Nicole Herschmann - Keine Zeit zum Angst haben
Deutschlands beste Dreispringerin des letzten Jahres wagte sich im vergangenen Winter aufs glatte Eis. Ihr Vereinskollege Jens Nohka meinte, "sie solle mal etwas anderes machen" und nahm sie mit nach Winterberg "ein bisschen Sprinttraining wäre auch dabei." Angekommen "haben sie mich dann mal reingesetzt – in den Bob."
Nicole Herschmann ist wieder zurück beim Dreisprung (Foto: Gantenberg)
"Zum Angst haben hatte ich vorher gar nicht soviel Zeit", erzählt die 26-jährige Berlinerin."Aber es ist schon ein mulmiges Gefühl. Beim ersten Mal hat man überhaupt keine Orientierung im Bob und wenn man unten rauskommt, dicke Augen."
Nach Achillessehnenproblemen im letzten Herbst hatte sie mit ihrem Trainer Bernd Scheermesser beschlossen, die Hallensaison ganz auszulassen. Das Sprungtraining war eine zu große Belastung. Völlig unerwartet raste sie dann einige Wochen später durch den Eiskanal und hatte plötzlich die Chance, an den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City teilzunehmen. Der Frauenbobsport sollte da seine Premiere feiern.
Anschieben und schnell einsteigen
Die Modellathletin schloss sich dem BSC Winterberg an und bildete mit Ulrike Holzner die Bremser-Crew für Pilotin Sandra Prokoff. Die Aufgabe der Bremserin ist schnell umschrieben. "Anschieben und schnell einsteigen", grinst Nicole. "Nein, da steckt natürlich viel mehr hinter, viele Dinge sieht man gar nicht", relativiert sie.
Einen Trainingsalltag umschreibt sie so: "Wenn man um neun zweimal runterfährt, muss man schon um sieben an der Bahn sein. Wir müssen uns an die Bahn gewöhnen, die Kurven im Kopf haben, um die Fahrerin an den Lenkseilen zu unterstützen. Dazu hat man insgesamt drei Stunden mit dem Material zu tun. Verschiedene Kufen testen, schleifen und polieren, dazu Achsen und Federn am 190 Kilo schweren Bob einstellen. Nach der Fahrt ist der Schlitten nass, er muss gedreht und getrocknet werden. Nachmittags wird trainiert. Wir machen zu 90 Prozent Leichtathletiktraining. Als Spezialtraining fürs Bobfahren halt Anschubtraining und nicht Sprungtraining, wie beim Dreisprung. Wenn wir Glück haben, bekommen wir dann abends auch noch eine warme Mahlzeit."
So gestählt näherte man sich dann im Januar den "Spielen". Da entschied der Verband, dass sie im Bob von Susi Erdmann starten sollte, der Fahrerin von WSV Königssee. "Ich hatte mehr Erfahrung, war schon drei Weltcups gefahren und hatte mit ihr einen gewonnen", erklärt Nicole Herschmann die harte Entscheidung. Auf ihre etatmäßige Anschieberin, Annegret Dietrich, musste Susi Erdmann also verzichten. Mit ihr hatte die ehemalige Rodelweltmeisterin vorher die Ausscheidung gewonnen. Am Ende landete man hinter dem amerikanischen Team Bakken/Flowers und Sandra Prokoff/Ulrike Holzner auf dem Bronzeplatz und war insgesamt zufrieden mit dem Abschneiden bei Olympia.
Später in die Bobsaison einsteigen
Im nächsten Winter will Nicole Herschmann mit dem Bobsport weitermachen, aber später in die Saison einsteigen. "Ich kann mich nicht schon im September wieder in einen Bob setzen. Nach der Sommersaison brauche ich eine gewisse Regenerationsphase und Zeit fürs Grundlagentraining. Aber das Team steht da auch hinter mir. Ulrike Holzner wird die Saison beginnen, dann wird sie sich um ihr Studium kümmern und ihr Examen schreiben. Ich werde dann den zweiten Teil der Saison mit Sandra Prokoff fahren. So haben wir beide etwas davon."
Die ganze Konzentration der Sommersaison
Nach den Olympischen Spielen hatte sie nur zwei Wochen Pause und ist dann gleich ins Trainingslager nach Mallorca gefahren. Jetzt gilt die ganze Konzentration der Sommersaison.
Mit den 13,47 Metern, die sie am Pfingstmontag in Wesel gesprungen ist, kann sie gut leben: "Da war noch Platz vor dem Balken, die Weite sieht natürlich nicht so gut aus. Mit weniger Vorbereitung habe ich in etwa das gleiche Niveau wie im letzten Jahr. Da bin ich in Garbsen mit einem optimalen Sprung auf 13,78 Meter eingestiegen." Weitere Wettkämpfe hat sie in Dessau, Garbsen, Wipperfürth und Kassel geplant.
Der Sport hat bei der selbstbewussten Berlinerin zur Zeit absolute Priorität: "Das muss ich so machen, wenn ich meinen Sport genießen will." An das Wintersemester in ihrem fast abgeschlossenen Sportwissenschafts-Studium war nicht zu denken. "Ich bin nur unterwegs gewesen." Auch zu einer anderen Leidenschaft kommt sie nur selten, dem Motorradfahren.
Damit fährt schon zum mal Training. Mehr ist zu gefährlich und zieht den Groll des Trainers auf sich.