Neue Helden braucht das Land
Jede Sportart lebt von großen Namen, da ist die Leichtathletik keine Ausnahme! Was früher als "Held" gefeiert wurde, nennt sich heute neudeutsch "Star" oder noch besser "Superstar". Und jene Stars sind es, die eine Sportart in den Mittelpunkt rücken, zum einen durch ihre herausragenden Leistungen und zum anderen durch ihre Ausstrahlung.
Christina Obergföll tat einen ersten Schritt, warf sich in die Herzen der Sportfans (Foto: Chai)
So erlebte der Tennissport in Deutschland seine Hochphase zu Zeiten einer Steffi Graf und eines Boris Becker und die Formel 1 kam erst mit Michael Schumacher richtig in Fahrt. Andere Kausalzusammenhänge lassen sich im Radsport mit Jan Ullrich oder im Skisprung mit Martin Schmitt bzw. Sven Hannawald erkennen. In der Leichtathletik vermisst man augenblicklich solche alles überstrahlende "Lichtgestalten", die die notwendigen Erfolge feiern und zudem die Zugkraft haben, um die ganze Sportart wieder mehr in den Mittelpunkt zu rücken.National wie international blickt man ein wenig wehmütig auf die Zeiten zurück, als der Tübinger Langstreckler Dieter Baumann oder die jetzt in Karlsruhe beheimatete Weitspringerin Heike Drechsler reihenweise wichtige Meisterschaften gewannen und das Publikum im Stadion und am Fernseher begeisterten oder als Sprint-Duelle mit Carl Lewis (USA) und Linford Christie (Großbritannien) massenhaft Zuschauer in die Stadien strömen ließ.
Auch international fehlen Identifikationsfiguren
Es besteht kein Zweifel daran, dass es auch aktuell Athletinnen und Athleten gibt, die ihre Disziplin beherrschen, Weltrekorde aufstellen und damit internationale Anerkennung ernten. Und dennoch sind Justin Gatlin, Jeremy Wariner (beide USA) oder Yelena Isinbayeva (Russland) noch ein wenig entfernt von einem Status, der sie auch bei einer großen fachfremden Öffentlichkeit bekannt macht.
International hat dieses Problem mehrere Gründe. In den letzten Jahren ist die Konkurrenz in beinahe jeder Disziplin deutlich härter geworden. Speziell Athleten aus afrikanischen Ländern haben erkannt, dass ihnen die Leichtathletik eine gute Chance bietet, um der Armut zu entkommen und sich und seine Familie gut zu ernähren. Mittlerweile rennt selbst die zweite und dritte Garde der Kenianer und Äthiopier den meisten Nicht-Afrikanern auf und davon.
Hinzu kommt noch, dass viele dieser Athleten seit wenigen Jahren einen mehr oder weniger lukrativen Nationenwechsel nach Bahrain, Katar oder sonstigen Öl-Staaten vollzogen haben und dieser Trend noch nicht gestoppt ist. Also rennen in einem 5.000-Meter-Finale bei einer Weltmeisterschaft gut und gerne bis zu zehn gebürtige Kenianer gegeneinander und fast jeder kann jeden schlagen. Früher gab es einen Kipchoge Keino, der bei zwei Olympischen Spielen zwei Goldmedaillen und zwei Silbermedaillen gewonnen hat und zu einem echten Star wurde. Heute fällt es selbst Insidern schwer, die Namen der aktuell für Kenia laufenden Athleten zu kennen, geschweige denn ihnen ein Gesicht zuzuordnen.
Spitze verbreitert sich
Neben den Nationenwechseln nimmt die Breite an der Spitze aber auch auf ganz natürlichem Weg zu. Bei der WM 2003 in Paris stand beispielsweise das 30.000 Einwohner-Land Saint Kitts & Nevis im Medaillenspiegel vor Deutschland. Der Sprinter Kim Collins gewann, etwas überraschend, den 100-Meter-Titel und schnappte ihn den vermeintlich großen Namen auf den Bahnen neben ihm weg. Bei den Olympischen Spielen in Athen haben so viele Nationen wie nie zuvor Medaillen bei Olympia gewonnen. Mehr Medaillengewinner bedeutet aber eben auch weniger echte Stars, die über den anderen thronen. Der Kuchen wird heute sehr gleichmäßig verteilt und demnach fallen nur noch ganz selten richtig große Stücke ab.
Eine Folgeerscheinung der immer härteren Konkurrenz ist, dass mehr bzw. härteres Training erforderlich wird, um entweder an die Spitze zu kommen, oder um sich dort halten zu können. Dies hat zur Folge, dass die Verletzungsanfälligkeit zunimmt und Athleten zum Teil gar nicht in den Genuss ihrer Erfolge kommen. So denken wir hierzulande schweren Herzens an den Thüringer Nils Schumann, der bei den Olympischen Spielen in Sydney vor fünf Jahren sensationell die Goldmedaille über 800 Meter erkämpfte. Nach diesem großen Triumph folgten auf dem besten Weg zum großen und gefeierten Star zahlreiche Verletzungen, Operationen und Reha-Maßnahmen.
