Michael Schrader - „Hätte fast aufgehört“
Zehnkämpfer Michael Schrader sorgte am Wochenende mit seinem Sieg beim Mehrkampf-Meeting in Götzis (Österreich) und herausragenden 8.522 Punkten für eine Sensation. Im Interview spricht der 21-Jährige von der LAV Bayer Uerdingen/Dormagen unter anderem über den Wettkampf und seine Erwartungen an die kommenden Zehnkämpfe.
Michael Schrader, herzlichen Glückwunsch. Können Sie das schon fassen, was Ihnen in Götzis gelungen ist? Michael Schrader:Fassen schon, aber das ist trotzdem unglaublich. Mit so einem Ergebnis hätte ich natürlich nicht gerechnet.Sieben Bestleistungen in Einzeldisziplinen, dazu eine neue Bestmarke in der Gesamtpunktzahl. Wie ist es zu erklären, dass man so über sich hinaus wächst?Michael Schrader:
Ich würde nicht sagen, dass ich über mich hinaus gewachsen bin. Das waren alles Leistungen, die im Bereich meiner Möglichkeiten lagen. Weitsprung (Anm. 8,05 m) war natürlich eine kleine Überraschung. Dass dann alles in einem Zehnkampf zusammen gepasst hat, war natürlich super und etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte.Seit neun Jahren hat kein Deutscher mehr als 8.500 Punkte gemacht, Sie sind jetzt Neunter in der ewigen deutschen Bestenliste. Sind Ihnen solche Statistiken bekannt?Michael Schrader:
Nein, an so etwas denkt man vorher nicht. Auch jetzt nach dem Wettkampf noch nicht. Vielleicht kommt das in den nächsten Tagen, dass man sich so etwas mal anschaut.Sie waren zum ersten Mal in Götzis. Wie war Ihr Eindruck von dem Traditions-Meeting, das bei vielen Athleten jedes Jahr fest eingeplant ist?Michael Schrader:
Das muss super gewesen sein, sonst hätte ich ja die Punktzahl nicht hingeknallt. Unglaublich. Nur mit dem Wind beim Stabhochsprung hatten wir ein bisschen Pech, sonst war alles perfekt.Wie sehr haben die letzten Schritte beim abschließenden 1.500-Meter-Lauf geschmerzt?Michael Schrader:
Nicht so sehr wie der erste Schritt beim 400-Meter-Lauf.Da hatten Sie, wie schon beim Hochsprung, Krämpfe... Michael Schrader: Ja, ich hatte über 400 Meter ab dem ersten Schritt Krämpfe und das war einfach eine Katastrophe. Alle fünf Meter habe ich überlegt, ob ich aufhören soll, denn es ging eigentlich nicht. Aber man hat natürlich die Leistungen im Kopf, die man vorher schon gebracht hat. Und die wollte ich nicht einfach verschenken. Deswegen habe ich das Ding durchgezogen, obwohl jeder Schritt schmerzhafter wurde. Das war von der Zeit ja ein Trainingslauf – langsamer sogar.Wurden die Probleme dann über Nacht besser?Michael Schrader: Am Sonntagmorgen wusste ich nicht einmal, ob ich überhaupt antrete, weil ich nicht gehen konnte. Ich habe mich dann entschieden, doch zu starten, als ich den ersten Start aus dem Block gemacht habe. Da habe ich gemerkt, dass ich „nur“ Schmerzen hatte. Ich habe die Waden dann am Sonntag zwar noch gemerkt, vor allem das Anlaufen beim Stabhochsprung hat mir ganz schöne Probleme bereitet. Aber ich habe zum Glück keine Krämpfe mehr bekommen.Besteht dieses Problem schon länger?Michael Schrader:
Ja, das ist seit einigen Jahren immer im Wettkampf beim Hochsprung - im Training nie. Bei den 400 Metern war es bislang immer weg, nur diesmal nicht. Woran es liegt, konnten wir bislang noch nicht herausfinden. In Götzis war es natürlich auch eine sehr harte Belastung, weil ich noch nicht so lange im Training bin. Diesmal haben wir versucht, es mit Kompressionsstrümpfen zu vermeiden, aber das ging leider auch in die Hose. Aber auch das muss man ja mal ausprobieren, im Training hat es immer super geholfen.
Haben Sie damit gerechnet, sich in vielen Disziplinen so steigern zu können?
Michael Schrader:
Mit so krassen Ergebnissen habe ich nicht gerechnet. Ich habe schon mit einigen deutlichen Verbesserungen geliebäugelt, aber nicht mit solchen.Vor allem wahrscheinlich nicht mit 8,05 Metern im Weitsprung, oder?
Michael Schrader: Nein. 7,90 Meter hatte ich mir vorgenommen, aber nicht 8,05 Meter.
Wie hat sich der Sprung denn angefühlt?Michael Schrader:
Gar nicht so gut. Ich war in der Luft schon sauer, weil ich den Sprung nicht richtig halten konnte.
Vor dem abschließenden 1.500-Meter-Lauf lagen Sie 133 Punkte hinter dem zu diesem Zeitpunkt führenden US-Amerikaner Trey Hardee. Haben Sie da angefangen zu rechnen?Michael Schrader:
Mir wurde nur gesagt, dass ich 20 Sekunden schneller sein müsste, um zu gewinnen. Aber da achtet man während des Laufs gar nicht drauf. Mein Trainer Torsten Voss hat mir gesagt, ich muss 4:25 Minuten für 8.500 Punkte laufen, das war mein Ziel. Letztlich hat es ja sogar noch mit dem Sieg geklappt.Mit 8.522 Punkten haben Sie jetzt natürlich ein enormes Ergebnis hingelegt. Wie gehen Sie jetzt mit den Erwartungen um, die man eventuell an Sie hat?
