Mein Name ist Hase - ich mache Tempo!
Der Zaster liegt auf der Straße. Die werten Stars halten bereitwillig die Hand auf. Dave Bedford, der Impressario beim London-Marathon, wedelte mit den Geldscheinen und lockte die Crème de la Crème in die britische Metropole. Haile Gebrselassie, der kleine Äthiopier, hat bei seinem Debüt natürlich die dickste Antrittsprämie eingesteckt: 400.000 Euro, wenn man den Medien auf der Insel glauben darf.
Simon Biwott war ein Hase der ganz frechen Sorte (Foto: Hörnemann)
Das Geschäft boomt. Die Preise", betont der holländische Manager Jos Hermens, sind explodiert." Mittlerweile kassieren auch die Hasen" fette Handgelder. Diese Burschen", weiß Hermens, garantieren gute Zeiten." Die Rabitts" oder Pacemaker", wie sie im Englischen heißen, spielen den Schrittmacher für die Spezialisten mit dem langen Atem.Lukratives Geschäft
Aber Vorsicht! Die flotten Zweibeiner, die sich furchtlos in den Wind legen, haben es faustdick hinter den Ohren. Früher wilderten sie nur auf der weichen Kunststoffbahn, doch heutzutage auch auf hartem Asphalt. Das ist ein lukratives Geschäft", betont Laurent Bouquillet, der Renndirektor von Paris, Marathonläufe gibt es schließlich satt und genug."
Die Hasen leiden gewiss nicht unter Arbeitslosigkeit. Allwöchentlich ist irgendwo auf diesem Erdball eine Veranstaltung mit Tausenden von Teilnehmern. Die Jobsuche fällt ihnen leichter denn je. Das Angebot ist üppig, die Nachfrage ungebrochen. Stephan Freigang, 1992 in Barcelona Olympia-Dritter auf der klassischen Distanz, weiß auch warum: Mit Hasen läuft es sich leichter", sagt Freigang, der selber am übernächsten Sonntag in Leipzig gemeinsam mit Carsten Eich die EM-Norm (2:12:30 h) attackieren möchte, "allerdings müssen sie wie ein Uhrwerk das gewünschte Tempo vorgeben. Ständige Rhythmuswechsel sind tödlich."
Viele Hasen beim Rotterdam-Marathon
Die meisten Hasen treiben sich stets in Rotterdam herum. Jos Hermens verpflichtete im vergangenen Jahr gleich 25 an der Zahl, und auch am Sonntag sind sie wieder in üppiger Zahl vertreten. Für alle Leistungsgruppen", bemerkt er, wir überlassen nichts dem Zufall." Der Marathon in der holländischen Hafenstadt ist perfekt organisiert. Da werden sogar hochkarätige Bahnläufer engagiert, um den Straßenspezialisten auf die Sprünge zu helfen. Kamiel Maase beispielsweise, der den holländischen 10.000-m-Rekord hält. 1999 spielte er den Pacemaker. Als Maase bei Kilometer 30 spürte, wie locker seine Beine noch waren, rannte er durch und erzielte im ersten Marathon seines Lebens die vorzügliche Zeit von 2:10:08 Stunden. Maase ist erneut im Einsatz. Mal schauen, ob er nach getaner Arbeit aussteigt oder den werten Kollegen eine lange Nase zeigt und weiter läuft.
Loroupe vertraut auf ihre Landsleute
Tegla Loroupe, die kleine Kenianerin mit dem großen Kämpferherzen, vertraut am liebsten auf ihre Landsleute. Wie anno 1998 in Berlin, als sie gleich drei Hasen aus dem Rennstall ihres Betreuers Volker Wagner anforderte: Jacob Losian und Clement Kiprotich, die ihr bereits fünf Monate zuvor in Rotterdam erfolgreich assistiert hatten, und Joseph Negolepus. Und siehe da: Mit den passenden Zwischenzeiten legten sie die Spur zum neuen Rekord. 2:20:47 – ein Volltreffer, der ihr 230.000 Mark bescherte! Ob der Hasen-Deal geplant gewesen sei, lautete eine von vielen Fragen bei der anschließenden Pressekonferenz. Na klar", antwortete Tegla Loroupe, in so einem Riesenfeld brauche ich Bodyguards, die mich schützen, damit ich nicht umgerannt werde und mir keiner in die Hacken tritt."
Die Bodyguards", wie sie tituliert wurden, leisteten in der Tat ganze Arbeit. Die Jungs haben das richtige Timing drauf", lobte Tegla Loroupe, die Auftraggeberin, ihre männlichen Mitstreiter, die damals auch ihre Trainingspartner waren, ich konnte mich hundertprozentig auf ihre Dienste verlassen." Und genau da liegt der Hase im Pfeffer, denn es hat schon einige Mümmelmänner" gegeben, die ihre Begleiter ohne jedwede Vorwarnung ins Bockshorn gejagt haben.
Frech wie ein Lausbub zum Triumph
Simon Biwott ist so ein Pfiffikus! Nach seinem Sieg (2:07:42 Stunden) in Berlin im September 2000 grinste er wie ein Lausbub, der seinem Lehrer einen lustigen Streich gespielt hat. Meinen Job habe ich erledigt. Oder nicht? Ich sollte bis Kilometer 28 Tempo machen: jeden Kilometer in drei Minuten. Das war meine Aufgabe." Sprach's und und kippte erst mal einen Becher Wasser in sich hinein. Tja", meinte er dann mit keckem Lächeln, weil ich mich gut gefühlt habe, bin ich einfach durchgelaufen."
Simon Biwott, der Schlawiner aus dem fernen Kenia, hatte unterwegs die Rollen getauscht. Der freche Kerl", witzelte Horst Milde, Cheforganisator bei Deutschlands größter Laufveranstaltung, hat uns an der Nase herumgeführt." Als Hase" stand Biwott an der Startlinie, als triumphaler Sieger stürmte er ins Ziel. Ich hab's halt probiert", strahlte der einstige Kioskverkäufer, der erfolgreich zum Profi-Läufer umgeschult hat und im vergangenen Herbst Vize-Weltmeister wurde, und ich bin happy, dass es so toll geklappt hat." Biwott, der große Favorit am Sonntag in Rotterdam, war kein Hasenfuß, nein, er nahm sein Herz in beide Hände, rannte mutig weiter und machte fette Beute.
Mein Name ist Hase, ich weiss von nichts
Einen ähnlichen Streich hatte sich Lameck Aguta ausgedacht. 1994, auch in Berlin, sollte er wie vereinbart etwa 10 Kilometer vorm Ziel aussteigen. Tat er aber nicht! Aguta, ein Landsman von Biwott, sagte sich: Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts." Er düpierte seine Mitläufer, beschleunigte urplötzlich und büchste aus. Hoppla", dachte sich Antonio Pinto, der routinierte Portugiese, der mit allen Wassern gewaschen ist, das Bürschchen führt was im Schilde." Er roch den Braten.
Der Kenianer, ein Cleverle, hatte noch früh morgens zwei Getränkeflaschen auf dem letzten Streckenabschnitt deponiert, doch der Schluck aus der schnellen Pulle half ihm auch nicht weiter. Antonio Pinto, Sammy Nyangincha und Antonio Serrano machten gemeinsame Sache, rückten dem Ausreißer immer dichter aufs Fell und überholten ihn. Lameck Aguta, der dreieinhalb Jaher später, im April 1997, den legendären Boston-Marathon gewann, musste bitter büßen für seine Risikobereitschaft. Abgeschlagen hoppelte er mit müden Beinen ins Ziel. Drei Jäger waren des Hasen Tod!