| Interview der Woche

Niklas Kaul: „Die Punktzahl hätte ich mir nicht zugetraut“

429 Punkte Rückstand auf den Führenden nach sieben Disziplinen – dann war die Zeit von Niklas Kaul gekommen: Mit herausragenden Leistungen im Stabhochsprung (4,80 m), Speerwurf (71,59 m) und über 1.500 Meter (4:21,70 min) holte sich der Mainzer bei der U20-WM in Bydgoszcz (Polen) Gold im Zehnkampf. 8.162 Punkte: Nie war nach aktuellem Regelwerk ein U20-Mehrkämpfer besser. Wie der 18-Jährige den Wettkampf erlebt hat, wie er sich Arthur Abele (SSV Ulm 1846) in den letzten beiden Disziplinen zum Vorbild genommen hat und wie es für ihn weiter geht, lesen Sie im folgenden Interview.
Silke Morrissey

Niklas, am Tag vor dem Zehnkampf der U20-WM hast du gesagt, du rechnest damit, dass der Titel mit 8.100+ Punkten weggehen wird. Wie nah war da der Gedanke, dass du in diese Dimensionen vorstoßen kannst?

Niklas Kaul:

Ich hätte mir 8.100 Punkte nicht zugetraut. Ich hatte gedacht: 8.000 kann ich machen. Wenn Gold damit weg geht, kann ich vorne mit dabei sein. Wenn man mehr braucht, dann werde ich wohl eher nicht gewinnen. Besonders nach den Hürden und dem Diskuswurf am zweiten Tag – das war ja wirklich nicht überragend. Also: Der Diskuswurf war echt schlecht!

Die letzten drei Leistungen waren dann aber einfach phänomenal. Von einem perfekten Zehnkampf kann man also trotzdem nicht sprechen?

Niklas Kaul:

Es lief nicht wie am Schnürchen. Auch nicht am ersten Tag. Die 100 Meter waren okay, aber nicht wirklich gut. Beim Weitsprung habe ich das Brett nicht getroffen. Kugelstoßen war ganz schlecht – Hoch und 400 Meter dann wieder gut. Es war eher ein durchwachsener Zehnkampf mit teilweise guten Leistungen. Gerade die letzten drei Disziplinen waren super. Aber der perfekte Zehnkampf, nein, das war das nicht! Ich glaube aber auch, den kriegt man wahrscheinlich nie hin.

Du hattest nach sieben Disziplinen 429 Punkte Rückstand auf den Weißrussen Maksim Andraloits – der hier für sich vielleicht doch einen ziemlich perfekten Wettkampf gemacht hat, mit zehn Bestleistungen. Wann kam der Punkt im Mehrkampf, als du gedacht hast: Das reicht nicht mehr für Gold?

Niklas Kaul:

Nach dem Diskuswerfen so ein bisschen. Da hatte ich aber noch die Hoffnung, dass der Weißrusse vielleicht nur 4,20 Meter Stab springt, sodass dann doch noch was geht. Aber nachdem er 4,60 Meter gesprungen ist, habe ich nicht mehr an Gold geglaubt. Da dachte ich: Okay, jetzt musst du 65 Meter Speer werfen und 4:30 Minuten über 1.500 Meter laufen, dann machst du 8.000 Punkte und legst hier noch einen guten Zehnkampf hin. Damit wirst du Silber gewinnen. Dass ich ihn doch noch gekriegt habe – das hätte ich nicht erwartet.

Der Schlüssel zum Sieg: 71,59 Meter im dritten Versuch des Speerwerfens. Wo kam dieser Wurf her?