Michael Schrader:
Von mir können alle anderen erwarten, was sie wollen. Das ist mir egal. Ich gehe da locker dran. Wenn es klappt, dann klappt es. Man darf von mir jetzt nicht zu viel erwarten und das tue ich auch selbst nicht. In Götzis ist alles bis auf Hochsprung und 400 Meter perfekt gelaufen. Das kann man nicht in jeden Zehnkampf so bringen. Mein Ziel ist es, konstant gute Leistungen zu erzielen. Ich will eigentlich immer Bestleistung machen, aber das ist nicht immer möglich.Sie haben ganz richtig gesagt, dass man solch eine Leistung nicht erwarten konnte. Welche Ziele hatten Sie sich denn vor Götzis gesetzt?Michael Schrader:
Ich wollte über dem U20-Weltrekord von meinem Trainer Torsten Voss sein. Der liegt bei 8.397 Punkten.Und dann haben Sie auch eine seiner besten Einzelleistungen überboten. 8,02 Metern im Weitsprung waren ja nicht von schlechten Eltern... Michael Schrader:
Und im Speerwurf habe ich ihn auch übertroffen. Aber der freut sich darüber. Seine anderen Bestleistungen folgen... vielleicht ein paar zumindest. (lacht)
Ist Torsten Voss Ihr einziger Trainer?Michael Schrader:
Da er Vollzeit arbeitet, trainiere ich, wenn er keine Zeit hat, auch bei Dieter Leyckes. Und Olaf Günther macht mit uns die Läufe.
Welche Rolle spielt Torsten Voss für Sie?Michael Schrader: Er ist mein Vorbild. Nicht nur wegen seinen Leistungen, die er als Zehnkämpfer erreicht hat, sondern auch menschlich. Er ist immer gelassen, immer nett und ein sehr guter Freund für mich. Ohne ihn kann ich mir das nicht mehr vorstellen.
Er lobt Sie auch. Unter anderem als einen Athleten, den man eher bremsen muss...Michael Schrader:
Den Spaß am Training hatte ich schon immer. Und dass wir auch außerhalb des Trainings noch viel machen, liegt an unserer Trainingsgruppe. Da ist jeder voll motiviert, und wir pushen uns gegenseitig.
Anfang des Jahres war an solche Leistungen ja gar nicht zu denken. Da hatten Sie eine Stressfraktur...Michael Schrader: Ich habe mir die Stressfraktur im rechten Fußgelenk Anfang Dezember geholt und habe bis Anfang Januar noch damit trainiert. Bis Mitte März bin ich dann mit Krücken gelaufen.
Und wie haben Sie es geschafft, dann wieder so schnell fit zu werden?Michael Schrader: Ich habe viel Aqua-Jogging und Radfahren gemacht. Bis zum Umfallen. In den Wurf-Disziplinen und im Krafttraining haben wir zu der Zeit auch sehr viel gearbeitet. In der Zeit, in der ich verletzt war, habe ich mehr Trainingseinheiten absolviert als sonst.
Und seit wann können Sie wieder richtig trainieren?Michael Schrader: Seit Mitte März. Da waren wir im Trainingslager in Südafrika. Seitdem wird es von Tag zu Tag besser.
Probleme haben Sie jetzt gar keine mehr?Michael Schrader:
Beim Gehen tut mein Fuß noch weh, aber beim Sport nicht.
Mit 8.522 Punkten haben Sie Ihr Ticket für die WM in Berlin so gut wie sicher...Michael Schrader:
Da denke ich jetzt noch gar nicht dran und setze mir auch noch keine Ziele. Das kommt in den nächsten Wochen. Erst wenn die Vorbereitung läuft, fängt man so langsam an, an den Wettkampf zu denken. Ich werde mich einfach so gut wie möglich vorbereiten, und wenn dann alles noch einmal klappt, ist das schon in Ordnung. Im Moment sind meine Waden sehr lädiert, aber wenn ich fit bin, gebe ich in Ratingen noch einmal alles.
Ihr Trikot sah in Götzis etwas „Old-School“ aus…Michael Schrader:
Das ist das alte Trikot von meinem Vater Harald. Er war früher Sprinter. Das Trikot hatte er noch im Schrank und ich fand es klasse. Da habe ich gesagt, das ziehe ich an. Mein Trainer Torsten Voss und Jürgen Hingsen haben das früher auch getragen. Das kommt jetzt bei mir in den Schrank und wird bei den nächsten Wettkämpfen wieder getragen. Ich finde es optisch einfach total klasse.
Das ist aber nicht das gleiche Material wie die neuen Funktions-Trikots, oder?Michael Schrader:
Nein, das ist Baumwolle. Das wiegt auch bestimmt drei- oder viermal so viel wie die neuen. Aber egal.
Nach solch einem erfolgreichen Wettkampf muss ja auch gebührend gefeiert werden. Ist das dann die elfte Disziplin?Michael Schrader: Nein, das war in Götzis schon das Autogramme schreiben. Da hatte sich schon wieder ein leichter Krampf im Unterarm angedeutet...