Show im Stadion - Segen oder Fluch?
Musik dröhnt aus den Boxen. Leicht bekleidete Männer und Frauen flanieren in Goldglasur und Fahnen schwenkend über die knallblaue Kunststoffbahn. Unzählige Luftballons steigen in den Himmel. Der Moderator peitscht die Menge ein und die Masse johlt begeistert. Nein, Sie sind nicht auf einem Rockkonzert oder auf der Love-Parade. Dies ist eine Szene vom ISTAF in Berlin.
Geht es bald mehr um die Show? (Foto: Chai)
Andere Sportarten machen es vor. Die Ingolstädter Eissporthalle lockt, im Vergleich zu den spartanische Sitzplätze und vorwiegenden Stehplätzen in Leichtathletik-Stadien, mit Kinosesselgefühl und beim Boxen steht die Show, das Spektakel drum herum, im Mittelpunkt, während der Sport oft schon nach wenigen Sekunden beendet sein kann. In der Leichtathletik sieht das anders aus. Noch! Denn Gerhard Janetzky, Geschäftsführer vom ISTAF bestätigte auf einer der abschließenden Pressekonferenzen, dass die enorme Lautstärke im Stadion durchaus gewollt war. Das ISTAF in Berlin ist im Hinblick auf den Zuschauerzuspruch in der deutschen Meetinglandschaft sicherlich eine Ausnahmeerscheinung. 60.000 Zuschauer fanden in diesem Jahr den Weg ins Olympia-Stadion. Dabei zählt der Berliner Leichtathletikverband nur rund 10.000 Mitglieder. Eine Zahl, welche die Schlussfolgerung zulässt, dass auch viele Laien der Anziehungskraft der Leichtathletik erlagen.
Unterschiedliche Meinungen treffen aufeinander
60.000 Zuschauer. Eine Zahl von der andere Meetings in Deutschland nur träumen können. Doch bei der Frage, ob das Berliner Entertainmentkonzept, welches neben Musikeinlagen auch Jugendwettbewerbe, wie "Deutschland sucht den Supersprinter", im Vorprogramm beinhaltet, das Rezept für einen derartigen Zuschauerzuspruch ist, da scheiden sich die Geister.
So plädiert der Präsident der German Meetings, Uli Hobeck, für den Event-Charakter mit traditioneller Anbindung. Der Meeting-Direktor des Dessauer Sportfestes, Ralph Hirsch, sieht dagegen den Königsweg im gesunden Mix aus Show und Leistung. Konstantin Krause, Moderator und Chef des Weitsprung-Meetings in Bad Langensalza, outet sich als Freund von Reformen und verlangt neben der Show den Mut zu Veränderungen. Und Heinz Hüsselmann, Meeting-Direktor in Kassel und Cuxhaven, setzt den puren Sport in das Zentrum, wo Entertainment allenfalls eine Randerscheinung sein dürfte.
Stichwort Moderation
Ralph Hirsch ist sich bewusst, dass der harte Kern der Leichtathletik-Fans zu wenig ist, um die Stadien zu füllen. "An die breite Massen müssen wir kommen", glaubt er. Und das gehe eben nur durch eine gewisse Priese an Entertainment. Vor allem die Moderation sei dabei extrem wichtig, betont der Dessauer und begründet dies mit der Tatsache, dass vor allem die Moderatoren es seien, die die Wechselbeziehung zwischen Sport und Atmosphäre, von der eine Sportveranstaltung lebe, schaffen könnten.
Diese Meinung teilt auch Uli Hobeck. Doch für ihn spielt vor allem die Fachkenntnis der Moderatoren die entscheidende Rolle. "Das ist das A und O. Sie müssen den Zuschauern die Leistungen vermitteln. Wie sollen wir sonst fachunkundiges Publikum für unsere Sportart begeistern können?", stellt er eine berechtigte Frage und betont, dass jedoch Lautstärke allein nicht der Dreh- und Angelpunkt für Aufmerksamkeitsbeschaffung sein könnte.
Stichwort Kinderstaffeln
Sein Rezept für ein erfolgreiches Meeting sieht der German Meetings-Präsident und Veranstalter des Lausitz-Meetings und des Springer-Meetings in Cottbus in der Kürzung des Programms, "gegen die Langeweile", wie er sagt, in Musikeinlagen und in der familiären Anbindung, denn "jedes Familienmitglied soll seinen Platz finden", betont er. Dies geschieht in Cottbus in den sogenannten Spiel- und Unterhaltungsgärten, in denen Kinder während der Wettkämpfe betreut werden können.
