Medaillenzählen löst Strukturprobleme nicht
Acht Medaillen sollen die deutschen Leichtathleten am Ende der Olympischen Spiele in London (Großbritannien) nach den Vorstellungen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) auf der Habenseite vorweisen können, so steht es zumindest in den Zielvereinbarungen, die vor vier Jahren mit dem DOSB geschlossen wurden. Doch für DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen ist das Medaillenzählen alleine als Vorgabe zu kurz gedacht. Er sieht Strukturprobleme.
„Ich kann innerhalb der Zielvereinbarung nicht erkennen, auf welcher Grundlage diese Medaillenprognose überhaupt entstanden ist“, merkt Thomas Kurschilgen, der im November 2009 das Amt des DLV-Sportdirektors übernommen hat, dazu an.Sein Ansatz ist aber ohnehin ein anderer. „Eine Zielvereinbarung, die ausschließlich Medaillen prognostiziert und als Maßstab deklariert, ist fehl am Platz“, sagt er. „Wenn man in einen gemeinsamen Zielvereinbarungsprozess kommen möchte, muss man differenzieren und vielfältige Parameter mit einbeziehen.“
Er versteht darunter in einem ersten Schritt das Abschneiden bei einer Meisterschaft in der Betrachtung der Nationenpunkte, die erweiterten Finalplätze sowie die Entwicklung der Athleten einer Nationalmannschaft innerhalb eines Jahres. Auch die Vorjahresleistung und Weltbestenlistenplatzierungen sollten Berücksichtigung finden.
Individualentwicklungen betrachten
Dies gelte ebenso für die Bewertungen innerhalb eines Olympischen Zyklus: „Es ist für uns der entscheidende Punkt, dass verstärkt Individualentwicklungen der Athleten des DLV-TopTeams und des DLV-Junior-EliteTeams unter Berücksichtigung eingesetzter Mittel und Maßnahmen im Mehrjahresverlauf im Kontext der dualen Karriere betrachtet werden müssen.“
Thomas Kurschilgen kritisiert dabei auch, dass die individuelle und prozessorientierte Bewertung und die Besonderheiten von Disziplinen in der Leichtathletik und Sportarten im Spitzensportkontext nicht ausreichend erfolgt: „Ich kann nicht erkennen, dass dieser Zielvereinbarungsprozess Positionen und Instrumente berücksichtigt, wo die deutsche Leichtathletik steht, wie man sie differenziert weiterentwickeln kann, welche Maßnahmen und Methoden dazu erforderlich sind, welche trainingswissenschaftlichen, medizinischen und physiotherapeutischen Betreuungsbesonderheiten und welchen Zielkorridor man damit zusammen anstreben kann.“
Förderstrukturen können sich „in einem föderativen System nicht für alle Sportarten und Disziplinen gleichermaßen gestalten lassen“ und die Bewertung von Effektivität und Effizienz in der Arbeit eines Spitzenfachverbandes lasse sich nicht an stichtagsbezogenen Medaillen bei den Olympischen Spielen bemessen. Dies führe zu gravierenden Fehlentscheidungen.
Steuerungsanspruch
Der DLV-Sportdirektor sieht dabei aber den Steuerungsanspruch bei den Spitzenfachverbänden und nicht in der Dachorganisation des DOSB. Die Zielvereinbarungen in der bestehenden Form seien kein Steuerungsinstrument, sondern lediglich ein nicht hinreichendes Kontrollinstrument, bei dem die Wirksamkeit und die leistungssportliche Entwicklungsarbeit eines Spitzenfachverbandes vordergründig nach Medaillen bewertet werden würde.
Hinzu kommt, dass der vermeintliche Steuerungsanspruch zu verstärkter Bürokratie und zu zeitaufwendigen Berichtspflichten führen würde. Produktivität, Flexibilität und Wettbewerbsvorsprung blieben hierbei häufig auf der Strecke.
Fördergelder
Für die Entwicklung des Spitzensports in den 47 Olympischen Disziplinen sowie die Entsendung der DLV-Nationalmannschaften zu den internationalen Meisterschaftshöhepunkten erhält der DLV aus öffentlichen Geldern derzeit zweckgebunden rund zwei Millionen Euro.
Hieraus werden 1,2 der zwei Millionen zielgerichtet zur Förderung der 500 Kaderathleten verwendet. Für eine zielgerichtete und umfassende spitzensportliche Förderung im kommenden Olympiazyklus stellt der Sportdirektor des DLV einen erheblichen Verbesserungsbedarf fest.
Thomas Kurschilgen sieht deshalb grundsätzlich DOSB, Spitzenfachverbände und das Bundesinnenministerium in einem Diskurs, in dem beantwortet werden muss, welchen Spitzensport man zukünftig haben, welche Entwicklungschancen man Athleten denn zukünftig bieten wolle und was zukünftige Modelle unter Einbeziehung von privaten Partnerschaften kosten sollen.
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