| Porträt

Merten Howe besticht im Ring durch Nervenstärke

Wie gefeiert wurde, verrät er nicht, dass gefeiert wurde schon. Merten Howe ist einer von drei U18-Jungs, die bei den Olympischen Jugendspielen in Nanjing (China) eine Medaille gewannen: Bronze im Kugelstoßen. Im Sommer zuvor bremste ihn eine Verletzung vom Strandtraining aus. Nachholbedarf: Wieder fit, steigerte der 17-Jährige seine Bestleistung innerhalb eines dreiviertel Jahres um ganze drei Meter auf 20,32 Meter.
Pamela Ruprecht

Eigentlich wollten sie in Nanjing die Palette Gold, Silber und Bronze holen. Das klappte am Ende nicht ganz, Diskuswerfer Clemens Prüfer verlor seine Führung im letzten Versuch. Der Potsdamer und Henrik Hannemann (LG Neumünster), Zweiter im Hürdensprint, hatten mit ihren Medaillen vorgelegt. Am zweiten Finaltag war der dritte im Zimmer, Merten Howe, an der Reihe.

Er verspürte ganz schönen Druck. Am Abend vor dem Finale lag der Neubrandenburger mit Puls 180 im Bett. Er wollte nicht als einziger leer ausgehen. „Wenn du keine Medaille machst, bist du die Lusche im Zimmer“, lagen ihm die beiden Teamkameraden in den Ohren. Noch dazu war Howe mit der drittbesten Weite angereist und klarer Favorit auf die Bronzemedaille, dementsprechend aufgeregt war er.

Extreme Drucksituation gemeistert

Mit Gerald Bergmann hat der Zwölftklässler einen Coach, der in solchen Situationen Abhilfe schafft. Den Athleten mit Humor beruhigen und mental auf den Wettkampf einstellen, das kann der Bundesnachwuchstrainer. "Das war schon stark von ihm, das hat er echt gut gemacht“, lobt ihn Howe. Der Puls sank also vor dem Endkampf.

Das Finale begann – mit einem ersten Versuch, der daneben ging: 19,43 Meter, nicht gerade das, was er sich vorgestellt hatte. Howes Bestweite liegt  bei 20,32 Meter. Im Stadion gab es auf beiden Seiten Leinwände. „Wenn man in den Ring gegangen ist, hat man sich auf der Videoleinwand gesehen, das war nicht gerade leicht“, erklärt er.  Außerdem waren knapp 20.000 Zuschauer im Stadion, eine etwas andere Kulisse als bei Deutschen Jugendmeisterschaften.

Doch schon in Runde zwei kam der Nachwuchsathlet besser zurecht und haute den zweitbesten Stoß (20,13 m) seiner Karriere raus. Damit war ihm die erträumte Bronzemedaille hinter dem Rumänen Andrei Toader (21,00 m) sicher. Der Sieger des Abends, Konrad Bukowiecki aus Polen, der schon Gold bei der U20-WM in Eugene (USA) errungen hatte, kam drei Meter (23,17 m) weiter als der junge Deutsche. Bei allem Respekt für diese Weite, sowas blendet Howe aus. „Cool bleiben, die machen lassen und sich auf seine Leistung konzentrieren“, riet ihm sein Trainer schon bei den Olympia-Trials in Baku (Aserbaidschan).

Härte und Spass im Training

Gerald Bergmann hat international Erfahrung: Er führte Ralf Bartels unter anderem zu WM-Bronze 2009. In seiner Neubrandenburger Trainingsgruppe sind neben Merten Howe U18-Weltmeister Patrick Müller, der U23-DM-Zweite des Vorjahres Dennis Lewke und der Deutsche Vize-Meister von Ulm, Drehstoßer Christian Jagusch. „Er zieht das Training knallhart durch, aber ist dabei auch ein ziemlich lustiger Mensch“, beschreibt Howe seinen Coach. Das Trainingspensum ist enorm – 18 bis 20 Stunden die Woche, inklusive Aerobic.

Vereinbar nur mit dem Besuch eines Sportgymnasiums, wo sich Schule und Training über den Tag verteilt abwechseln. In der Freizeit werden Kräfte gespart: „Man ist ab und zu an den Spielekonsolen und betätigt seine Finger.“ Seit 2009 lebt Merten Howe im Sportinternat in Neubrandenburg. Von Ueckermünde am Stettiner Haff zog er ins eine Stunde entfernte Kugel-Nachwuchsmekka, um sich auf den Wurfbereich zu spezialisieren. Dort wollte der damals 12-Jährige nicht unbedingt hin. Seine Eltern, ehemals aktive Volleyballer, sein früherer Trainer und Landestrainer überredeten ihn.

