Olympisches Diskusdrama anno 2004
Athen, April 1896 - an diesem Frühlingstag bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit siegte ein Mann namens Bob Garrett aus den USA im Diskuswerfen mit 29,15 Meter. Das war damals Weltrekord. Dies soll im Panathinaikos Stadion in Athen geschehen sein - wenige Kilometer Luftlinie vom heutigen Olympiastadion entfernt. Was vor 108 Jahren die beste Weite der Welt war, würde heute jedem Diskuswerfer von Format nur ein müdes Lächeln entlocken. Denn in dieser Zeit ist viel passiert.
In Athen wurde der Olympiablick von Lars Riedel traurig und ernst (Foto: Kiefner)
Die Männer sind breiter, größer, stärker und werfen vierzig Meter weiter. Heute liegt der Weltrekord bei 74,08 Metern - gehalten seit 1986 von Jürgen Schult. Die Top-Leistungen heutzutage haben sich inzwischen bei siebzig Metern eingependelt. Athen, 23. August 2004 - an diesem Sommertag zur Feier der 28. Olympiade im neuen modernen Stadion. Die Diskuswerfer kämpfen wieder um Gold, Silber und Bronze. Der Ungar Robert Fazekas hat sich eine ausgezeichnete Ausgangsposition geschaffen. Im zweiten Versuch kommt der 29-jährige auf 70,93 Meter, das bedeutete olympischen Rekord vor dem Litauer Virgilijus Alekna (69,89) und Zoltan Kovago, ebenfalls aus Ungarn (67,04).
An die Werfer von 1896 denkt heute keiner mehr. Auch Lars Riedel nicht. Der Sieger von Atlanta 1996 hatte andere Sorgen. Er musste sich nach dem dritten Versuch überlegen, wie er den Weg vom Innenraum des Stadions in die Katakomben am besten bewerkstelligen wollte. Denn der 37-jährige aus Chemnitz ergänzte am fünften Tag der Leichtathletik-Wettkämpfe bei den Spielen das Lazarett der deutschen Mannschaft.
Mit Eisbeutel bewaffnet
Im dritten Durchgang verletzte er sich schwer an den linken Adduktoren, dass er nur noch mit Eisbeutel bewaffnet aus dem Stadion humpeln konnte - in Richtung medizinische Abteilung. Dort sind die deutschen Athleten mittlerweile Stammgäste.
Die Journalistenschar wartet draußen, Lars Riedel saß drinnen und ließ sich an seinen entzündeten Aduktoren behandeln. Immer wieder kam einer der Ärzte nach draußen und informierte die Presse über den neusten Stand der Dinge. "So wie es aussieht, handelt es sich nicht um einen Aduktorenanriss", meinte der DLV-Arzt Dr. Uwe Wegner. Doch eine genaue Diagnose konnte erst gestellt werden nachdem Ultraschall gemacht wurde.
Dies machten die Ärzte dann aber erst später im Athletendorf. Unterdessen gesellte sich Riedels Trainer Karlheinz Steinmetz zu den Medienvertretern und plauderte ein wenig aus dem Nähkästchen. "Er hat schon vor dem Wettkampf etwas gespürt, wollte es vor den Gegnern aber nicht zeigen", erzählte der Coach, der seinen Schützling genau kennt. Die ganze Saison über hatte der dreifache Weltmeister schon Probleme - aber mit dem Lendenwirbel, war ständig in Behandlung beim FC Bayern-Doc Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Dies hatte er dann auch im Griff.
Verletzung in Thum
Doch am 11. August bei einem kleinen Meeting in Thum zog er sich eine Entzündung an den Adduktoren zu, die schlimmer wurde. Der Trainer bedauerte sehr, dass sein erfolgreicher Athlet auf diese Weise ausscheiden musste aus dem olympischen Wettbewerb. "Eine Bronzemedaille hatten wir uns schon erhofft. Er wollte die anderen noch mal ein bisschen ärgern. Das wäre noch mal ein schöner Abschluss vom Ernst des Lebens geworden", sagte Karlheinz Steinmetz. "Für Lars ist es eine Katastrophe, wenn er von einer Verletzung behindert wird."
Und weil er gerade so schön in Fahrt war, mokierte er sich auch noch über das derzeitige Ungleichgewicht der Dopingkontrollen. "Man hat das Gefühl, als ob nur unsere Athleten kontrolliert werden. Lars hat auch 71 Meter geworfen, aber mit zwanzig Kontrollen im Jahr. Man kämpft mit Müsli gegen Atombomben. Wir bräuchten einen Schock so wie bei der nordischen Ski-WM in Finnland 2001, dann hätten unsere Athleten endlich auch wieder eine Chance."
Der schweigsame Verletzte
Immerhin gibt es nun in den USA auch Ansätze und das Beispiel der griechischen Sprinterstars Kostas Kenteris und Ekaterini Thanou zeigt auch, dass das Dopingproblem etwas ernsthafter verfolgt wird.
Dem dreifachen Diskus-Weltmeister waren diese Dinge in dem Moment ziemlich egal. Ihm war nicht nach Plaudern zumute, als er die medizinische Abteilung verließ. Er humpelte die Treppen herunter, lächelte gequält, stieg in einen wartenden Wagen und fuhr ins Athletendorf. Dort wird er weiter untersucht. Es wird viel von Riedels Verletzung abhängen, wie es weitergeht mit seiner Karriere.
Solche Dramen hat es 1896 beim Olympischen Wettkampf im Diskuswerfen sicher noch nicht gegeben.
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