Melanie Seeger - „Ist es echt wahr?“
Sie ist eine junge Mutter, eine angehende Lehrerin und Deutschlands derzeit beste Geherin. Melanie Seeger zeigte in diesem Jahr mit einem vierten Platz bei der EM in Barcelona (Spanien) nach der Geburt ihrer Tochter Helena ihr ganzes Können. Über ihr erfolgreiches Jahr nach der Babypause und ihr neues Leben spricht die Potsdamerin im Interview.
Melanie Seeger, eine erfolgreiche Saison liegt hinter Ihnen. Wie bewerten Sie Ihren Sommer und den vierten Platz bei der EM mit etwas Abstand?Melanie Seeger:
Für mich ist es immer noch total unrealistisch. Das ist verrückt. Ich habe mich oft gefragt: Kann es denn gewesen sein? Ist es echt wahr? Das ist immer noch so. Es ist angenehm, so eine tolle Erfahrung, dass nach all den Jahren doch der Lohn kommt. Die EM war total toll, aber ich kam wieder schnell nach Hause. Das normale Leben hatte mich zurück. Die EM fühlte sich an, als wäre sie schon wieder ein paar Monate her gewesen, dabei waren es nur ein paar Tage.
Worauf führen Sie die Erfolgsspur, die Sie in diesem Jahr gefunden haben, denn zurück?
Melanie Seeger:
Ich glaube, es war ein bisschen ein „Einfach machen“, ein „Gar nicht nachdenken“. Ich habe meiner Tochter soviel gegeben, das Training war oft nebenbei. Ich wollte es aber unbedingt, ich hätte es mir ohne Training nicht vorstellen können und ich wollte das Comeback unbedingt probieren. Ich habe einfach gemacht und alles anders gemacht. Ich bin unbeschwert hineingestürzt. Und es hat funktioniert.
Was nehmen Sie aus diesem Jahr mit?
Melanie Seeger:
Ich bin so froh, dass ich nicht aufgehört habe. Nach den Olympischen Spielen 2008 in Peking hatte ich mich schon gefragt, warum ich das noch alles mache. Man steckt soviel Energie rein, ist nur unterwegs und verbringt viel Zeit mit Leuten, mit denen man manchmal gar nicht zusammen sein will. Ich habe daraus aber viel gelernt. Im nächsten Jahr will ich direkt von Deutschland aus zum Wettkampfort der WM nach Südkorea fliegen und noch dort trainieren. Ich hatte das in diesem Jahr auch schon beim Challenge-Finale in Asien probiert.
Zu welchem Ergebnis sind Sie dabei gekommen?
Melanie Seeger:
Dass, auch wenn ich dort Bestzeit über 10 Kilometer gegangen bin, fünf Tage Vorlaufzeit nicht ausreichen. Man braucht sieben oder acht Tage vor dem Wettkampf, um hundertprozentig fit zu sein. Ich würde gerne im nächsten Jahr vor der WM noch einmal im Rahmen der Challenge in China starten, um das zu testen.
Welches Ziel müssen Sie sich nach diesem Jahr für die WM 2011 in Daegu stecken?
Melanie Seeger:
Ich mache es so wie dieses Jahr: Ich möchte dabei und erfolgreich sein. Ich mache mir aber nicht den Stress zu sagen, ich will unter die ersten Fünf oder die ersten Zehn kommen. Mir reißt keiner den Kopf ab. Wenn man gut vorbereitet ist, kann alles kommen. Ich möchte wieder Weltspitzenniveau haben und nicht auf Schwächen anderer hoffen müssen. Ich will wie bei der EM alleine um den dritten Platz mitkämpfen können.
Wer sagt denn jetzt, wo es sportlich langgeht? Immer noch der Trainer? Oder entscheiden Sie selbst?
Melanie Seeger:
Ich wollte in diesem Jahr vieles aus dem Gefühl heraus machen. Ich brauche aber den Trainer immer noch stark an meiner Seite, um das mit ihm abzusprechen. Wir haben uns jetzt manchmal nur zweimal in der Woche gesehen, so habe ich ganz stark damit angefangen, selber zu überlegen. Mein Trainer weiß jetzt, dass ich das dann alles auch gerne mache und dass ich total davon überzeugt bin. Er steht aber zu hundert Prozent hinter mir. Wir haben einen erfolgreichen Weg gefunden. Mir sagt aber niemand, wo es langgeht. Ich kann es mir so organisieren, wie ich es mir vorstelle. Das finde ich angenehm. Aber ich würde nie sagen, dass ich keinen Trainer mehr brauche, auch wenn in diesem Jahr sehr viel von mir aus kam. Eine beratende Stelle ist ganz wichtig, um weiter voranzukommen.
Wie sieht denn überhaupt momentan der Alltag im Leben einer Lehrerin, Geherin und Mutter in Personalunion aus?
Melanie Seeger:
Ich stehe zwischen 6 und 6:45 Uhr auf, gehe dann erst einmal unterrichten. Zwischen den Unterrichtseinheiten trainiere ich. An zwei Tagen in der Woche kann ich auch schon früh gegen Sieben trainieren. Wenn ich nachmittags meine Tochter Helena in der Kindertagesstätte abhole, habe ich meistens schon eine Einheit weg und kann mit ihr den Tag verbringen. Während der Saison gehe ich dann mit ihr noch einmal laufen oder mache am Abend meine zweite Trainingseinheit. So kann ich die Zeit mit meiner Tochter genießen, komme dabei schön runter und kann entspannen.
Gibt Ihnen gerade das jetzt im Vergleich zu früher eine willkommene Abwechslung?
Melanie Seeger:
Absolut. Es ist total klasse zu wissen: Jetzt einfach ein paar Stunden entspannen. Einfach mal genießen. Einfach mal etwas anderes am Tag machen. Kein Stress. So habe ich nicht den ganzen Tag das Gefühl, dass ich nur ackern, ackern, ackern muss. Ich habe jetzt mehr Freizeit als früher. Ich kann es mit meinem Lebenspartner sehr gut organisiert bekommen.