Anfangs noch Heimweh, hat er sich mittlerweile gut eingelebt. „Ich denke, es war die richtige Entscheidung“, sagt er heute. Sein Wurftalent brachte ihm früh zahlreiche Erfolge, Landestitel und Rekorde, auch mit Ball, Diskus und Speer. Im Leistungszentrum ging es stetig bergauf, vom Speer verabschiedete er sich irgendwann. Für die Disziplin waren nur Mehrkampftrainer vor Ort, die Trainingszeiten passten nicht in seinen Plan. Dafür fliegt die Diskusscheibe regelmäßig. Und nicht schlecht: Mit seiner Weite (62,28) steht er in der U18-Weltjahresbestenliste auf Position sechs.

Große Medaillensammlung noch ohne Meistertitel

Priorität hat aber die Kugel, erkennbar an der Trainingsaufteilung: dreimal die Woche Kugel, zweimal die Woche Diskus. Deutscher Vizemeister ist er im zweiten U18-Jahr mit beiden Wurfgeräten, jeweils hinter seinem ehemaligen Trainingskollegen Clemens Prüfer, der mittlerweile den Fokus in Potsdam auf die Scheibe legt. Die nationalen Titelkämpfe in Wattenscheid liefen für Howe nicht nach Maß. Der 17-Jährige wollte seinen ersten deutschen Meistertitel einheimsen. Ein guter Versuch wollte aber nicht recht gelingen oder war im Diskusring ungültig.

Die Meisterschaften im ersten Jugendjahr verpasste Howe, der ganze Sommer fiel aus. Im April 2013 verletzte er sich im Trainingslager in der Nähe von Kopenhagen (Dänemark). Eine komische Landung bei Sprungläufen am Sandstrand löste eine Tibiafraktur aus, eine Absplitterung am Schienbein. Die Nummer drei der Weltbestenliste griff erst im Herbst des Jahres wieder zur Fünf-Kilo-Kugel und stieg mit 17,50 Metern ein. Im Winter ging es schon auf 19,60 Meter. In der Freiluft packte er Ende Juni in Baku nochmal 70 Zentimeter drauf - ein Leistungssprung von fast drei Metern innerhalb eines dreiviertel Jahres.

Aber der junge Mann aus Mecklenburg-Vorpommern bleibt trotz der Olympiaplakette auf dem Boden. Aufgrund der unterschiedlichen Gewichte über die Altersklassen hinweg sei es schwer zu sagen, „wer bei den Erwachsenen ein Guter wird und wer nicht“. Deshalb müsse man zumindest für den Wurfbereich die Medaille relativieren. Aufbewahrt hat er sie in einer Vitrine, von seinem Vater gebastelt, in der auch all seine anderen Preise hängen. „Das präsentiere ich schon ein bisschen“, lacht er verschmitzt.

Traum U20-EM-Teilnahme

Sein Traum ist die Qualifikation für die U20-EM in Eskilstuna (Schweden). Für die Norm muss die, nächstes Jahr ein Kilo schwerere, Kugel zwischen 18,50 und 19 Meter landen, 18,54 Meter hat er mit den sechs Kilo schon gestoßen. „Mal sehen, ob ich dann dort an den Start gehen darf.“ Denn: Der DLV ist bei den Nachwuchs-Kugelstoßern breit aufgestellt. Drei Deutsche sind unter den ersten sechs in Europa der U20 und auch 2015 noch in dieser Altersklasse. Dazu rücken Merten Howe und Clemens Prüfer nach.

Ein leichter zu realisierendes Fernziel ist womöglich die U20-WM in Russland 2016. Dann gehört Howe zum älteren Jahrgang. Die Umstellung auf die Sechser-Kugel läuft und hat ihre Vorteile: „Weil man an der schwereren Kugel nicht so dranruckt.“ Das ist Neubrandenburger Slang und heißt: „Durch das größere Gewicht gerät man nicht in Versuchung, die Kugel zu schnell loswerden zu wollen. Das Gefühl ist stärker und man trifft sie öfter besser.“ In der aktuellen Kraftaufbau-Phase will sich Howe die Power fürs nächste Jahr holen.

Ästhetik der Wurfdisziplinen

Der 1,92 Meter große Sportgymnasiast bringt nicht viel Masse mit in den Ring. Seine Stärken mit der Kugel sind Schnelligkeit und Technik. Schleifbedarf gibt es an seinem rechten Fuss, der kommt und dreht beim Angleiten nicht rechtzeitig unter den Körper. Selbstkritisch bemerkt er, wo es noch weiteres Verbesserungspotential gibt: „Mein Umsprung ist ziemlich schlecht.“ Am Institut für Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig werden einmal im Jahr Leistungsstand und Technikentwicklung gemessen.

Solange es mit dem Diskus läuft und Medaillen rausspringen, will er auch damit weiter machen. „Es ist geil zu sehen, wie das Ding in der Luft fliegt und bei 60 Metern runterkommt“, beschreibt er sein Erleben nach dem Abwurf. Neben dem optimalen Treffen der Kugel begeistert Howe auch die Ästhetik der technischen Disziplinen. „Es sieht im Fernsehen einfach gut und imposant aus, wenn man das beherrscht.“ Im Stadion von Nanjing war er gleich mehrfach zu sehen.

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