Melanie Seeger - „Ich brenne wieder“
Die WM in Berlin hat Melanie Seeger nur als Zuschauerin verfolgt. Nach einer Babypause arbeitet die Geherin, die 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen (Griechenland) Fünfte war, an ihrem Comeback. Was sich in Ihrem Leben verändert hat, wie sie jetzt über das Thema Doping denkt und warum Tochter Helena genau zum richtigen Zeitpunkt zur Welt kam, erklärt die 32 Jahre alte Potsdamerin im Interview.
Melanie Seeger, wie erleben Sie Ihre neue Rolle als junge Mutter im Moment?Melanie Seeger:
Das ist auf jeden Fall aufregend. Für mich ist viel zu tun, es ist ein anderer, angenehmer Stress. Damit lässt es sich momentan sehr gut leben.
Wie vereinbaren Sie Ihre familiären Pflichten mit den Aufgaben einer Leistungssportlerin auf dem Weg zurück?
Melanie Seeger:
Das klappt sehr gut. Ich stehe morgens schon früh auf, so gegen Halbsieben, um trainieren gehen zu können. Wenn mein Lebenspartner zur Arbeit muss, bin ich wieder zuhause und kümmere mich den weiteren Tag um unsere Tochter. Die zweite Einheit am Nachmittag trainiere ich mit Kinderwagen. Abends absolviere ich mein Kraftprogramm. Ich kann alles machen und ich komme im Training gut voran. Ich weiß, ich kann mein Comeback starten und mich wieder in die Wettkämpfe hineindenken.
Was hat sich durch das Familienglück Ihr Blickwinkel verändert?
Melanie Seeger:
Das Heranwachsen eines kleinen Menschen zu sehen, bringt mir jetzt viel Freude, auch Kraft und Motivation. Ich bin entspannter geworden. Dadurch merke ich aber auch, dass ich viel besser vorankomme. Das hatte ich mir auch erhofft. Früher hatte ich mich oft verrückt gemacht, wenn es zum Beispiel im Training nicht gut lief oder eine Erkältung anrückte.
Die Babypause hat Ihnen offenbar gut getan...
Melanie Seeger:
Absolut. Seit ich 1993 mit 16 Jahren zum ersten Mal bei der U20-Nationalmannschaft dabei war, hatte ich kein Jahr, in dem ich verletzt oder krank war. Ich war außer 2000 immer bei internationalen Wettkämpfen mit dabei. Es hat an den Nerven gezehrt, keine Pause machen und nie versagen zu dürfen, weil sonst Sponsoren abspringen oder ähnliches. Diese Angst war groß. Aber irgendwann sagt der Körper, es geht nicht mehr, jetzt brauche ich meine Pause. Nicht nur körperlich, auch der Kopf braucht seine Pause. Daran denkt man im Leistungssport viel zu wenig. Ich hatte mir erhofft, dass ich jetzt merke, will ich das alles überhaupt noch? Jetzt weiß ich: Ich brenne noch so auf meinen Sport, dass ich gar nicht aufhören könnte.
Wie, glauben Sie, wird sich Ihre gewonnene Entspanntheit auswirken, wenn es wieder in die Wettkämpfe geht?
Melanie Seeger:
Ich glaube, dass ich mich auch da auf den Punkt genau konzentrieren kann. Ich weiß, es geht nicht die Welt unter, wenn ich meine Leistung nicht bringen kann. Zuvor habe ich mich oft gefragt, was wohl passiert, wenn ich versage. Ich hatte mich selber sehr unter Druck gesetzt und bin unter Stress zum Wettkampf gefahren. Es ging auch nicht immer gut auf. Früher habe ich es im Hinterkopf auch viel für andere gemacht. Jetzt mache ich den Sport wieder für mich, für meine kleine Familie. Ich hoffe, dass ich durch den Rückhalt, den ich jetzt habe, auch wieder mehr Leistung abrufen und alte Stärken zurückholen kann.
