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Michael Pohl – Nichts zu verlieren, viel gewonnen

Gleich 13 Athleten haben bei den Deutschen Meisterschaften im Sommer den ersten nationalen Titel ihrer Karriere gefeiert. Unter ihnen sind einige neue Gesichter und andere, die schon länger zur DLV-Spitze zählen. leichtathletik.de erzählt, wie sie es ganz oben aufs Podest im Berliner Olympiastadion geschafft haben, heute geht es um Sprinter Michael Pohl (Sprintteam Wetzlar).
Jan-Henner Reitze

<link https: www.leichtathletik.de nationalmannschaft athletenportraet athlet detail michael-pohl>Michael Pohl
Sprintteam Wetzlar

Bestleistungen:

60 Meter: 6,63 sec (Halle, 2018)
100 Meter: 10,22 sec (2018)
200 Meter: 21,00 sec (2018)

Erfolge:

Deutscher Meister 2019 (100 Meter)

Schon im Grundschulalter ging Michael Pohl zum Training in die Kinderleichtathletik in seiner hessischen Heimat. Der Bezug und das Talent waren ihm, wie man so gerne schreibt, in die Wiege gelegt. Sein Vater war Sprinter, seine Mutter über 400 Meter Hürden unterwegs, beide einst polnische Meister in ihrer Disziplin. Der Anfang der Geschichte des Deutschen Meisters über 100 Meter klingt vorgezeichnet, harmonisch und ähnelt denen anderer Spitzenathleten.

Nach drei Sätzen ändert sich das allerdings und schnell wird klar: Der 29-Jährige ist einen sehr individuellen Weg in den Leistungssport gegangen und dieser Linie bis heute treu geblieben. Seine Karriere-Einstellung ist einerseits demütig und geprägt von Dankbarkeit für das bisher Erreichte, anderseits voll von Leidenschaft und Ehrgeiz.

Jugend in der Disko statt auf der Rundbahn

Aber bis es überhaupt losging mit dem Leistungssport verbrachte Michael Pohl einige Jahre mit anderen Dingen. Am Leichtathletiktraining verlor er in seiner Jugend die Lust und ließ es bleiben. „In meinem Umfeld gab es kein Interesse an Leichtathletik. Ich wollte cool sein und dazugehören“, erinnert sich der Hesse. „Ich bin Skateboard gefahren, war feiern und habe geraucht.“

Dass er der Leichtathletik nicht verloren ging, ist einem Mann zu verdanken: Ewald Heckmann, bis heute Trainer bei der SG Schlüchtern. „Er kannte mich aus meiner Kindheit und hat immer wieder gesagt, dass ich Talent hätte und doch wieder mit dem Training beginnen sollte“, erzählt der heutige Deutsche Meister. „Als ich 15 war, hatte er mich für kurze Zeit auch nochmal soweit.“

Ohne Training lief Michael Pohl damals zu den Deutschen Jugendmeisterschaften 2005 in Braunschweig und dort nach zwei Monaten Training im Zwischenlauf über 100 Meter in 11,29 Sekunden um zwei Zehntel am Finale vorbei. Danach ließ er es wieder bleiben mit dem Training, beendete etwas später auch die Schule und machte eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Erst nachdem diese abgeschlossen war, änderte sich die Lebenseinstellung Stück für Stück und die Frage kam auf: „Was möchte und kann ich aus meinem Leben machen?“ Der heute 29-Jährige machte sein Abitur nach und wieder war es Ewald Heckmann, der ihn 2011 zurück auf die Sprintbahn holte.

Gezieltes Training beginnt erst im Alter von 21 Jahren

Trotz anhaltender Schmerzen im Sprunggelenk legte Michael Pohl die 100 Meter in seinem ersten echten Trainingsjahr in 10,71 Sekunden zurück und nahm gleich an seinen ersten Deutschen Meisterschaften bei den Erwachsenen in Kassel teil. „Das Sprunggelenk wurde dann operiert. Die Schmerzen waren weg und ich habe Gefallen an der Leichtathletik gefunden“, berichtet der Masterstudent, der sein Training selbst in die Hand nahm.

„Die Trainer, mit denen ich damals Kontakt hatte, waren der Meinung, dass man über die Quantität zum Erfolg kommt. Das bekam mir allerdings überhaupt nicht.“ So schrieb er seine Trainingspläne gemeinsam mit seinem Vater selbst und beschränkte sich auf vier Einheiten pro Woche, bei denen Qualität statt Masse im Mittelpunkt standen.

Zehntel für Zehntel ging die Bestzeit über die Jahre nach unten. Die Sammlung von Landesmeistertiteln und Medaillen bei Süddeutschen Meisterschaften wuchs. Mit der Staffel der LG Ovag Friedberg Fauerbach gelang auch bei Deutschen Meisterschaften der Sprung aufs Treppchen. Im Einzel erstmals so richtig auf sich aufmerksam machte Michael Pohl im Sommer 2017, als er bei der DM in Erfurt in 10,26 Sekunden zum Vize-Titel sprintete. 

