Packende Duelle in London
Man musste schon zweimal hinsehen, um wirklich sicher zu gehen. Nein, das Norwich-Union-Sportfest in London war wirklich kein Golden-League-, sondern "lediglich" ein Grand-Prix-Meeting. Die Besetzung und schließlich auch die Leistungen jedenfalls wären der Königklasse der Leichtathletik durchaus gerecht geworden – es waren vor allem hochkarätige Duelle, die im ausverkauften Crystal Palace die Wettkämpfe beherrschten.
Nicht nur bei Golden League-Meetings ganz vorne: Marion Jones (Foto: Chai)
Allen voran rannten die schnellen Damen ins Rampenlicht. Marion Jones gegen Zhanna Pintusevitch-Block, Olympiasiegerin gegen Weltmeisterin, die zwei schnellsten Frauen der Welt, die sich normalerweise aus dem Weg gehen, trafen in London aufeinander. Wirklich packend sollte es allerdings nicht werden. Nach 10,97 Sekunden war es die Amerikanerin, die mit deutlichem Abstand die Ziellinie als Erste überquerte. Bereits am Start, normalerweise nicht gerade ihre Stärke, war Jones gleichauf mit der Ukrainerin. Mit 10,97 Sekunden stellte Marion Jones die gewohnte Rangfolge vorerst wieder her. Eine bessere Zeit verhinderte der Gegenwind (-0,5 m/s). Zudem scheint der Belag im Crystal Palace nicht der schnellsten einer zu sein. Pintusevitch-Block wurde Zweite in 11,11 Sekunden, Chryste Gaines (USA/11,12 sec) Dritte.Dwain Chambers schnell, aber zu locker
Ebenso deutlich fiel der Zieleinlauf der Männer über 100 Meter aus. Lokalmatador Dwain Chambers zeigte Weltrekordhalter Maurice Greene abermals, dass in Europa immer mit ihm zu rechnen ist. Greene kam zwar schnell - um nicht zu schreiben Fehlstart-verdächtig - aus den Blöcken, doch der Brite zeigte sich im Verlauf des Rennens als der aktuell beste Sprinter. Der Wind drehte zwar, aber Chambers selbst verhinderte eine bessere Zeit, indem er locker die Ziellinie überquerte. 9,97 Sekunden zeigte die Anzeigetafel an. Für Maurice Greene, der auch noch seinen Landsmann Tim Montgomery (10,05 sec) passieren lassen musste, stoppte die Zeit bei 10,06 Sekunden.
Aus deutscher Sicht versprachen die 400 Meter der Männer die größte Brisanz. Sowohl bei den Europameisterschaften in München als auch in London trennten Daniel Caines und Ingo Schultz lediglich 14 Hundertstel. Allein die Platzierungen entsprachen diesmal wohl kaum ihren Vorstellungen. Europameister Schultz wurde - nachdem er die ersten 200 Meter auf Bahn sieben atemberaubend schnell gestaltete - lediglich Dritter (45,46 sec), Caines Vierter (45,60 sec). Überraschenderweise entschied der Hürden-Läufer Felix Sanchez, über die lange Hürdenstrecke im bisherigen Saisonverlauf ungeschlagen, in 45,14 Sekunden die flache Stadionrunde für sich. Keine drei Stunden zuvor hatte der Superman aus der Dominikanischen Republik (Sanchez trägt eine entsprechende Tätowierung auf dem linken Oberarm) bereits die 400 Meter Hürden für sich entschieden. Diesmal allerdings denkbar knapp. Nur um eine Hunderstel verwies Sanchez den US-Amerikaner James Carter auf den zweiten Rang (48,08 sec zu 48,09 sec).
