Neue Helden auf der Insel
Zwei Jahre vor den Olympischen Spielen im heimischen London präsentierten sich Großbritanniens Leichtathleten bei den Europameisterschaften in Barcelona (Spanien) in starker Verfassung. Die heimische Presse sprach nach dem medaillenreichsten Abschneiden bei kontinentalen Wettkämpfen von einer „goldenen Zukunft.“
Zurückhaltend gab sich dennoch der niederländische Cheftrainer Charles van Commenee, der die Vorstellungen seiner Athleten als „sehr ermutigend“ bezeichnete, aber zugleich noch viel Arbeit auf sich zukommen sieht.Speziell mit den Leistungen in den technischen Disziplinen und dem Abschneiden der Frauen, war der ehrgeizige Niederländer, der nach den Olympischen Spielen in Peking (China) das britische Team übernahm, noch nicht zufrieden.
„Wir haben nicht genug Athleten über die ganze Breite der Disziplinen verteilt, speziell in den Wurf- und Sprungdisziplinen, und vor allem auch nicht genug Frauen“, meinte der 52-Jährige, der als Hardliner gilt und über sich selbst schon gesagt hat: „Es ist mir egal, ob mich die Sportler mögen. In 27 Jahren habe ich viele Athleten trainiert, aber nur mit zweien bin ich immer noch im Kontakt. Ich denke, das sagt vieles.“
Hardliner Charles van Commenee
Für Charles van Commenee, der unter anderem die britische Siebenkämpferin Denise Lewis zu Siebenkampfgold bei den Olympischen Spielen 2000 führte, zählt einzig der Erfolg seiner Arbeitsweise und diese sieht er bisher bestätigt. „Wichtig ist, dass die Menschen einen anderen Sport als vor zwei Jahren sehen.“
Das konnte die britische Öffentlichkeit mit sechs Gold-, sieben Silber- und sechs Bronzemedaillen in den Tagen von Barcelona in der Tat erleben. Die renommierte Tageszeitung „The Times“ schrieb in Anspielung auf das Abschneiden der englischen Fußballer bei der WM in Südafrika - „Vergesst die Weltmeisterschafts-Versager, goldene Leichtathleten sind die neuen Helden“.
Aufkeimende Euphorie
Zum ersten Mal nach fast drei Jahrzehnten, als die Läufer Sebastian Coe und Steve Ovett und der Zehnkämpfer Daley Thompson mit ihren Siegen und Weltrekorden die Leute begeisterten, keimt auf der Insel Euphorie für die olympische Kerndisziplin Leichtathletik auf.
Eine Entwicklung, die genau zum richtigen Zeitpunkt kommt. Denn in nicht einmal zwei Jahren fällt der Startschuss für die Olympischen Spiele in London.
Neben Erfolgen werden dafür natürlich auch Sponsoren benötigt. Athleten wie Siebenkämpferin Jessica Ennis, der mit rot gefärbtem Haarschopf antretende Dreispringer Phillips Idowu oder der als Zehnjähriger als Flüchtling nach Großbritannien gekommene Langstreckler Mo Farah stehen für ein neues Image der britischen Leichtathletik und gelten als wiedererkennbare Marken.
Jessica Ennis das Gesicht für 2012
Für Jessica Ennis ist dabei die Rolle des „Gesichts der Olympischen Spiele“ gedacht. Eine Aufgabe, die die 24-Jährige optisch und vor allem sportlich bereits erfüllt. Ihren WM-Titel aus Berlin bestätigte sie in Barcelona in einem herausragenden Wettkampf.
Von den britischen EM-Siegern ist sie neben Dreispringer Phillips Idowu die größte Hoffnung auf olympisches Gold. Den anderen Titelträgern, Mo Farah (5.000 und 10.000 m), Andy Turner (110m Hürden) und Dai Greene (400m Hürden), werden hingegen nur Außenseiterchancen auf den ganz großen Erfolg zugetraut.
Chancen
Was die Aussichten der restlichen Medaillengewinner von Barcelona betrifft, gibt man sich in Großbritannien zurückhaltend. Einzig die 400 Meter-Läufer Michael Bingham und Martyn Rooney, die 800 Meter-Läuferin Jenny Meadows und die Staffeln gelten bereits jetzt als Anwärter auf Edelmetall in London.
Mit denen in Spanien fehlenden 400 Meter-Olympiasiegerin Christine Ohuruogu und Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe haben die Briten weitere heiße Eisen im Feuer, die das Ziel von mindestens acht olympischen Medaillen in der Leichtathletik realistisch erscheinen lassen.
Renaissance der europäischen Leichtathletik
Dementsprechend optimistisch gibt sich auch Lord Sebastian Coe, der selbst das Gefühl des Olympiasiegs kennt. „Ich spüre große Freude in mir, dass wir nicht einmal zwei Jahre vor London 2012 so gut bei den Europameisterschaften abgeschnitten haben“, schrieb der Chef des Londoner Olympia-Organisationskomitees in einem Beitrag für die „Sun“.
Der Olympiasieger von 1980 und 1984 über 1.500 Meter misst auch dem guten Abschneiden der Franzosen und Deutschen eine enorme Bedeutung bei, denn „London 2012 ist auch eine gute Gelegenheit für eine Renaissance der europäischen Leichtathletik.“