Etwas mehr Glück haben vielleicht die möglichen zukünftigen Stars des DLV. Das Zeug dazu haben sicher einige. Speerwerferin Christina Obergföll (LG Offenburg), Zehnkämpfer André Niklaus (LG Nike Berlin), Kugelstoßer Ralf Bartels (SC Neubrandenburg) oder Sprinter Tobias Unger (LAZ Salamander Kornwestheim/Ludwigsburg) befinden sich auf einem sehr guten Weg. Sie können bereits auf beachtliche Erfolge zurückblicken und haben ihren Bekanntheitsgrad regional wie auch national zuletzt deutlich gesteigert.
Talente im Vormarsch
Dahinter steht eine weitere Reihe großer Talente, die in der Juniorenklasse mit tollen Leistungen aufwarteten. Die Neu-Leverkusener Stabhochspringerin Silke Spiegelburg und Sprinttalent Daniel Schnelting (LAZ Rhede) sind hier nur zwei junge Namen, denen man in Zukunft sicher noch einiges zutrauen kann. Die Erfolge alleine reichen aber nicht aus.
Werner Köster, erfahrener Vermarkter von vielen deutschen Sportlern, weiß, dass es sich auf dem Weg zum Star um ein Zusammenspiel mehrer Faktoren handelt. Grundlage ist entweder ständiger Erfolg oder etwa ein ganz besonderer Höhepunkt, idealerweise trifft beides zusammen. Neben dem "Erfolg zum richtigen Zeitpunkt", also am besten bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften, brauchen die Sportlerinnen und Sportler auch "die richtigen persönlichen Zutaten".
Zur Ausstrahlung gehört nicht nur das Aussehen, sondern dazu zählen auch rhetorische Fähigkeiten sowie die Unverwechselbarkeit, zum Teil auch schlicht das Schlagzeilenpotenzial der Person. Werner Köster weiß aber auch, dass stets eine gewisse Portion Glück notwendig ist, um ein richtiger Star zu werden. Letztlich ist aber seiner Ansicht nach auch entscheidend, "wie wichtig eine Sportart von der Öffentlichkeit genommen wird." Er stellt fest: "Hier hat Leichtathletik in den letzten Jahren an Boden verloren. Biathlon hat sich neu strukturiert." Dieser Wintersport kann seither nicht nur spannende Wettkämpfe bieten, sondern verbucht auch stundenlange Fernsehübertragungen auf der Habenseite.
Hoffnungsträger aufbauen
Sicher bleibt zu bemängeln, dass für die Fernsehpräsenz, gerade bei den Privatsendern, nur das Geld entscheidet, das mit einer Sportart und seinen Stars verdient werden kann. Häufig bleibt hier die umfassende und allgemeine Sport-Information auf der Strecke. Und so kämpfen ganze Sportarten um mehr Aufmerksamkeit und mehr Medienpräsenz, um den Sponsoren eine Plattform bieten zu können und damit den Fortbestand des Profitums in ihrer Sportart zu sichern. Nicht wenige befürchten, dass hierzulande einige Sportarten zu einem reinen Hobby verkümmern. Für die Leichtathletik ist das freilich nicht zu befürchten. Aber es gilt national wie international das Fazit: Große Stars müssen her!
Um deutsche Olympiasieger und echte Typen zu erreichen, müssen die Hoffnungsträger zielführend aufgebaut werden, und zwar vom Trainer, dem Verband und den Medien. Einen Anstieg der Popularität erzielte zuletzt Läuferin Sabrina Mockenhaupt (LG Sieg) durch ihren Auftritt bei "TV Total" oder auch die Wattenscheider Sprinterin Sina Schielke mit ihren Bildern im "Playboy".
Auf diese Weise erreicht man eine breite Öffentlichkeit und kann einen neuen Markt erschließen. Grundvoraussetzung ist dabei, dass sich die Athleten/innen entsprechend präsentieren können. Der Kölner Stabhochspringer Tim Lobinger ist sicher ein weiteres gutes Beispiel dafür, wie man sich richtig verkauft. Aber mit der Unterstützung von PR-Managern können auch weniger galante Redner sehr positiv beim Zuschauer ankommen und sich so zusätzliche Auftritte in den Medien erarbeiten.
Gute Ausgangsposition
Die Leichtathletik hierzulande ist durchaus in einer guten Ausgangsposition. Nicht nur, weil aus einer Reihe von hoffnungsvollen Sprintern, Läufern, Springern und Werfern sicher die eine oder andere große Leistung herauskommen wird, sondern auch, weil sich in den kommenden vier Jahren regelmäßig internationale Top-Leichtathletik vor Ort abspielt.
Beim "World Athletics Final" in Stuttgart können zwischen 2006 und 2008 die besten Deutschen gegen die größten internationalen Athleten vor eigenem Publikum antreten. 2009 folgt dann nur ein Jahr nach den Olympischen Spielen in Peking die Leichtathletik-WM in Berlin.
Alles zusammen ist das eine ideale Bühne, um eine breite Öffentlichkeit mit der Leichtathletik zu begeistern, die Medien für Leichtathletik-Themen zu sensibilisieren und damit nationale wie auch internationale Stars zu formen. Eine Chance, die es zu nutzen gilt!