Neue Hochsprung-Generation auf Rekordjagd
Der Hochsprung der Männer war einer der Höhepunkte der WM in Moskau (Russland). Noch nie ist ein Weltmeister höher gesprungen als jene 2,41 Meter, über die Bohdan Bondarenko im Luzhniki-Stadion floppte. Als ihm das Gold sicher war, ließ der Ukrainer 2,46 Meter auflegen. Der Weltrekord war an diesem Abend für den 23-Jährigen aber (noch) zu hoch.
Ilya und Sergey mussten sich mächtig strecken. Die beiden Jugendlichen legten immer wieder die Latte auf die Hochsprung-Weltrekordhöhe von 2,45 Metern. Nicht im Moskauer Luzhniki-Stadion, sondern vor der riesigen Arena auf der Sponsorenmeile. Dort war unter anderem eine Hochsprunganlage aufgebaut.So erlebten die Zuschauer hautnah die enorme Dimension des 20 Jahre alten Weltrekords von Javier Sotomayor (Kuba). Fast hätten sich die jungen Russen nach dem Hochsprung-Finale der WM noch ein bisschen mehr recken müssen. Denn Bohdan Bondarenko scheiterte nur knapp an der neuen Rekordhöhe von 2,46 Metern.
Weltrekord-Angriff genau geplant
Der Ukrainer hatte seinen Angriff auf den Weltrekord generalstabsmäßig geplant. Erst bei 2,29 Metern war der 23-Jährige in den Wettkampf eingestiegen und hatte die Höhe genauso wie 2,35 Meter im ersten Anlauf übersprungen, für 2,41 Meter brauchte er zwei Versuche.
Während sich die Konkurrenz bei den Weltklassehöhen von 2,32 und 2,38 Metern abmühte, schob Bondarenko seine schwarzen Kompressionssocken hinunter, zog seinen linken roten und rechten gelben Schuh aus und beobachte das Treiben in aller Ruhe. „Ich wollte die 2,46 Meter springen. Der Weltrekord ist mein großer Traum. Heute war die Latte mein Gegner, nicht die anderen Springer“, sagte Bondarenko.
Barshim hält lange dagegen
Obwohl bei 2,44 Metern mit Mutaz Essa Barshim – nach einem Fehlversuch über 2,41 Meter hatte sich der Katari (nicht eingebürgert!) zwei Sprünge aufgehoben – noch ein Konkurrent im Wettbewerb war, ließ der Ukrainer auch diese Höhe aus. Barshim scheiterte zweimal recht knapp. Am 1. Juni in Eugene (USA) war der Olympia-Dritte in den erlauchten Kreis der 2,40-Meter-Hochspringer aufgestiegen. Einen Monat und drei Tage später sprang Bondarenko in Lausanne einen Zentimeter höher.
In Moskau war der 23-Jährige voll auf den Weltrekord fokussiert. Als er zu 2,46 Metern anlief, war es im Stadion mucksmäuschenstill, selbst die Tausenden Fans aus der Ukraine stellten ihre „Bondarenko, Bondarenko, Bondarenko“-Sprechchöre ein. Auf der Pressetribüne war einzig die durchdringende Stimme von BBC-Reporter Steve Cram zu hören.
Doch es reichte nicht. Zweimal riss der Weltmeister knapp, den dritten Versuch absolvierte er nur noch halbherzig. „Ich hatte Schmerzen im Bein, auch deshalb habe ich nur so wenige Sprünge gemacht“, sagte Bondarenko später.
Unterschiedliche Schuhe
Von Blessuren wurde der Ukrainer schon oft zurückgeworfen. 2010 musste er nach diversen Fußverletzungen über Monate einen Spezialschuh tragen. Trotzdem übersprang er in diesem Schuh ohne die üblichen langen Spikes unter der Sohle 2,10 Meter. Das bewies das Potenzial des Hochspringers. Noch heute trägt er zwei unterschiedliche Schuhe. Der linke ist eine Nummer größer als der rechte. So bekommt der Sportstudent seine Fußprobleme besser in den Griff.
Nach den Verletzungen ging es mit der Kariere des Ukrainers steil bergauf. Ein Jahr später übersprang er als U23-Europameister in Ostrava (Tschechische Republik) erstmals 2,30 Meter. Vergangenes Jahr steigerte er sich um einen weiteren Zentimeter und wurde bei den Olympischen Spielen in London mit 2,29 Metern Siebter.
In diesem Jahr machten nach seiner Steigerung um zehn Zentimeter in der Hochsprung-Szene Gerüchte die Runde, Bondarenko würde zu unerlaubten Mitteln greifen. Schließlich werden in diesem Höhenbereich die Bestleistungen normalerweise nur in kleinen Scheiben verbessert, nicht in dicken Portionen. „Das ist die pure Verzweiflung“, tat Bondarenko die Doping-Spekulationen der Konkurrenz mit einem Lächeln ab.
Trainiert vom Vater
Der Mann hinter den Höhenflügen des Ukrainers ist sein Vater Viktor. Der ehemalige 7.500-Punkte-Zehnkämpfer hat einen physisch starken Athleten geformt. Er ist deutlich sprungkräftiger als sein Konkurrent Mutaz Essa Barshim, der jedoch den schöneren Sprungstil pflegt. Beide haben den Männer-Hochsprung in diesem Jahr mit ihren 2,40-Meter-Sprüngen in eine neue Dimension katapultiert.
„Es ist der Beginn einer neuen Ära“, schrieb die russische Zeitung Sport-Express nach dem denkwürdigen Finale, in dem Olympiasieger und Lokalmatador Ivan Ukhov trotz eines Sprungs über 2,35 Meter im ersten Versuch ohne Medaille blieb. Bronze ging wie 2012 in London an Derek Drouin, der den kanadischen Rekord auf 2,38 Meter verbesserte.
Sotomayor zittert um den Rekord
Nach dem Auftritt des Ukrainers sieht Javier Sotomayor, der seine Karriere vor einer drohenden lebenslangen Dopingsperre 2001 beendet hatte, seinen Weltrekord ernsthaft in Gefahr. „Es ist das erste Mal, dass ich einen Springer mit den Fähigkeiten sehe, meinen Rekord zu schlagen“, sagte der 45-Jährige gegenüber Radio Havana.
Bohdan Bondarenko ist sich sogar sicher, dass Sotomayor bald nur noch Ex-Weltrekordler ist: „Die neue Generation ist angekommen. Wir werden noch vor den Olympischen Spielen 2016 in Rio einen neuen Weltrekord sehen.“ Zu spät für Ilya und Sergey: Mit dem Ende der WM in Moskau war auch ihr kräftezehrender Job beendet.
Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift