| Interview der Woche

Niklas Kaul: "Nach acht Disziplinen überholt mich keiner mehr"

Der junge Mainzer Niklas Kaul war am Wochenende beim renommierten Mehrkampf-Meeting in Götzis (Österreich) mit Platz vier der beste Deutsche. Mit zwei Disziplinsiegen am Schluss des Zehnkampfes endete seine Aufholjagd mit einer neuen Bestleistung von 8.336 Punkten und der WM-Norm für Doha. Im Interview berichtet der 21-Jährige vom Muskelkater am Tag danach, seinen Zielen für die U23-EM und warum man sich als Leistungssportler nach Erfolgen auch mal ein Bier gönnen darf.
Pamela Lechner

Niklas Kaul, Sie haben in Götzis zwei Tage lang einen starken Zehnkampf abgeliefert, eine Bestleistung aufgestellt und die WM-Norm für Doha erfüllt. Wie fühlt sich der Körper am Tag danach an? Wie stark ist der Muskelkater?

Niklas Kaul:

Wenn man nach dem Zehnkampf keinen Muskelkater hat, hat man etwas falsch gemacht. Mir tut schon alles weh, aber es ist keine Verletzung dabei. Von daher ist es es ein positiver Schmerz, wenn man das so sagen kann. Es ist wie immer nach dem Zehnkampf, es tut alles weh, aber man ist auch glücklich, dass man den Wettkampf gut durchgebracht hat.

Bei der EM in Berlin haben Sie Platz vier belegt, jetzt auch als bester Deutscher Platz vier in Götzis. Entspricht das nach Ihren Jugend-Weltrekorden Ihren Vorstellungen für die ersten Jahre bei den Erwachsenen?

Niklas Kaul:

Ich setze mir keine Platzierungsziele, sondern eher Punkteziele. Dass es in Berlin und Götzis zweimal Platz vier geworden ist, ist natürlich super. Dass es bei den Erwachsenen direkt so gut klappt, hätte ich nicht erwartet, da der Übergang von der Jugend zu den Aktiven oftmals schwierig ist. Dass ich bester Deutscher bin, überrascht mich, weil ich darauf spekuliert hatte, dass Rico [Freimuth] viele Punkte macht. Dass Kai [Kazmirek] am zweiten Tag so viele Punkte liegen lässt, war nicht zu erwarten, hing aber auch mit dem Stabbruch zusammen, wo er Pech hatte. Mein Ergebnis ist für den Kopf ganz gut, meine Punktezahl müsste für die WM-Quali normalerweise reichen.

Beim Stadtwerke Ratingen Mehrkampf-Meeting geht es am letzten Juni-Wochenende weiter um die drei WM-Tickets, Sie werden sich aber auf die U23-EM zwei Wochen später in Gävle fokussieren...

Niklas Kaul:

Ja, es macht wenig Sinn, zwei Wochen vor der U23-EM in Ratingen einen Zehnkampf zu machen. Ich werde mich auf Gävle konzentrieren und versuchen, zusammen mit Manuel [Eitel] dort nochmal ein bisschen was draufzulegen. Eine Punktzahl von 8.400 wäre sehr schön, das ist ein gutes Ziel, auf das ich in den nächsten Wochen hinarbeite. Wenn mein Ergebnis aus Götzis nicht für die WM-Quali reicht, habe ich wie Manuel den großen Vorteil, in Gävle nochmal auf den Ausgang von Ratingen reagieren zu können.

Wie so oft lagen Sie in Götzis nach Tag eins eher im Mittelfeld, bevor Sie an Ihrem starken, zweiten Tag einen Platz nach dem anderen gut gemacht haben. Reizt Sie diese Aufholjagd?

Niklas Kaul:

Das Schöne ist, dass ich weiß, dass am Ende noch zwei Disziplinen kommen, die ich kann. Alle Athleten, die nach acht Disziplinen hinter mir sind, die bleiben immer hinter mir. Ich kann nur noch Punkte nach vorne gutmachen. Das ist für den Hinterkopf schön. Natürlich soll es nicht immer der Plan sein, dass die Leistungen am ersten Tag nicht so gut sind und man in den letzten beiden Disziplinen noch alles retten muss. Das war diesmal so, ich hoffe, das passiert mir das nächste Mal nicht mehr.

