Muriel Hurtis, die WM-Botschafterin aus Frankreich
Der Druck lastet schwer auf ihren Schultern. Muriel Hurtis, die offizielle WM-Botschafterin des Französischen Leichtathletik-Verbandes (FFA), trägt die Hoffnungen der "Grande Nation"! Wenn vom 23. bis 31. August im "Stade de France", einer futuristisch anmutenden Betonschüssel, die von den Einheimischen gern mit einem Ufo verglichen wird, die Weltmeisterschaften ausgetragen werden, zählt die dunkelhäutige Vollblutsprinterin zu den heißen Medaillenkandidatinnen über 100 Meter und mehr noch über 200 Meter, ihrer Spezialdisziplin, in der sie ihre schönsten Erfolge errungen hat.
Muriel Hurtis ist eine strahlende Medaillenhoffnung für Paris (Foto: Chai)
Was so ein Stück Textil alles ausmachen kann! Trägt Muriel Hurtis den blauen Dress der "Équipe tricolore", kommen unweigerlich Vergleiche mit Marie-José Pérec. "Das nervt", redete sie Klartext, "wir sind zwei grundverschiedene Personen." In der Tat: Hurtis ist aufgeschlossen, Pérec eher verschlossen. Mit ihrem merkwürdigen Auftritt bei den Olympischen Spielen in Sydney, als sie Knall auf Fall von der Bildfläche verschwand, hat sich die dreifache Olympiasiegerin, die 1992 in Barcelona Gold über 400 Meter sowie 1996 in Atlanta noch zweimal Gold über 200 und 400 Meter gewonnen hatte, viele Sympathien verscherzt.Muriel Hurtis ist indes so populär wie nie zuvor. Hinter Stéphane Diagana, dem Europameister über 400 Meter Hürden, belegte sie im Winter den zweiten Platz bei der Wahl zum Leichtathleten des Jahres 2002. "Darauf bin ich sehr stolz", kommentierte sie ihr Abschneiden, "dieses Ergebnis ist für mich Motivation und Verpflichtung zugleich." Sie weiß, dass die Erwartungen bei der WM in St. Denis vor den Toren von Paris ins Unermessliche schießen werden.
Druck der Öffentlichkeit
Aber Heimvorteil hin, Heimvorteil her, die Konkurrenz ist stark. Bärenstark. Marion Jones, die zunächst mit ihrem möglichen Wechsel zu Charlie Francis, dem Ex-Coach von Doping-Sünder Ben Johnson, für reichlich Rummel in den Medien gesorgt hat, fehlt wegen ihrer Mutterschaft.
Zhanna Block, ihre Erzrivalin, hat sich eine Menge vorgenommen. Aus dem langen Schatten, den die US-Amerikanerin warf, will die Ukrainerin wieder ins strahlende Licht. Und Muriel Hurtis? "Je näher die WM rückt, um so größer werden die Erwartungen der Öffentlichkeit", sagte sie, "damit muss ich leben." Ihr bleibt kaum Zeit zum Luft holen.
Strammes Pensum
In bewährter Kooperation mit Guy Ontanon nahm sie die Saisonvorbereitungen in Angriff. "Aller Anfang ist schwer", stöhnte Muriel Hurtis nach den ersten Einheiten Anfang November in Nogent-sur-Oise, nördlich von Paris gelegen, "Guy hatte mir prophezeit, dass es kräftig zur Sache gehen würde." Und Ontanon, der auch Christine Arron und Sylviane Felix, die EM-Vierte über 200 Meter, zu seinen Schützlingen zählt, hat ihr ein strammes Pensum aufgebürdet.
Das Glamour-Girl gilt in der Heimat als größtes Sprinttalent seit den glorreichen Zeiten von Marie-José Pérec, die sich bei den Französischen Meisterschaften in Narbonne seit langer Zeit wieder in der Öffentlichkeit zeigte. Muriel Hurtis gehen die ständigen Quervergleiche mit der Diva gehörig auf den Geist: "Sie hat ihren Weg gemacht, sehr erfolgreich sogar, und ich gehe meinen." Basta.
Die Karriere der Muriel Hurtis ist bislang steil bergauf verlaufen. Auf der 200-Meter-Distanz verkörpert sie absolute Spitzenklasse! 1997 gewann sie Silber bei der Junioren-EM, 1998 Gold bei der Junioren-WM und 1999 Silber bei der U 23-EM. 2000 wurde Hurtis, deren Eltern wie Pérec aus Guadeloupe stammen, Hallen-Europameisterin, 2001 Fünfte und 2003 Zweite der Hallen-Weltmeisterschaften.
Erfolg macht Appetit
Erfolg, heißt es, macht Appetit auf mehr! Bei ihrer Suche nach den eigenen Möglichkeiten ließ Muriel Hurtis nicht locker. Ihre Lust auf neue Glanztaten führte sie bei den europäischen Titelkämpfen in München zum Double, denn sowohl in der Halle als auch im Freien stürmte sie der Konkurrenz auf und davon.
Goldige Zeiten waren angebrochen für die flotte Französin, die bei 1,80 Meter Körperlänge und 68 Kilo Gewicht über ideale Maße verfügt! Sie zu schlagen, ist gar nicht so einfach. In Paris werden ihre vielen Fans sie lauthals anfeuern und nach vorn treiben! Die langen Beine sind nicht nur Blickfang, sondern sorgen auch für Hebelverhältnisse, die so Raum greifende Schritte produzieren, dass Muriel Hurtis im Sauseschritt über die Kunststoffbahn düst. Wie im Sommer in München, als sie in 22,43 Sekunden vor der Belgierin Kim Gevaert triumphierte.
Das war damals persönliche Bestzeit! In Lièvin, dem bestbesetzten Hallen.Meeting der Welt 2001, lief sie 22,51, ein Resultat, das angesichts der engen Kurven unterm Dach noch höher einzustufen ist. Den nationalen Uralt-Rekord (21,99 sec.), den Marie-José Pérec bereits anno 1993 in Villeneuve d'Ascq aufgestellt hat, trauen ihr die Experten vorbehaltlos zu.
Perfektes Rennen für Rekord
"Den hat sie drauf", meinte beispielsweise Guy Ontanon, "in einem perfekten Rennen, wenn alles stimmt, trau ich ihr eine solche Zeit durchaus zu." Muriel Hurtis hält nichts von derlei Spekulationen. "Darüber denk ich nicht nach", grantelte sie, "wichtig ist für mich in erster Linie, dass ich möglichst dicht an die 22 Sekunden komme." Und vielleicht sogar darunter.
Ein solcher Coup ist ihr allemal zuzutrauen! Muriel Hurtis ist ein zielstrebiger Typ. Was sie macht, macht sie gründlich. "Halbe Sachen", sagte sie mit grimmiger Miene, "sind mir ein Greuel." Mit 24 Jahren auf den muskulösen Schultern zählt sie im Stade de France zu heißen Medaillenkandidatinnen.