Nicole Büchler hat sich selbst zum Gegner
In der Schweiz ist Nicole Büchler vom ST Bern die einzige Stabhochspringerin, die das Zeug dazu hat, sich für internationale Meisterschaften zu qualifizieren. In dieser Saison will die 25 Jahre alte Olympiastarterin bei der Hallen-EM in Turin (Italien; 6. bis 8. März) und bei der WM im Sommer in Berlin (15. bis 23. August) dabei sein. Der erste Schritt zu einer erfolgreichen Saison ist ihr am vergangenen Wochenende gelungen: Mit 4,30 Metern stellte Nicole Büchler den Schweizer Hallenrekord ein.
„Immer chli besser z wärdä“, hat Nicole Büchler in ihrem Profil auf der Webseite ihres Heimatvereins ST Bern als Antwort auf die Frage „Ziele“ stehen. Übersetzt heißt das soviel wie „Immer ein kleines bisschen besser werden“. Und genau daran hält sich die Stabhochspringerin in letzter Zeit auch. Bei den westschweizerischen Hallen-Meisterschaften in Aigle stellte die 25-Jährige am vergangenen Sonntag mit 4,30 Metern den Hallenrekord der Schweiz ein. Die Freiluft-Bestmarke gehört der Bernerin bereits. Im Juli 2008 sprang Nicole Büchler über 4,40 Meter und schaffte als eine von acht Leichtathleten der Schweiz den Sprung zu den Olympischen Spielen nach Peking (China) - es war der größte Erfolg ihrer bisherigen Karriere.Nur leider lässt so ein progressives Motto, wie es Nicole Büchler hat, wenig bis keine Zufriedenheit zu. Dementsprechend kritisch gibt sich die Stabhochspringerin nach ihrem Rekord. „Die Sprünge waren noch nicht so, wie sie sein sollten. Da gab es schon noch technische Mängel. Ich war etwas zu zögerlich und der Absprung muss auch noch besser werden“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich möchte ja noch die Qualifikation für die Hallen-EM packen.“
Für die schweizerischen Stabhochspringerinnen liegt die Norm für die kontinentalen Titelkämpfe in Turin bei 4,40 Metern. Das sind zehn Zentimeter mehr als von den Athletinnen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) gefordert werden. Das ist recht verwunderlich, denn die Unterschiede bezüglich der Leistungsdichte im Stabhochsprung zwischen der Schweiz und Deutschland sind ungefähr so groß wie der Kontrast zwischen Matterhorn und Ostfriesland. Nicole Büchler ist mit großem Abstand aktuelle die einzige Stabhochspringerin der Schweiz, die theoretisch dazu in der Lage ist, über 4,40 Meter zu springen.
Die Konkurrenz hat sich vom Leistungssport verabschiedet
Nicole Büchler ist der Inbegriff einer Einzelkämpferin. Sie ist nicht nur alleine an der Spitze, sie braucht dort auch ein Fernglas, um auf nationaler Ebene überhaupt eine Konkurrentin zu sehen. Mit 3,60 Metern ist Martina Müller (LC Zürich) momentan die zweitbeste Stabhochspringerin der Hallensaison. Im vergangenen Jahr musste sich Nicole Büchler noch gegen ihre Vereinskameradin Nadine Rohr (4,40 Meter; Olympia-Teilnehmerin 2004) und der WM-Starterin Anna Katharina Schmid (LV Thun; 4,20 m) durchsetzen - jedoch haben beide mittlerweile ihre Leichtathletik-Karriere beendet.
„Es ist schon schwierig, wenn ich bei den Wettkämpfen immer lange warten muss, bis ich mit meinen Höhen einsteigen kann“, sagt Nicole Büchler, die zuletzt Gefahr lief, zur „Eine-Frau-Trainingsgruppe“ zu werden. „Früher habe ich viel mit Nadine Rohr trainiert. Nun habe ich mein Training umorganisieren müssen, um nicht immer alles alleine zu machen.“ Improvisation war gefragt. Im Team von Rolf Weber, dem Nationalcoach im Bereich Sprint/Hürden, trainiert die Stabhochspringerin nun ihre Kraft und Schnelligkeit.
