Normjagd in Ratingen - Die große Vorschau
Drei Zehnkämpfer und drei Siebenkämpferinnen dürfen mit zur WM nach Moskau (Russland; 10. bis 18. August). Jeweils drei Tickets gibt’s auch für die U23-EM in Tampere (Finnland; 11. bis 14. Juli). Aber wer darf sich bei den Saison-Höhepunkten das Nationaltrikot überstreifen? Der Kampf um die Startplätze ist in diesem Jahr so spannend und so offen wie lange nicht mehr. Den Showdown gibt’s am kommenden Wochenende (15./16. Juni) beim Erdgas Mehrkampf-Meeting in Ratingen.

Dass ihn in Ratingen drei deutsche Mehrkämpfer überflügeln, ist unwahrscheinlich. Unwahrscheinlich, aber „nicht völlig ausgeschlossen“, erklärt Bundestrainer Rainer Pottel, um dann schnell hinzuzufügen: „Ich glaube aber, so einen Fall hatten wir noch nie.“ Also geht es in Ratingen für die Zehnkämpfer voraussichtlich um zwei noch verbleibende Startplätze für Moskau, und die werden so hart umkämpft sein wie selten zuvor.
Sechs deutsche 8.000-Punkte-Athleten
Mit Europameister Pascal Behrenbruch (LG Eintracht Frankfurt), dem Olympia-Sechsten Rico Freimuth (Hallesche Leichtathletik-Freunde), Olympia-Teilnehmer Jan Felix Knobel (LG Eintracht Frankfurt) sowie Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied), Norman Müller (Hallesche Leichtathletik-Freunde) und Simon Hechler (LA-Team Saar) sind gleich sechs DLV-Athleten gemeldet, die Bestleistungen jenseits der 8.000 Punkte aufweisen können.
Behrenbruch und Freimuth zählen mit ihren Hausrekorden von 8.558 und 8.322 Punkten zu den aussichtsreichsten Kandidaten für Moskau. Beide mussten ihren ersten Zehnkampf des Jahres in Götzis (Österreich) abbrechen, beide haben die Zeit seitdem genutzt, weiter an ihrer Form zu feilen.
Pascal Behrenbruch angestachelt
Pascal Behrenbruch konnte Anfang Juni in Tallinn (Estland), wo er bei Andrej Nazarov trainiert, mit starken Leistungen über 110 Meter Hürden (14,23 sec) und im Kugelstoßen (16,69 m) aufwarten. „Das zeichnet sich ein ganz anderes Leistungsniveau ab als noch vor Götzis“, erklärt Rainer Pottel. Er traut dem Frankfurter eine ähnliche Leistung wie im Vorjahr zu, als er mit Bestleistung Europameister wurde.
Zu Höchstleistungen angestachelt werden könnte Pascal Behrenbruch auch durch die jüngsten Aussagen des bislang besten deutschen Zehnkämpfers der Saison, Michael Schrader. "Ich traue ihm die WM-Norm zu. Aber mehr? Seine Form sah in Götzis nicht blendend aus" sagte der am Donnerstag gegenüber der taz.
Auf der Eurosport-Webseite berichtet Behrenbruch, nach seinem Götzis-Ausstieg habe ihm Schrader vorgeworfen, er habe "keine Eier in der Hose". Der Frankfurter nimmt's als zusätzliche Motivation, denn eigentlich verstehe er sich mit Michael Schrader gut: "Ich traue ihm zu, dass er das nur gesagt hat, weil er mich sauer machen will. Denn er weiß, wenn ich stinkig bin, kann ich alles mobilisieren."
Rico Freimuth trotzt Rückenproblemen
Auch die Form von Rico Freimuth stimmt: „Die Trainingswerte sind noch besser als vor Götzis und da war ich schon gut drauf“, sagt der Hallenser. Hoffen muss er in Ratingen darauf, dass der seit Götzis lädierte Rücken hält. „Ich habe in den letzten zwei Wochen bestimmt 40 Spritzen in den Rücken bekommen“, erklärt er. „Momentan fühlt sich alles okay an.“ Nun muss der Rücken der Belastung von zwei Tagen Zehnkampf standhalten.