Wie sehr sind Sie denn jetzt noch abhängig von Sponsoren und Förderern?
Melanie Seeger:
Gar nicht mehr. Das ist nicht mehr so vorhanden. Alle warten ab. Meine Rahmenbedingungen sind eigentlich so schlecht wie noch nie, aber vielleicht brauche ich das auch. Ich habe mir aber schon in den letzten Jahren immer wieder eigene Rahmenbedingungen geschaffen. Ich habe mich nie abhängig gemacht. Ich habe dieses Umfeld in Potsdam noch, ich kann meine Top-Leistung hier immer noch vollbringen. Ich werde aber erst einmal in keine Trainingslager gehen, obwohl es mir der DLV ermöglichen würde, sondern alles von zuhause vorbereiten.
Wie ging es Ihnen denn überhaupt nach der Schwangerschaft mit den ersten sportlichen Schritten?
Melanie Seeger:
Ende Juli, vier Wochen nach der Geburt, habe ich wieder angefangen. Am Anfang war es ganz schön schwer. Da dachte ich, ich hätte nie Leistungssport gemacht. Auch bei den ersten Geheinheiten im August war ich so langsam. Nach zwei, drei Wochen war man aber so schnell wieder drin, dass es fast schon unheimlich war. Ich habe gesehen, dass zwanzig Jahre Leistungssport nicht einfach so weg sein können.
In dieser Zeit war ja auch die Heim-WM. Sie hatten schon davor festgestellt, dass es Ihnen gar nicht soviel ausmachen würde, in Berlin nicht dabei zu sein. Wie sehen Sie das im Nachhinein?
Melanie Seeger:
Immer noch so. Ich hatte in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass ich nicht versagen möchte. Wenn ich dann noch gewusst hätte, es kommen alle meine Freunde und die Familie, hätte ich mich wahrscheinlich verrückt gemacht. Ich war im Kopf so ausgebrannt, dass ich nur daran gedacht hätte: Wenn ich hier versage… Jetzt bin ich mit so einer großen Freude zu den Wettbewerben gegangen. Ich war glücklich, als ich mir das Gehen einfach nur anschauen konnte. Ich wusste, ich habe alles richtig gemacht.
Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking (China) waren sie weniger sportlich, sondern mehr durch das Thema Doping der Konkurrenz in den Schlagzeilen (Anm. „Ich habe hier das unfairste Rennen meiner Karriere erlebt“). Wie denken Sie jetzt mit etwas Abstand über die Situation damals?
Melanie Seeger:
Ich habe es damals so gesagt, ich stehe auch heute noch dazu. Bei einigen konnte es so ankommen: sie war nicht gut drauf, jetzt lässt sie sich darüber aus. Ich war in dem Moment wirklich so wütend und konnte einige Sachen nicht nachvollziehen, die ich auch bis heute nicht nachvollziehen kann. Ich habe immer noch viele Fragezeichen. Wenn ich sehe, dass die Griechin (Anm. Athanasía Tsoumeléka) im Nachhinein mit einem neunten Platz des Dopings überführt wird, dann unterstützt es auch ein bisschen meine Aussage, dass nicht mehr alles mit rechten Dingen zugeht. Ich habe es aber abgehakt und ich weiß: unsere Chancen kommen trotzdem.
Wie werden sich diese Chancen denn auftun?
Melanie Seeger:
Ich glaube immer noch an die Fairness im Sport und daran, dass man durch schärfere Kontrollen im Vorfeld die betreffenden Sportler herauspicken kann. Man hört auch immer wieder, dass welche des Dopings überführt werden. Wenn ich nicht daran glauben würde, dass Jahre der Fairness kommen, dann würde ich den Sport auch nicht machen. Ich habe das Gefühl, dass es wieder sauberer wird. Deshalb möchte ich auch bis zu den Olympischen Spielen 2012 weitermachen.