicht nur Gewinner hervorbringen. Notorisch erfolglose Sportarten drohen Kürzungen bis hin zu einem Förderstopp, die Verbände werden an Macht verlieren, und die Konzentration auf weniger Stützpunkte dürfte kaum geräuschlos ablaufen.

Am Mittwoch hatten Bundesinnenminister Thomas de Maizière und DOSB-Alfons Hörmann den Entwurf der Leistungssport-Reform dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages vorgestellt. "Potenzialorientiert", heißt nun das Zauberwort. Insbesondere Sportler und Disziplinen mit großen Medaillenchancen sollen künftig stärker unterstützt werden. Fehlt dagegen eine Perspektive, können ganze Disziplinen durch das Raster fallen.

Reduzierung der Stützpunkte

Dafür wird auch die Struktur der Stützpunkte verändert. Die Olympia-Stützpunkte sollen zukünftig von 19 auf 13 reduziert werden, was vor allem Baden-Württemberg (drei Streichungen) und Nordrhein-Westfahren (zwei) treffen wird. Bei den Bundesstützpunkten sollen rund 20 Prozent wegfallen. "Es ist wichtig, dass die besten Athleten miteinander trainieren und voneinander profitieren können", meint etwa Franziska van Almsick zur stärkeren Konzentration.

Die ganz auf den Erfolg ausgerichtete Sichtweise sorgt auch für Kritik. "Diese Ausrichtung ist ehrlich und vernichtend zugleich. Die Politik und der DOSB sagen endlich, um was es geht. Mit dem Modell wird der Hochleistungssport zum Medaillensport", monierte Anti-Doping-Experte Fritz Sörgel. Den Satz von Innenminister de Maizière, Deutschland solle erfolgreich sein, aber fair und sauber, hält der Pharmakologe kaum für umsetzbar.

Internationale Konkurrenzsituation nicht vergleichbar

Das Ziel der Reform ist klar: Deutschland soll deutlich mehr Medaillen gewinnen. Dass sich die Anzahl der Plaketten seit 1992 in Barcelona (82) bis Rio 2016 (42) fast halbiert hat, ist für de Maizière ein Alarmsignal. Ausschließlich auf den Medaillenspiegel zu schauen, hält Prokop aber für falsch.

"Es gibt Sportarten, in denen die internationale Konkurrenz aus 200 Ländern kommt, aber es gibt auch welche – zum Beispiel im Winter – , in denen ganze Kontinente nicht vertreten sind. Dadurch werden Sportarten mit geringerer internationaler Konkurrenz bevorteilt", merkte der DLV-Chef an. Wenn der schnelle Weg zu einer Medaille nur Maßstab sei, müsse man sich zum Beispiel vom Sprint der Männer verabschieden. "Ich sehe die Gefahr, dass der Sport da, wo wir stark sind, noch stärker wird, und dort, wo wir schwach sind, noch schwächer wird."

Unterschiedliche Kontrollsituation in der Welt

Auch das besonders vor den Olympischen Spielen in Rio diskutierte Dopingproblem findet nach Prokops Ansicht in dem Reform-Entwurf keine Berücksichtigung. "Da werden Erfolge verglichen, die bei der unterschiedlichen Kontrollsituation auf der Welt nicht vergleichbar sind", meinte Prokop. Deshalb sei "die Absolutierung des Erfolgs gerade im Zeichen der Dopingbekämpfung gefährlich".

Ebenso vermisse er das Kriterium der gesellschaftlichen Relevanz einer Sportart in Deutschland in dem Konzept. "Wie vermittele ich die Verantwortung des Bundes für den Leistungssport, wenn es nur darum geht, Medaillen zu erzielen", erklärte der Jurist aus Regensburg. "Dann wäre es konsequent, wir investieren nur in sogenannte Randsportarten, weil ich da die größte Chance habe, schnell Medaillen zu machen." Wenn durch den Leistungssport jedoch eine Vorbildfunktion erreicht und junge Leute bewegt werden sollten, diese Sportart zu betreiben, "muss ich das bei der Erfolgsdefinition berücksichtigen".

Einteilung in drei Förder-Gruppen

Zukünftig sollen die einzelnen Disziplinen in drei Gruppen eingeteilt werden. Das Exzellenzcluster erfährt die größtmögliche Förderung, das Potenzialcluster wird mit Abstrichen unterstützt, das Cluster ohne Medaillenchancen bekommt dagegen wenig bis gar nichts. Eine ständige Kommission, die vom BMI mit rund 500.000 Euro jährlich finanziert werden soll, ist für die Bewertungen von Athleten und Disziplinen vorgesehen. Dies soll durch ein Potenzialanalyse-System (Potas) geschehen, das 20 Attribute erfasst.

Diese Einteilung dürfte für Konfliktstoff sorgen. "Ich erwarte aber, dass es weiterhin für alle Verbände eine Grundförderung gibt, damit jeder eine Chance hat, sein Potenzial zu entwickeln", sagte Präsident Rainer Brechtken, der Präsident des Deutschen Turner-Bundes (DTB).

Was sich abzeichnet, ist der schwindende Einfluss der Verbände, was diese kaum klaglos hinnehmen werden. So werden zukünftig das BMI und der DOSB über die Verteilung der Gelder entscheiden. "Jeder wird sich umstellen müssen, aber so ist das bei einem Neubeginn", sagte Siegfried Kaidel als Sprecher der olympischen und nichtolympischen Spitzenverbände. Bislang stellt das BMI jährlich 163 Millionen Euro zur Verfügung.

Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa)

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