"Jeder Versuch des Entertainments ist legitim", proklamiert Ralph Hirsch Kreativität und unterstreicht, dass er das ISTAF persönlich als sehr angenehm empfunden habe. Eine Abkupferung der dort gebotenen Unterhaltung sei in Dessau durchaus denkbar. Daher würde auch im kommenden Jahr das Musik- und Rahmenprogramm erweitert. "Vor allem durch vermehrte Kinderstaffeln wollen wir das Interesse in der Bevölkerung wecken", verrät Ralph Hirsch seine Überlegungen.
Leichtathletik pur in Kassel
Die Experimentierfreudigkeit ist in Kassel mittlerweile verflogen. Vor zwei Jahren tanzte die Pop-Band ATC im Vorprogramm des ASKINA-Meetings durch das Auestadion, im letzten Jahr hatte die Band SonicBang einen Olympia-Song eigens für das Meeting komponiert und im Stadion zum Besten gegeben. Trotz aller Bemühungen: "Keinen hat's interessiert", fällt Heinz Hüsselmann ein vernichtendes Urteil.
Ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die Entertainment als Schlüssel zum Zuschauerwachstum sehen. Die Umfragedaten in Kassel, die nach jedem Meeting erhoben werden, spiegeln ein anderes Bild wieder. "Spannende Wettkämpfe, packende Zweikämpfe und die deutsche Elite im Vergleich mit internationalen Stars und Sternchen. Das ist es, was die 12.000 bis 15.000 Zuschauer in Kassel sehen wollen", behauptet Heinz Hüsselmann. Kurzum: Das Motto lautet Leichtathletik pur.
Emotionen als Schlüssel
Da sei es auch nicht wichtig, ob absolute Weltstars auflaufen. "Die Leute stehen auch bei den Kinderstaffel auf den Sitzen", beschreibt der Meeting-Macher die emotionsgeladene Atmosphäre, die keine zusätzliche Animation neben dem reinen Sport benötigt.
Jedoch räumt er auch ein, dass sich die Situation in Cuxhaven schon wieder anders darstelle. Aus einem einfachen Sportplatz wird binnen weniger Tage eine schmucke Wettkampfanlage, wo Jung und Alt auf ihre Kosten kommen. "Unsere Sponsorenmeile und auch das Vorabendprogramm, die sogenannte Nacht der Emotionen' mit Musik und Feuerwerk, ist einzigartig", schildert Heinz Hüsselmann die Geschehnisse in Cuxhaven, die das Meeting mehr und mehr zu einem Event werden lassen. Jedoch dürfe der Sport nicht vernachlässigt werden.
Grenzen des Entertainments
"Für mich war Berlin ein Aha-Erlebnis", kommt Heinz Hüsslmann auf die Grenzen des Entertainments zu sprechen. "Als der Sänger Jonathan Price am Ende des ISTAFs, wohlgemerkt der sportliche Teil war bereits beendet, ein wunderschönes Lied anstimmte, war der größte Teil der Zuschauer bereits verschwunden", schildert er seine Eindrücke als Zuschauer auf der Tribüne. Ein Moment, der ihn fast erschrocken gemacht hätte, denn da wäre ihm bewusst geworden, dass man es mit dem Entertainment nicht übertreiben dürfte.
Eine Erkenntnis, die Konstantin Krause, Meeting-Direktor des Weitsprung-Meetings in Bad Langensalza, wohl nicht unterschreiben würde. Für ihn gilt: erlaubt ist, was gefällt und die Grenzen sind entsprechend weit gesteckt. Das vorrangige Ziel sei es, das Publikum zu erreichen, propagiert Konstantin Krause, der auch als Moderator bei einigen Meetings angeheuert wird. "25 Prozent sind der harte Kern der Leichtathletik-Fans, die kommen immer. Aber der Rest kommt nur, wenn was los ist", stellt er eine simple Rechnung auf.
Erlaubt ist, was gefällt
"Wenn was los ist." Ein einfacher Satz, der so viele Komponenten des Entertainments in Bad Langensalza beinhaltet. "Aktion, Musik und die richtigen Typen", lässt Konstantin Krause, selbst ein ehemaliger Weitspringer, sich in die Karten seines Erfolgsrezeptes schauen. Klar stehe die Leichtathletik, das heißt genauer gesagt der Weitsprung, im Mittelpunkt, aber "Laien kommen nicht deshalb, sondern nur wenn ich der Leichtathletik ein schönes Kleid anziehe", liefert er eine bildhafte Beschreibung seiner Vorstellungen.