Jan Felix Knobel stellte zuletzt bei den Hessischen Landesmeisterschaften in Bad Homburg über 110 Meter Hürden (14,59 sec) und mit dem Diskus (50,87 m) neue Bestleistungen auf. „Im Vorjahr hat er in Ratingen um die 43 Meter geworfen“, erinnert sich Rainer Pottel. „Das zeigt, was er hier noch für Ressourcen hat.“
Norman Müller traut sich Norm zu
Schon in Götzis ihr Kämpferherz bewiesen Kai Kazmirek und Norman Müller, die als einzige DLV-Athleten den Wettkampf beendeten – Kai Kazmirek allerdings mit einem Salto Nullo im Stabhochsprung. „Ich habe die Punktzahl drauf“, sagte Norman Müller am Dienstag gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung mit Blick auf die WM-Norm.
Kai Kazmirek sollte sein Salto Nullo auf dem Weg nach Moskau nicht berirren: Gerade in dieser Disziplin habe er große Fortschritte gemacht, berichtet der Bundestrainer. Und wenn’s nicht mit der WM-Norm klappt, hat der 22-Jährige, ebenso wie US-Student Johannes Hock (TSV Bayer 04 Leverkusen; 8.293 Punkte), zumindest den U23-EM-Startplatz so gut wie sicher.
Hochspannung garantiert
Wer fährt also mit nach Moskau? Rainer Pottel kann und will keine Prognose abgeben: „Ich wüsste einfach nicht, wen ich nennen könnte“, erklärt er. In einem aber ist er sich sicher: „Es wird total spannend!“ Er habe schon viele Zehnkämpfe miterlebt, eine ähnlich enge und spannende Konstellation wie vor Ratingen habe aber auch für ihn Seltenheitswert: „Da werden die Nerven eine große Rolle spielen.“
Neben den DLV-Athleten geht es auch für die Teilnehmer aus dem Ausland um Bestleistungen und Normen für die internationalen Saison-Höhepunkte. Stärkster Konkurrent der DLV-Athleten im Kampf um den Meeting-Sieg ist der Südafrikaner Willem Coertzen, der im vergangenen Jahr Olympia-Neunter wurde und mit 8.244 Punkten den südafrikanischen Landesrekord hält.
Der Österreicher Dominik Distelberger will in Ratingen die 8.000-Punkte-Marke angreifen und sich damit für Moskau empfehlen. Der Franzose Gael Quérin hat bereits einen 8.000er-Zehnkampf auf der Haben-Seite: Mit 8.098 Punkten wurde er in Helsinki (Finnland) EM-Fünfter.
Julia Mächtig mit guten Erinnerungen
Im Siebenkampf der Frauen kehrt Favoritin Julia Mächtig (SC Neubrandenburg) mit guten Erinnerungen nach Ratingen zurück: 2012 hakte sie hier mit Bestleistung von 6.345 Punkten die Norm für die Olympischen Spiele in London ab.
Deutschlands beste Siebenkämpferinnen der vergangenen Jahre, die Olympia-Zweite Lilli Schwarzkopf (LG Rhein-Wied) und die WM-Dritte Jennifer Oeser (TSV Bayer 04 Leverkusen), fehlen aufgrund von Verletzungen. So ist die Neubrandenburgerin die Kandidatin Nummer eins für Moskau. Das sieht auch Bundestrainer Wolfgang Kühne so: „Die Norm ist für Julia das geringste Problem“, erklärt er. Gefordert sind 6.150 Punkte.