Nach dem Hochsprung des ersten Tages waren Sie mental etwas down und haben dann nach Abendessen und Physio einen Plan gemacht, der für den zweiten Tag folgende Leistungen vorsah: 14,70 Sekunden über 110 Meter Hürden, 46 Meter Diskus, 4,80 Meter Stabhochsprung, 71 Meter Speer und 4:20 Minuten über 1.500 Meter. Dieser Plan ging 1:1 auf. Das heißt, Sie können sich selber gut einschätzen und pushen?

Niklas Kaul:

Jein. Im Mehrkampf kann man gerne und viele Pläne schreiben, ob es dann am Ende wirklich aufgeht, ist die andere Sache. Im Diskuswurf war es nach den ersten beiden Versuchen knapp, da hätte der Plan auch schon platzen können, aber es hat im dritten Versuch noch geklappt. Ich wusste, dass ich die Leistungen so drauf habe, aber sie am zweiten Tag eines Zehnkampfes zu bringen, ist die andere Sache. Am Ende hilft mir meine Grundlagenausdauer, die ich mir den ganzen Winter bei Tempoläufen antrainiert habe. So regeneriere ich nach Belastungen schneller und kann die Leistung dann so abrufen, wie man sich das vorstellt.

Bei der letzten Disziplin, den 1.500 Metern, sind Sie als Erster kurz vor Team-Kollege Tim Nowak ins Ziel gelaufen. Wie groß war der Team-Geist unter den deutschen Mehrkämpfern?

Niklas Kaul:

Man kann gar nicht sein eigenes Ding machen und alles andere ausblenden, das wäre nicht leistungsförderlich. Wir unterstützen uns gegenseitig und halten sehr gut zusammen. Es macht natürlich auch viel mehr Spaß, wenn man die zwei Tage mit den Jungs zusammen durchstehen kann. Jeder erlebt Höhen und Tiefen. Das ist auch das, was Mehrkampf ausmacht.

Am Sonntagabend habt ihr euch dann noch ein Bier gegönnt. Das darf man als Leistungssportler dann auch mal machen nach so einem Erfolg, oder?

Niklas Kaul:

Ja natürlich. Gerade nach einem Zehnkampf, der doch erfreulich verlaufen ist, kann man das schon mal machen. So ganz asketisch muss man nicht leben.

Welche Disziplin macht Ihnen innerhalb des Zehnkampfs am meisten Spaß? Der Speerwurf?

Niklas Kaul:

Wenn ich gut werfen kann, dann ja, das war leider in den letzten Jahren ein bisschen schwierig. Aber gerade in Götzis hat mir der Speerwurf Riesenspaß gemacht, aber auch der Stabhochsprung mit der Stimmung in der Kurve. Normalerweise würde ich auch sagen, Hochprung macht mir Spaß, das war am Samstag aber diesmal nicht der Fall [lacht]. Das sind eigentlich die Disziplinen, die mir im Zehnkampf am meisten Spaß machen.

Wo soll es in Zukunft sportlich noch hingehen? Was ist noch möglich?

Niklas Kaul:

Das wird man sehen. Sport ist nicht annähernd planbar und Zehnkampf schon gar nicht. Das macht es natürlich nicht ganz so einfach, macht aber auch den Reiz aus. Klar ist das große Ziel, auf das man hinarbeitet Olympia, aber so ganz genau kann man das nicht definieren. Es ist auf jeden Fall noch Luft nach oben, wenn man sich den ersten Tag anschaut. Im Sprint kann ich mich noch verbessern, in der Beschleunigungsphase fehlt es noch an Technik und Kraft. Da geht auf jeden Fall noch was und das wirkt sich auch auf viele andere Disziplinen aus, die mit der Spint-Fähigkeit zusammenhängen.

Vermutlich ist es fast unmöglich den perfekten Zehnkampf zu erwischen, bei dem alle Disziplinen wie gewünsch laufen – außer man heißt Kevin Mayer wie der französische Weltrekordler...?

Niklas Kaul:

Ich wollte gerade sagen, außer man heißt Kevin [lacht]. Der perfekte Zehnkampf ist natürlich eine Wunschvorstellung von uns allen, die meistens nicht eintritt. Man sagt immer, da wäre noch eine Höhe gegangen oder da wären noch ein paar Zentimeter oder Zehntel mehr drin gewesen. Das ist aber auch das Schöne, dass es nicht nur das Addieren von Bestleistungen ist und man schaut, wer so gewinnt. Alle Zehnkämpfer unterliegen in ihren Leistungen Schwankungen und das macht den Reiz aus.

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