„Ich hatte nach der Eröffnungsfeier eine Nackenstarre“
Dazu kommt das Turnen, und zweimal in der Woche steht das Techniktraining mit ihrem Trainer Raynald Mury auf dem Programm. Im Jahr 2007 war er "Leichtathletik-Trainer des Jahres" in der Schweiz. Doch was heißt das? „Neben dem Sport arbeitet er zu 100 Prozent. Wir sind nicht sehr professionell“, sagt Nicole Büchler und fügt hinzu: „In der ganzen Schweiz gibt es nur zwei Hallen, in denen man mit vollem Anlauf Stabhochspringen kann.“
Doch aus den widrigen Umständen hat die Schweizerin das Beste gemacht. „Ich habe mich selbst als Vergleich. 4,40 Meter sind immer gleich hoch. Konkurrenz wäre zwar schön, aber nicht nötig“, sagt sie. Bei der Universiade 2007 in Bangkok (Thailand) gewann die Sportstudentin die Bronzemedaille. Und dann der wahrgewordene Traum: Der Start bei den Olympischen Spielen 2008. „Es war einfach gigantisch. Ich hatte nach der Eröffnungsfeier eine Nackenstarre, weil ich immer nach oben zu den Zuschauern geschaut habe. Mein Mund stand die ganze Zeit offen“, erinnert sich Nicole Büchler.
Dreimonatigen Trainingsaufenthalt im Ausland geplant
Mit steifem Hals reichte es im Vogelnest nur zu 4,30 Metern und Platz 22. „Na ja, das Stadion war komplett ausverkauft, da war ich schon etwas nervös. Außerdem war ich nicht komplett fit, weil ich die ganze Saison der Olympianorm nachgerannt bin und viele Wettkämpfe in den Beinen hatte.“
Die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2009 in Berlin könnte ihr leichter fallen. Die Norm liegt bei 4,35 Metern. „Die WM ist mein großes Ziel für dieses Jahr“, sagt die Bachelor-Studentin, die bald auch ihre Abschlussarbeit in Angriff nehmen will. Im Anschluss möchte sich Nicole Büchler nochmals für ein Jahr voll auf den Sport konzentrieren und plant dafür einen dreimonatigen Trainingsaufenthalt im Ausland. „Am liebsten würde ich dafür in die USA“, sagt sie.
Ziel: Finale bei einer internationalen Meisterschaft
Erst mit 19 Jahren wechselte Nicole Büchler von der Rhythmischen Sportgymnastik zur Leichtathletik - auch in ihrem ersten Sportlerleben feierte sie Erfolge und nahm an zwei Weltmeisterschaften (1999 und 2002) teil. Dann zwangen sie jedoch Rückenprobleme zu einem Schlussstrich. „Im Stabhochsprung habe ich ein noch junges Trainingsalter. Mit der Zeit werde ich noch mehr Erfahrung sammeln und davon profitieren können. Dann ist auch mal ein Finale bei einer internationalen Meisterschaft drin“, sagt Nicole Büchler.
Kein Gedanke ans Aufhören. „Wenn überhaupt, dann vielleicht zur Europameisterschaft in der Schweiz“, sagt Nicole Büchler. Der Alpenstaat will im berühmten Letzigrund-Stadion in Zürich die Leichtathletik-EM im Jahr 2014 austragen. Doch das ist noch weit entfernt. Nun wartet am morgigen Sonntag erstmal das Hallen-Meeting in Dornbirn (Österreich).
Mit Hilfe des Freundes zur Hallen-EM-Norm?
„Ich werde versuchen, dort schon die 4,40 Meter zu packen“, sagt Nicole Büchler. Auch wenn ihr Trainer nicht mit dabei ist. „Dafür geht aber mein Freund mit, der war früher selbst Stabhochspringer und soll das richten“, sagt die Leichtathletin, die gelernt hat, zu improvisieren. Noch ein Beispiel? In Dornbirn wird Nicole Büchler in der Männerkonkurrenz starten - das Frauenfeld fängt seinen Wettkampf bei einer Höhe von gerade mal 2,20 Meter an.