Nadine Müller: „Schluss mit Versteckspiel"
Diskuswerferin Nadine Müller (Hallesche Leichtathletik-Freunde) hat am 31. Dezember ihre Partnerin Sabine geheiratet. Als erste aktive deutsche Spitzensportlerin machte sie diesen Schritt unter anderem mit einem Hochzeitsfoto auf Facebook öffentlich. Warum sie sich genau jetzt dazu entschlossen hat, wie die Reaktionen auf ihr Outing ausgefallen sind und welche neuen Wege sie auch im Training beschreitet, verrät die 28-Jährige im Interview mit leichtathletik.de.
Nadine Müller, herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit! Wie geht es Ihnen so kurz nach dem großen Tag? Nadine Müller:Mir ist erstmal eine riesige Last von den Schultern gefallen! Viele Dinge gehen jetzt einfach so viel leichter von der Hand. Ich glaube, so richtig können wir es beide noch nicht glauben. Die Entscheidung, noch im Jahr 2013 zu heiraten, fiel ja auch sehr spontan… Nadine Müller:
Wir haben uns das erst drei Wochen vorher überlegt! Eigentlich war der Plan, das Jahr und die Saison ruhig ausklingen zu lassen. Aber nach allem was war, mit einer schwierigen Saison, der Verletzung und zuletzt der Operation, wollten wir für das Jahr ein versöhnliches Ende finden. Wir haben dann im Standesamt den letzten freien Termin des Jahres bekommen, morgens früh um zehn.
Wie verlief der Hochzeitstag selbst?
Nadine Müller:
Wir sind um vier Uhr aufgestanden. Eine Freundin von uns, die Friseurin ist, hat uns die Haare gemacht. Die Trauung fand dann im kleinen Kreis statt, nur mit der Familie und den engsten Freunden. Anschließend waren wir zusammen essen, und abends haben wir bei uns zu Hause eine Party gemacht. Hinten raus war es schon etwas stressig, das zu organisieren. Unsere Kleider kamen erst einen Tag vor der Hochzeit! Aber wir waren ja zu zweit, haben alles gut gemeistert und zum Glück hat alles gut geklappt.
Sie haben sich bewusst dazu entschieden, diese Hochzeit und Ihre Homosexualität öffentlich zu machen – als erste aktive deutsche Spitzensportlerin. Wie sind die Reaktionen ausgefallen? Nadine Müller:
Durchweg positiv! Sowohl von Leuten, die wir kennen, als auch von Leuten, die wir nicht kennen. Und auch die Berichterstattung fiel sehr positiv aus. Es ist schön, dass sich die Leute dafür interessieren und die Entscheidung unterstützen. Wir hatten damit gerechnet, dass viele Reaktionen kommen würden und dass das Handy häufiger klingeln würde. Es war gut, dass wir darauf vorbereitet waren. Welche Gedanken haben Sie bei diesem Schritt begleitet? Nadine Müller:
Wir haben lange darüber nachgedacht. Es gehört schon eine Portion Mut dazu und man muss sich gut überlegen, ob man in die Öffentlichkeit geht oder ob man das privat halten will. Aber irgendwann bist du an einem Punkt, an dem du dich nicht mehr verstecken möchtest. Du möchtest zu deiner Partnerin stehen, und deine Partnerin möchte sich in der Öffentlichkeit mit dir freuen und nicht hinter einer Mauer stehen mit der Angst, dass jemand sieht, wie man sich zulächelt! Das belastet sehr. Es war Zeit, einen Schlussstrich unter das Versteckspiel zu ziehen. Wir sind im 21. Jahrhundert und da sollte es alltäglich sein, sich dazu zu bekennen. Hat denn vorher niemand von Ihrer Beziehung gewusst? Nadine Müller:
Doch doch! Mein Familien- und Bekanntenkreis weiß seit Jahren Bescheid, meine Sportkollegen, die Leichtathleten, wissen seit Jahren Bescheid. Es war die logische Konsequenz, zuletzt damit auch an die Öffentlichkeit zu gehen. Bei den Weltmeisterschaften in Moskau war Homosexualität aufgrund des umstrittenen russischen Anti-Homosexuellen-Gesetzes ein großes Thema. Wie haben Sie sich dort inmitten der Diskussionen gefühlt? Nadine Müller:
Ich hatte sogar schon überlegt, mich dort zu outen, zum Beispiel wenn ich eine Medaille gewonnen hätte. Aber das wäre dann wahrscheinlich ein riesen Hype geworden und hätte viel Kritik gegeben. Möglicherweise hätte sich Herr Putin dann noch da hingestellt und gesagt: ‚Frau Müller, wir müssen Sie leider von der WM ausschließen!‘ Man muss den Zeitpunkt schon so wählen, dass er passt. Wobei ich sagen muss, die jüngsten Aussagen von Herrn Blüm, Homosexualität sei gerade einfach nur „in“, zeigen ja, dass man nicht bis nach Russland schauen muss, sondern auch in Deutschland noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten ist.
