Neue Gesichter und Siegertypen
In den Reißwolf mit der Statistik. Was zählt, sind die neuen Siegertypen und Gesichter. Dass Deutschlands Leichtathleten im EM-Titelrennen von Barcelona (Spanien) gegen Russland (10x Gold), Frankreich (8) und Großbritannien (6) mit 16 Medaillen (4-6-6) nur als Vierte ins Ziel sprinteten, war völlig egal, als der letzte Vorhang fiel.
Denn das Wichtigste lässt sich nicht in Zahlen messen. Es ist dies: Deutschlands Leichtathletik hat endlich neue Identifikationsfiguren. Es gab Triumphe von Weitspringer Christian Reif (ABC Ludwigshafen), 100-Meter-Siegerin Verena Sailer (MTG Mannheim), Speer-Überraschung Linda Stahl (TSV Bayer 04 Leverkusen) und dem beim Silberwurf sensationell verbesserten Branchenkollegen Matthias de Zordo (SV schlau.com Saar 05).Auch 1.500-Meter-Aufsteiger Carsten Schlangen (LG Nord Berlin), die Stabhochspringerinnen Silke Spiegelburg (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Lisa Ryzih (ABC Ludwigshafen) sowie Hürdensprinterin Carolin Nytra (Bremer LT) geben der Sportart neues Profil.
Lange vermisst
"Das ist es, was wir so lange vermisst haben", sagte Dr. Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). "Gemessen am Weltniveau hätten unsere Athleten heute bei Olympia bessere Chancen als Russen, Briten und Franzosen."
Dr. Clemens Prokop kennt die Mechanismen, die da greifen: Ohne charismatische Athleten keine Öffentlichkeit, kein Fernsehen, keine Sponsoren - und wenig Geld für den Verband, der über ein Budget verfügt, das andere Profisportarten milde lächeln lässt.
Wieder vier Titel
Erstmals seit der Wiedervereinigung wurden bei einer internationalen Meisterschaft so viele neue Helden geboren wie diesmal am Olympiaberg Montjuic. Dort, wo 1992 Dieter Baumann (5.000 m), Heike Drechsler (Weitsprung), Heike Henkel (Hochsprung) und Silke Renk (Speerwurf) gesiegt hatten, gab es wie damals vier Titel - auf anderer Ebene. Vier waren es auch 2006 bei der EM in Göteborg (Schweden) gewesen, als der DLV (4-4-2) zehnmal Edelmetall gewonnen hatte.
Der Medaillenregen am Montjuic lässt den DLV zuversichtlich in Richtung Olympia 2012 blicken. "Wir sind zwei Jahre vor London schon viel weiter als wir 2008 in Peking waren. Dort und auch bei der WM 2011 im südkoreanischen Daegu wollen wir auf dieser Erfolgsebene weitermachen", sagt Dr. Clemens Prokop.
Nur zwölf Athleten scheiterten
Unbeirrt vom medaillenlosen Beginn präsentierte das 73-köpfige Team sich trotz einiger Fehlschläge wie Rang acht durch Diskus-Favoritin Nadine Müller (Hallesche LAF) oder die mitfavorisierte 4x100-Meter-Staffel der Frauen größtenteils topfit. "70 Prozent der Athleten standen im Finale. 15 schafften Bestleistungen oder Saisonbestleistungen. Nur in zwölf Fällen gab es ein Scheitern in Runde eins. Die Nationalmannschaft hat sich hervorragend präsentiert", sagte Thomas Kurschilgen, Sportdirektor des DLV.
Ein Jahr nach der erfolgreichen Berliner WM (2-3-4) gab es nochmal einen Ruck nach vorn. Die Medaillengewinner von Barcelona werden bei Olympia 2012 zu 80 Prozent zwischen 21 und 28 Jahren alt sein - nur der Neubrandenburger Kugelstoßer Ralf Bartels (jetzt 32) fällt aus dem Rahmen, doch er hat im 20 Jahre alten Supertalent aus Chemnitz, David Storl (Fünfter mit 20,57 m), einen schon heute fast gleichwertigen Nachfolger.
In Daegu und London kann der DLV weiter auf seine Routiniers setzen, die in Barcelona an vier Medaillen beteiligt waren: Gold gewann wie bei der WM 2007 Hammerwerferin Betty Heidler (LG Eintracht Frankfurt), Silber wie damals Diskus-Weltmeister Robert Harting (SCC Berlin), wie zweimal bei der WM Speerwerferin Christina Obergföll (LG Offenburg), Bronze wie 2009 in Berlin Hochspringerin Ariane Friedrich (LG Eintracht Frankfurt).
Quelle: Sport-Informations-Dienst (sid)