Mit der Kamera misst man besser
Es war ein weiter Satz, soviel stand fest. Zuschauer und Athlet starrten gebannt auf die Anzeigentafel. 8,71 Meter – neuer Hallen-Europarekord? Ist das möglich? Nach dem Siegsprung Sebastian Bayers (Bremer LT) bei der Hallen-EM in Turin (Italien) waren die Zweifler sogleich zur Stelle. Die Weite sei nicht korrekt gemessen worden, hieß es. Nachträglich beweisen ließ sich dies jedoch nicht. Mit einem Video-Messsystem wäre das anders gewesen.
Schon seit mehreren Jahren prüft der Weltverband IAAF den Einsatz dieser Messtechnik, im kommenden Jahr soll sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch offiziell zugelassen werden. Der letzte große Test findet bei den Weltmeisterschaften in Berlin (15. bis 23. August) statt. Mit für die Umsetzung verantwortlich ist Frank O. Hamm, der im Berliner Organisationskomitee (BOC) die Position des Wettkampfleiters innehat.Die IAAF habe das BOC gebeten, den Einsatz der Video-Weitenmessung zu ermöglichen, erklärt er, und fügt hinzu, dass es natürlich auch der Wunsch der Organisatoren sei, in diesem Bereich zur Weiterentwicklung der Leichtathletik beizutragen: „Genauso, wie immer wieder über neue Regeln, Trainingsmethoden oder Änderungen in der Verbandsarbeit geredet wird, sollte man auch immer wieder über die Wettkampftechnik reden und überlegen, was man hier verbessern kann.“
Regelkongress beschließt Änderungen
Anerkannt und berücksichtigt werden in Berlin allerdings nur die Ergebnisse der derzeit üblichen optischen Weitenmessung. Die Videokameras sollen ausschließlich Test- und Vergleichswerte liefern, denn noch ist dieses Messsystem nicht offiziell zugelassen. Die IAAF wird im Vorfeld der WM im Rahmen eines Regelkongresses über einen entsprechenden Antrag entscheiden, der am 1. Januar 2010 in Kraft treten soll und für den sich die zuständige Fachkommission bereits ausgesprochen hat.
„Insgeheim hatten wir ein wenig gehofft, dass die Regeländerung schon früher verabschiedet wird“, berichtet Frank O. Hamm, „denn das hätte uns einige Probleme erspart. Hinter der Grube wird es im Olympiastadion sehr, sehr eng. Die optische Weitenmessung muss zwangsläufig dort stehen, das Fernsehen möchte einen guten Platz haben, die Fotografen möchten gerne etwas sehen, wenn die Athleten ihre Sprünge ausführen, und irgendwo müssen wir auch die Kampfrichter positionieren.“
Auswertung der Bilder im Datenzentrum
Die Videokameras können dagegen auch weiter entfernt von der Sprunggrube angebracht werden. Der genaue Ort der Datenauswertung muss noch festgelegt werden. Vermutlich werden die Messergebnisse „einmal quer durchs Stadion“ in das Datenverarbeitungszentrum des Olympiastadions übertragen.
Hier bestimmen Kampfrichter am Bildschirm den genauen Punkt, an dem ein Springer den letzten Abdruck im Sand hinterlässt. Jedes erdenkliche Szenario des Aufkommens muss dabei im Vorfeld berücksichtigt werden, um sicherzustellen, dass jeder Versuch von den Kameras korrekt festgehalten und in die exakte Weite übersetzt wird.
Bei den Weltmeisterschaften werden zwei Mitglieder des Pools der nationalen Zielbild-Auswerter diese Aufgabe übernehmen: „Das ist eine ganz spannende Geschichte. Die beiden Kampfrichter, die wir dazu ausgewählt haben, waren sehr begeistert davon, gerade weil es etwas vollkommen Neues ist. Sie sind eigentlich die Ersten, die in Deutschland überhaupt mal mit dieser Technik in Berührung kommen“, erzählt der WM-Wettkampfleiter.
Technik noch in Entwicklungsphase
Das teure und aufwendig zu betreuende Messsystem wird in Berlin genauso wie die Zeit- und herkömmliche Weiten-Messtechnik vom offiziellen IAAF-Partner, der Firma Seiko, zur Verfügung gestellt. Bisher haben nur die ganz großen Hersteller Video-Messsysteme im Angebot, da diese Technik sich noch in der Entwicklungsphase befindet. Der bisherige Stand lässt ihren Einsatz im Weit- und Dreisprung zu, noch nicht jedoch in den Wurfdisziplinen.
Um Zweifeln und Problemen vorzubeugen, hat die IAAF schon auf mehreren internationalen Veranstaltungen die Zuverlässigkeit und Gültigkeit von Videomessungen getestet. „Beim Bandmaß ist es für jeden offensichtlich, dass ein richtiges Ergebnis angezeigt wird, wenn das Maß entsprechend richtig anlegt wird. Aber gerade die Diskussion um den Sprung von Sebastian Bayer hat ja gezeigt, dass alles, was nicht direkt für jeden Zuschauer transparent ist, eher zu Nachfragen führt. Da muss man sicher gehen, dass so eine neue Methode absolut korrekt funktioniert“, betont Frank O. Hamm.
Schon bei den Weltmeisterschaften 2007 in Osaka (Japan) wurde jeder Sprung per Video erfasst. Damals konnten im Vergleich zur optischen Weitenmessung keine Abweichungen festgestellt werden. Im Übrigen wird auch die Funktionsfähigkeit eines optischen Messsystems vor jeder Veranstaltung erneut überprüft: Kampfrichter gleichen vor dem Wettkampf einige Messergebnisse mit per Bandmaß ermittelten Weiten ab, und wenn diese Werte übereinstimmen, wird die Gültigkeit der Wettkampfergebnisse nicht angezweifelt.
Schnellere Wettkampf-Abwicklung
Der Wettkampfleiter des BOC kann sich durchaus vorstellen, dass die neue Video-Messtechnik zu einer Beschleunigung der Wettkampf-Abläufe beitragen wird: „Denn man kann in der Grube schon weiterarbeiten, während gemessen wird, kann man zum Beispiel schon mit dem Harken anfangen und so weiter. Es ist natürlich nicht das kostengünstigste Verfahren, aber wahrscheinlich wird es sich bei den großen Veranstaltungen nach und nach etablieren.“
In wenigen Tagen treffen sich die WM-Organisatoren mit den technischen Partnern in Berlin, dann sollen auch die letzten Einzelheiten für den Einsatz der Video-Weitenmessung besprochen werden. Unter anderem wird bestimmt, wie viele Kameras benötigt werden und wo man sie anbringen kann. Zuschauer im Stadion und an den Fernsehbildschirmen können vom 15. bis zum 23. August ja mal versuchen, diese Kameras zu erspähen - kleiner Tipp: direkt an der Grube werden sie wohl eher nicht zu finden sein!