Wie können Vereine oder Verbände Athleten unterstützen, die sich in einem ähnlichen Zwiespalt befinden, wie Sie ihn erlebt haben? Nadine Müller:
Wenn ein Sportler sich Unterstützung wünscht, dann sollten sie ihm diese Unterstützung geben und hinter ihm stehen. Es ist wichtig, dass der Athlet nicht alleine gelassen wird und dass es nicht heißt: Das ist seine Privatsache, damit haben wir nichts zu tun. Sportverbände sollten klar Stellung beziehen und sich positionieren – vielleicht habe ich dazu jetzt auch einen Anstoß gegeben. Machen Sie sich Sorgen, dass das Outing für Sie negative Folgen haben könnte? Nadine Müller:
Nein, gar nicht. Mein Arbeitgeber, die Bundespolizei, steht hinter mir, auch meine Haupt-Sponsoren, die DKB und adidas. Im Gegenteil: Mir ist eine Last von den Schultern gefallen und das gibt sicher auch sportlich einen Energieschub. Apropos Sport: Wie steht es drei Monate nach Ihrer Schulter-OP um Ihre Saison-Vorbereitung? Nadine Müller:
Die OP habe ich gut verkraftet. Ich habe danach gleich mit der Reha begonnen und wir sind momentan gut im Soll. Nächste Woche fahre ich ins Trainingslager in Kienbaum, da steht die erste Kraft-Spitze an. Alles läuft nach Plan und alle großen Wehwehchen sind ausgeheilt. Ich hoffe, dass das so bleibt und dass ich in diesem Jahr verletzungsfrei durchtrainieren kann. Werden Sie im Frühjahr auch Winterwurf-Wettbewerbe bestreiten? Nadine Müller:
Das steht noch nicht fest. Das kommt ganz auf meinen Trainingsstand an. Wir haben diesmal einen anderen Aufbau gewählt. In den Jahren zuvor haben wir immer eine Doppel-Periodisierung gemacht, mit zwei Spitzen im Jahr. Eine davon war auf die Winterwurf-Challenge ausgerichtet, eine auf den Höhepunkt im Sommer. In diesem Jahr machen wir einen langen Saison-Aufbau, dadurch verschiebt sich natürlich alles. Bisher habe ich noch gar keine langen Würfe gemacht. Wir haben noch keine Erfahrungen damit, wie sich der neue Saison-Aufbau auswirkt. Aber ich hoffe, dass ich im Sommer so fit bin, dass da auch mal eine neue Bestleistung herausspringt. Gibt es denn jetzt einen Ehering, der Sie beim Werfen behindern könnte? Nadine Müller:
Nein, für den haben wir die linke Hand gewählt. Das ist zwar nicht typisch deutsch, aber da ist der Ringfinger, der näher am Herzen liegt. Dem Diskuswerfen steht also nichts im Weg.
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