Die Athleten selber müssen ihren Teil zum Entertainment beitragen, fordert Konstantin Krause. Daher würden auch vornehmlich Springer an die Grube an der Salza Halle geholt die "erstens eine hohe sportliche Qualität mitbringen und zweitens von hohem Unterhaltungswert sind." Ein Beispiel ist der Weltrekordler Mike Powell. "Er ist die perfekte Verbindung von Höchstleistung und Entertainment". Vor allem die deutschen Athleten müssten sich ihrer Verpflichtungen, die sich nicht nur auf das Springen selbst beschränkten, bewusster werden, fordert Konstantin Krause.
Stichwort Athleten
Das Rezept, ehemalige Top-Athleten in die Veranstaltung zu integrieren, geht auf. Im letzten Jahr war Mike Powell der Zuschauermagnet. Jetzt kümmert sich Susen Tiedtke um die Webseite des Meetings. "Wir wollen durch Namen Aufmerksamkeit bekommen", sagt Konstantin Krause und verrät, dass im kommenden Jahr zudem verstärkt auf Musik gesetzt und zudem ein Countdown gestartet würde. "Alles soll auf das Event zulaufen."
Bei aller Liebe zur Leichtathletik jedoch glaubt er, dass sich Sportfeste mit 13, 14 Disziplinen zur Zeit nicht vermarkten lassen und bietet den Kritikern der Spezialmeetings, den Traditionalisten, wie Konstantin Krause sie bezeichnet, Paroli. Diese nähmen diese Meetings, in denen nur eine Disziplin angeboten wird, nicht ernst und diffamierten sie gar als "Ausgeburt des Volkstanzes und Zirkusveranstaltung" (O-Ton Krause). "Dabei zeigen wir den größten Mut zur Kreation", mutmaßt er und verweist beispielsweise auf das Stabhochsprungereignis im Düsseldorfer Flughafen oder Kugelstoßen im Bergwerk.
Mut zur Kreation
"Wenn wir auf einer Skala von eins bis zehn unseren derzeitigen Stand der Veränderungsmöglichkeiten in der Leichtathletik durch Entertainment kennzeichnen würden, so befinden wir uns momentan auf 1,5", stellt er eine wagemutige Behauptung auf, die seinen eigenen Mut an Veränderungsbereitschaft noch zusätzlich unterstreicht.
Derartig kreationsfreudig ist Ralph Hirsch nun bei weitem nicht. "Ich bin kein Freund von zu vielen Dingen um die eigentlichen Wettkämpfe herum", betont er und sieht die Grenzen der guten Unterhaltung in dem Punkt, wo vor und nach der Veranstaltung Rockbands auftreten. Und ganz der Sportsamtsleiter der Stadt Dessau sagt er: "Mit Leichtathletik als Produkt muss man Sportpolitik machen."
Uli Hobeck will kein Reformer sei
Für Uli Hobeck ist spätestens bei dem Versuch, die Leichtathletik zu verändern, um sie so attraktiver für die Zuschauer zu machen, Schluss. Leichtathletik sei schon kompliziert genug, da müsse man sie nicht noch durch zusätzliche Veränderungen unnötig verkomplizieren. "Die Leute kommen auch so", glaubt er und hofft, dass die Weltmeisterschaft 2009 einen gewaltigen Schub mit sich bringt und so jede Diskussion über Disziplin-Veränderungen, als ein Aspekt des Entertainments, vom Tisch sei. Denn: "Leichtathletik ist kein Skisport", ärgert er sich über Vorschläge, die Disziplinen zuschauerfreundlicher zu gestalten, sprich zu verändern, und so dem Beispiel der Wintersportarten zu folgen.
Uli Hobeck hält dagegen und will die Leichtathletik "nicht über den Haufen werfen." Leichtathletik sei mit nichts vergleichbar und man müsse mit dem leben, was man habe. "Ich will die Leichtathletik nicht reformieren", stellt er unmissverständlich klar.
In einem Punkt ist man sich jedoch einig, auch wenn die Meinungen zum Thema Entertainment noch so mannigfaltig sind und die Meeting-Macher dieses Landes noch so unterschiedliche Akzente in ihren Veranstaltungen setzten. Egal wie viel Musik, Show und Spektakel die Wettkämpfe umrahmt und egal wie viel Veränderungen die Zukunft mit sich bringen wird, die Leichtathletik soll immer der Mittelpunkt des Geschehens bleiben.