Sprintteam Wetzlar und David Corell passen zum individuellen Ansatz

Ein Glücksfall für seine weitere Entwicklung war Ende 2017 der Anschluss an das erst ein Jahr zuvor gegründete Sprintteam Wetzlar, dessen Trainer David Corell nicht nur auf ein individuell angelegtes Trainingsprogramm setzt, sondern ebenfalls hinter dem Ansatz Qualität statt hohe Umfänge steht. Mittlerweile ist das Vertrauen so weit gewachsen, dass Michael Pohl die Planung an seinen Trainer abgegeben hat. Hinzu kommen mit Kevin Kranz oder Elias Goer Trainingspartner, die „zum Beispiel bei Starts eine Konkurrenzsituation wie im Wettkampf“ schaffen.

Dankbar ist der Späteinsteiger auch, „dass der Verein einen Bus bereitstellt oder ich mich nicht mehr um die Meldungen für meine Wettkämpfe kümmern muss.“ Wie stark das Sprintteam Team Wetzlar in kurzer Zeit geworden ist, zeigt der zweite Platz bei der DM über 4x100 Meter (39,17 sec) in Berlin.

Dass es dort trotz vieler Gegner auf Augenhöhe im Einzel über 100 Meter mit dem Sieg geklappt hat, erklärt Michael Pohl damit, dass er den Fokus auf sich und seiner Technik halten konnte. „In so einem Endlauf habe ich den inneren Drang, möglichst wild und schnell um mich zu treten. Aber das bringt nichts. Ich muss mich auf die einzelnen Rennphasen konzentrieren, dazwischen dürfen keine Löcher entstehen. Das ist mir relativ gut gelungen.“ In 10,27 Sekunden setzte er sich hauchdünn gegen Vereinskollege Kevin Kranz (10,29 sec) und Julian Reus (LAC Erfurt; 10,30 sec) durch.

Internationale Einsätze als Bonus

Im Nationaltrikot durfte sich der Deutsche Meister, der nach seinem Bachelor in BWL mittlerweile ein Masterstudium Informationsmanagement in Darmstadt aufgenommen hat, schon bei der Hallen-WM 2018 über 60 Meter beweisen. Leistenprobleme verhinderten im vergangenen Sommer die Staffel-Teilnahme an der Heim-EM. Aus diesem Jahr stehen schon ein überzeugender Auftritt bei der Team-EM zu Buche, sowie seine Einsätze bei den European Games.

„Bei solchen Rennen bin ich viel ruhiger als etwa bei Deutschen Meisterschaften, weil von vornherein klar ist, dass ich nicht gewinnen kann“, sagt Michael Pohl, der seinen Job bei einer Unternehmensberatung so dosieren kann, dass dieser mit Sport und Uni vereinbar ist.

Gelassen blickt er auch auf eine mögliche Nominierung für die DLV-Sprintstaffel bei der WM in Doha (Katar; 27. September bis 6. Oktober). „Mit dem Titel bei den Deutschen Meisterschaften habe ich schon mehr erreicht, als ich lange für möglich gehalten hatte. Ich möchte bei meinem Konzept bleiben und einfach schauen, wo es mich noch hinbringt.“

Video-Interview: <link video:21243>Michael Pohl: "Der Tag hat sich gelohnt" 
Video: <link video:21222>Knapper Sieg für Michael Pohl im 100 Meter Finale

Das sagt Bundestrainer Jörg Möckel:

Michael hat schon in der gesamten Saison davon gesprochen, Deutscher Meister werden zu wollen. Im DM-Finale von Berlin hatte das allerdings jeder der acht Finalisten vor, Michael am meisten. Er hat das Rennen auf den letzten fünf Metern für sich entschieden. Dort hat er seine Stärke ausgespielt, nachdem er vorne dranbleiben konnte. Er war im Finale der handlungsfähigste Athlet.

Er nennt sich selbst zwar Hobbysportler, auf der anderen Seite ist er mit großer Energie und großem Ehrgeiz dabei. Sein Kopf ist in entscheidenden Situationen voll da. Außerdem hat er einen starken Topspeed. Wenn er sich auf diese Stärken konzentriert und gesund bleibt, kann er noch schneller rennen.

Für die DLV-Staffel hat er sich als Schlussläufer empfohlen. Bei der Team-EM und in Regensburg hat er sich auf dieser Position gut geschlagen. Außerdem ist er ein Teamplayer und kann seine individuellen Stärken in der Mannschaft einbringen. Auf der anderen Seite ist auch die Konkurrenz stark.

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