In Götzis hatte Julia Mächtig Pech: Gleich nach der ersten Disziplin war der Wettkampf gelaufen, denn über 100 Meter Hürden kam sie nicht ins Ziel. Das soll in Ratingen besser laufen. Optimistisch stimmen da die jüngsten Wettkampf-Ergebnisse: 15,31 Meter im Kugelstoßen, 14,43 Sekunden über die Hürden und 46,19 Meter im Speerwerfen. „Damit bin ich zufrieden und kann gut gerüstet am kommenden Wochenende in Ratingen starten“, erklärt die 27-Jährige.
Kira Biesenbach aussichtsreich
Nachwuchs-Hoffnung Kira Biesenbach (TSV Bayer 04 Leverkusen) hatte in Götzis mit ihren Leistungen selbst bei miesem Wetter für Sonnenschein gesorgt. In Ratingen soll es am Wochenende für die 20-Jährige bei angenehmen Temperaturen in Richtung WM-Norm gehen. Wolfgang Kühne schwärmt von der Einstellung und der guten Laune der Leverkusenerin und traut ihr die fehlenden 16 Pünktchen durchaus zu.
Nummer zwei auf der Liste der WM-Kandidatinnen ist allerdings zunächst Claudia Rath (LG Eintracht Frankfurt), die sich 2012 als EM-Siebte auf 6.210 Punkte gesteigert hat. Mit Maren Schwerdtner (Hannover 96) ist eine dritte deutsche Athletin im Feld, die eine Bestmarke jenseits der WM-Norm aufzuweisen hat: Sowohl bei der EM in Barcelona 2010 (6.167) als auch im Vorjahr in Götzis (6.154) zeigte sie Leistungen, die nun auch für die WM-Teilnahme gefordert sind.
Carolin Schäfer in Lauerstellung
Genau wie Kira Biesenbach ist auch Carolin Schäfer (LG Eintracht Frankfurt) mit ihrer Leistung aus Götzis (5.773) Punkten bereits für die U23-EM in Tampere qualifiziert. Und genau wie die Leverkusenerin hat sie das Potenzial, nach Höherem zu greifen. Die Bestleistung der U20-Europameisterin von 2009 ist ein Jahr alt und steht bei 6.072 Punkten – gut möglich, dass die Marke in Ratingen fällt.
Einen Angriff auf die U23-EM-Norm von 5.750 Punkten erwartet Wolfgang Kühne von Sara Gambetta (LG Eintracht Frankfurt) und Tilia Udelhoven (TSV Bayer 04 Leverkusen), die ebenfalls zum Kreis der 6.000-Punkte-Siebenkämpferinnen zählen.
Aus internationaler Sicht liegt das Augenmerk auf der Französin Marisa di Aniceto, die sich 2012 auf starke 6.182 Punkte steigerte, sowie auf der Norwegerin Ida Marcussen, die in Deutschland seit vielen Jahren ein gern gesehener Gast ist. Sie hat mit 6.226 Punkten die zweitbeste Bestleistung im Feld, kam aber in diesem Jahr noch nicht an die 6.000 Punkte heran.
Übertragung im ZDF
Die Athleten kämpfen am Wochenende nicht nur um Normen und Bestmarken, sondern auch um Preise für die besten Einzelleistungen sowie die Top-Drei-Platzierungen in der Gesamtwertung. Für jeden Sieger der insgesamt 17 Einzeldisziplinen gibt es eine „Krüger-Rand“ Goldmünze. Wer nach zwei Tagen die Nase vorn hat, kann seinen Urlaub planen: Er erhält zwei innereuropäische Flüge (Hin- und Rückflug) mit der Lufthansa.
Das Erdgas Mehrkampf-Meeting in Ratingen wird live im Rahmen der Sportsendung ZDF SPORTextra übertragen. Geplant sind am Samstag Sendezeiten von 15:00 bis 15:15 und 17:30 bis 18:00 Uhr sowie am Sonntag von 16:30 bis 17:00 Uhr. Die Zeiten können sich jedoch aus aktuellem Anlass auch nach vorne oder hinten verschieben.
Erdgas Mehrkampf-Meeting Ratingen
Tickets für das Mehrkampf-Fest in Ratingen gibt es an der Tageskasse