Mutola zeigt Ceplak erneut ihren imposanten Rücken
Über die doppelte Distanz blieb Jolanda Ceplak abermals nur die Aussicht auf Maria Mutolas imposantes Kreuz. Egal, welche Taktik die Slowenin wählt, auf der Zielgerade muss sie die Olympiasiegerin aus Mosambik ziehen lassen. Diesmal reihte sich Ceplak direkt hinter der Tempomacherin Monique Hennagan ein, im Schlussspurt allerdings musste sie Mutola erneut ziehen lassen. Bei den Männern realisierte Yuriy Borzakovskiy spätestens nach seinem Sieg, dass es wohl die falsche Entscheidung war, in München lediglich über die einfache Stadionrunde zu starten. Von der Evolvente bis zum Zielstrich kontrollierte der Russe das Feld, 1:44,78 Minuten war seine Siegerzeit. David Krummenacker (USA/1:44,87 min) wurde Zweiter, der Überraschungssieger von Zürich, Joseph Mutua (Kenia/1:45,02 min) Dritter.
Weitere packende Zwei- manchmal auch Dreikämpfe:
Auf der Hürdensprintstrecke verabschiedete sich der vierfache Europameister Colin Jackson mit einem dritten Platz in 13,37 Sekunden und einer emotionalen Ehrenrunde vom Crystal Palace. Der 35-jährige Brite ließ den Amerikanern Allen Johnson (13,23 sec) und Larry Wade (13,26 sec) bei einem Gegenwind von 1,6 Metern pro Sekunde den Vortritt. Florian Schwarthoff wurde mit 13,93 Sekunden Siebter. Bei den Frauen überraschte die Jamaikanerin Bridgette Foster sowohl die Seriensiegerin Gail Devers (USA/12,71 sec) als auch die Europameisterin Glory Alozie (Spanien/12,84 sec), als sie nach 12,65 Sekunden als Erste die Ziellinie überquerte.
Keine große Überraschung war der Sieg der Russin Svetlana Feofanova mit 4,62 Metern im Stabhochsprung. Die restlichen Platzierungen allerdings versetzten die 17.000 Zuschauer in Staunen. Monika Pyrek übersprang ebenfalls 4,62 Meter und stellte zugleich einen neuen polnischen Landesrekord auf. Als Dritte aufs Treppchen sprang Yelena Belyakova (Russland/4,52 m). Der Weltrekordhalterin Stacy Dragila (ebenfalls 4,52 m) blieb lediglich der vierte Rang – der deutschen Meisterin Annika Becker nach enttäuschenden 4,40 Metern gar nur der sechste Rang. 4,25 Meter bedeuteten für Yvonne Buschbaum und Christine Adams die Plätze acht und neun.
Gabriela Szabo machte Tempo für Berhane Adere
Auch im Speerwurf der Männer blieb dem deutschen Starter lediglich der undankbare vierte Rang. Boris Henry schleuderte sein 800-Gramm-schweres Arbeitsgerät auf 83,13 Meter. Sergey Makarov (Russland/86,70 m), Eriks Rags (Lettland/85,32 m) und Aleksandr Ivanov (Russland/83,78 m) zeigten sich an dem lauen Abend in London noch etwas explosiver. Explosiv war wohl auch Gabriela Szabos Stimmung im Zielbereich nachdem sie 4750 Meter lang Berhane Adere hinter sich her schleppte, um schließlich im langen Sprint lediglich die Hacken der Äthiopierin zu sehen zu bekommen. Mit ihren Zeiten von 14:33,65 Minuten beziehungsweise 14:34.29 Minuten schafften sie es dennoch in die Top Ten der besten jemals gelaufenen Zeiten über 5000 Meter.
Über 200 Meter entschieden Davis Patton (USA/20,25 sec) und Ramon Clay (USA/20,34 sec) den Länderkampf mit den britischen Sprintern für sich. Auch im Dreisprung verhinderte der US-Amerikaner mit seinem letzten Versuch einen Heimsieg. Die Briten Phillips Idowu (17,29 m) und Jonathan Edwards (17,21 m) schienen den Wettkampf unter sich auszumachen, bis sich Walter Davis auf 17,33 Meter steigerte. Charles Friedek dagegen bleiben sechs Versuche verwehrt. Mit 16,56 Metern verabschiedete sich der Leverkusener bereits nach dem Vorkampf.