Naide Gomes - Von der Exotin zu Portugals EM-Hoffnung
Sie tauchte im Winter wie Phoenix aus der Asche auf und krönte ihre beeindruckende Hallensaison mit Silber bei der Hallen-EM in Wien. Ihr Name: Naide Gomes. Ihr Alter: 22. Ihre Nationalität: Portugiesin. Ihr Geburtsland: São Tomé und Príncipe in Afrika. Ihre Berufung: Mehrkampf. Ihr nächster Auftritt: Ratingen, 15. und 16. Juni!
Naide Gomes gibt beim ruhrgas DLV-Mehrkampf-Meeting am 15. und 16. Juni in Ratingen ihre Visitenkarte ab (Foto: Chai)
Im Wiener Dusika-Stadion hüpfte sie wie die kommende Olympiasiegerin, als sie sich im Weitsprung auf 6,50 Meter - noch nie zuvor war eine Portugiesin weiter gesprungen - gejagt hatte und ziemlich sicher sein konnte, dass es für eine Medaille reicht. Am Ende war es Silber hinter der russischen Weltmeisterin Yelena Prokhorova. Mit ihren 4595 Punkten fehlten nur 27 Zähler zum Sieg. Ein weiterer Landesrekord war es für Naide, die eigentlich Enezenaide heisst, trotzdem. Wenige Stunden später, am Abend, sass sie fast etwas verloren an der Hotelbar des Hilton Danube, während der Rest der kleinen portugiesischen Mannschaft mehr mit sich und den beiden noch bevorstehenden Wettkampftagen beschäftigt war. Die große Party für Naide Gomes folgte später.Coole Athletin mit Ausstrahlung und Potenzial
Naide Gomes ist cool - auf ihre ganz eigene Art. Im Wettkampf, aber auch danach. Und sie hat Ausstrahlung. Eine ganze Menge sogar. Sich selber und ihre Freudentränen hat sie im Griff. Das zeigt sich auch, wenn sie über die Siegerehrung in Wien spricht: "Ich war plötzlich viel nervöser, als die Siegerehrung anstand. Es war aber nicht so schlimm, dass ich in Tränen hätte ausbrechen müssen. Das ist dann eher was, wenn ich bei Olympischen Spielen oder einer Weltmeisterschaft mal ganz oben stehe."
Als sie aus Wien wieder nach Portugal zurückkehrte, ging der Stress für die dunkelhäutige Athletin, die Carl Lewis und Jonathan Edwards als Vorbilder angibt, erst richtig los. "Interviews und Fototermine, ich hatte keine Zeit zum Verschnaufen. Das Telefon klingelte die ganze Zeit." Sie ist jetzt ein Star und eine neue Leichtathletik-Hoffnung der Portugiesen für diesen Sommer. Kein Wunder, schließlich hat Naide Gomes in der Hallensaison innerhalb von wenigen Wochen fünf Landesrekorde im Hochsprung, im Weitsprung und natürlich im Fünfkampf gebrochen und ihre Fünfkampf-Bestleistung auf fast 4600 Zähler pulverisiert. 2001 reihte sie sich im Fünfkampf in der Halle noch bei bescheidenen 3965 Punkten noch nicht einmal in Lauerstellung ein.
"Der Anfang war schwer"
Die Studentin trainiert zweimal am Tag - vor und nach den Vorlesungen - im Stadion von Alvalade und trotzte dort über die kalten Monate den für sie als gebürtige Afrikanerin manchmal schwierigen Bedingungen. "Ich habe oft im Regen trainiert. Es war hart, aber ich habe mich nie geschont." Das Geheimnis ihres plötzlichen Erfolges ist auch ihr Trainer Abreu Matos, in Portugal ein Mann mit Referenzen. Im zweiten Juniorenjahr hat sie sich entschieden, mit ihm zusammenzuarbeiten. Der Anfang war schwer: "Ich habe schon daran gedacht, aufzugeben."
Lange Zeit hatte sich Naide Gomes um den Mehrkampf gedrückt, weil sie zu großen Respekt vor den abschliessenden 800 Metern hatte und ihre Stärken mehr im Sprung sah. So richtig hungrig wurde sie, als sie sich im Olympiajahr 2000 in Abwesenheit ihres Trainers einmal am Siebenkampf versuchte und mit 5671 Punkten die Norm für Sydney um 21 Punkte hauchdünn verpasste. Es blieb ihr der Hürdensprint. Als sie in Australien im Olympiastadion stand, prägte sie dieser Moment, der ihr eine gehörige Portion Motivation mit auf den Weg gab. In 14,43 Sekunden wurde sie dort Letzte im Vorlauf und war im Nationaltrikot von São Tomé und Príncipe eine der echten Exotinnen, eine Randerscheinung, nicht mehr als ein verschwindend kleiner Farbtupfer im Olympischen Tumult.
Mit 13 Jahren hat Naide Gomes, die in Saint Tomé geboren wurde, mit der Leichtathletik begonnen und kurze Zeit später wieder aufgehört. "Ich dachte, ich hätte dort keine Zukunft", erzählt sie. Ein Lehrer überzeugte sie aber schließlich von ihrem vorhandenen Talent, das sie erst in diesem Jahr so richtig auszuschöpfen vermochte, und Gomes griff wieder zu den Spikes. Die Dinge nahmen ihren Lauf. Im Mai letzten Jahres wurde sie schließlich auch auf dem Papier Portugiesin, nachdem sie bereits mit elf Jahren nach Südwesteuropa gekommen war. "Ich bin hier aufgewachsen, ich bin hier zur Schule gegangen und ich habe hier mit der Leichtathletik begonnen", sagt Gomes, "da war es leicht, Portugiesin zu werden."
Medaille in München wird nicht einfach
Der Ausblick auf die anstehenden Aufgaben fällt Naide Gomes an sich leicht. Die für sie gültige EM-Norm von 5.750 Punkten hat sie im Mai in Desenzano locker genommen und 5.928 Zähler markiert. Wenn Sie am 15. und 16. Juni beim ruhrgas DLV-Mehrkampf-Meeting in Ratingen gegen die deutsche Spitze antritt, will sie was draufpacken und die Generalprobe für München erfolgreich gestalten. Danach richtet sie ihren Blick ganz auf die EM: "Ich peile wieder eine Medaille an, weiss aber, dass das nicht einfach wird."