Niklas Kaul:

„Mach mir den Abele“ hat mir Lars Albert [Nachwuchs-Bundestrainer] vorher gesagt: 71 Meter Speer und 4:26 über 1.500 Meter, so wie Arthur Abele in Ratingen. Ich glaube, ich habe in dem Wurf einfach das gemacht, was ich letztes Jahr gut gemacht habe und was in diesem Jahr noch nicht so gut geklappt hat, weil die Würfe fehlten. Ich bin locker in den Wurf reingegangen, habe im Anlauf ein bisschen mehr Tempo gemacht und den Speer einfach vorne über den Abwurf fliegen gelassen. Ich habe den Speer gut getroffen, mit gutem Rückenwind, und dann ging der hinten raus deutlich weiter als die zuvor.

In welcher deiner Leistungen von Bydgoszcz steckt die meiste Arbeit?

Niklas Kaul:

In den 1.500 Metern. Wir sind relativ viel gelaufen, haben im Winter längere Läufe gemacht. Und wir haben es geschafft, diese Läufe auch bis in den Sommer hinein durchzuziehen, was letztes Jahr schwer war, weil ich da mehr Wettkämpfe gemacht habe. Da steckt auf jeden Fall die meiste Mühe drin – und manchmal auch die größte Unlust (lacht). Mehrkämpfer machen das ganz sicher nicht gerne. Aber wenn man merkt, dass es was bringt, dann geht es besser.

Deine Familie mit deiner Schwester Emma war auch im Stadion. Deine Eltern trainieren dich in Mainz in einer starken Trainingsgruppe, zu der auch U18-Europameister Manuel Wagner zählt. In Bydgoszcz aber hat dich Nachwuchs-Bundestrainer Lars Albert gecoacht. Das scheint auch gut funktioniert zu haben…

Niklas Kaul:

Ich bin grundsätzlich ein Athlet, der im Wettkampf nicht so viele Ansagen braucht. Eher jemanden, der mich in meiner Einschätzung bestätigt oder mir leichte Korrekturen gibt. Meine Eltern haben gesagt: Das ist hier ein Einsatz mit der Nationalmannschaft, das ist Sache des Bundestrainers. Schon in Cali hat es ja mit Klaus Flakus [ebenfalls Nachwuchs-Bundestrainer] gut geklappt. Meine Eltern haben hier schon auch mal Anregungen gegeben. Einmal gab’s auch einen Anschnauzer (lacht). Aber im Grunde haben sie sich zurückgehalten. Die Zusammenarbeit im Team hat wirklich gut geklappt. Ein riesiger Dank auch noch mal an unseren Physio David Violakis, der uns toll betreut und vor allem mit seinen Späßen immer für die nötige Lockerheit und gute Laune gesorgt hat.

Du hattest jetzt schon ein wenig Zeit, den Wettkampf etwas sacken zu lassen. Wie waren die Reaktionen auf die Leistung?

Niklas Kaul:

Ich habe unheimlich viele Nachrichten bekommen, das hat mich riesig gefreut. Sogar Ashton Eaton hat über Twitter gratuliert. Und sein Trainer Harry Mara hat eine Mail geschrieben.

Und wie geht’s in den kommenden Wochen weiter?

Niklas Kaul:

Meine Eltern fahren jetzt mit meiner Schwester noch weiter in den Urlaub, aber für mich geht’s zurück nach Hause, nach Saulheim. Ich muss noch ein bisschen was für die Schule machen, im nächsten Jahr steht das Abitur an. Ein Zehnkampf steht in diesem Jahr nicht mehr auf dem Programm. Letztes Jahr hatte ich das meinen Jungs versprochen, da hatten wir bei der Mehrkampf-DM eine Mannschaft. In diesem Jahr nicht, daher werde ich darauf verzichten. Vielleicht mache ich noch ein, zwei Einzelwettkämpfe, zum Beispiel den Speerwurf bei der U20-DM in Mönchengladbach. Dann wollen wir früh mit der Vorbereitung auf die nächste Saison anfangen. Wir haben bisher viel Wert auf Technik gelegt, jetzt will ich an meinen Defiziten arbeiten. Ich habe bisher noch fast gar kein Krafttraining gemacht, auch im Turnen kann ich mich verbessern. Da gibt es überall noch viel zu tun – und noch viel Luft nach oben.


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