Paris läutet den Marathon-Frühling ein
Bleu, blanc, rouge - blau, weiß, rot. In den Nationalfarben leuchten die Plakate links und rechts der Champs Elysées und kündigen in dicken Lettern das publicityträchtige Ereignis an: "Marathon de Paris"! Wenn der April gekommen ist, machen die Franzosen mobil, denn in den vergangenen Wochen und Monaten hatten sie tagein, tagaus trainiert, um sich optimal vorzubereiten auf diese Massenveranstaltung, die am Sonntag zum 27. Mal ausgetragen wird. Traditionell läutet der Paris-Marathon die großen Frühjahrsläufe ein. Paris macht den Anfang. London, Rotterdam, Turin, Madrid und Hamburg folgen in einwöchigem Rhythmus.
Mehr als 30.000 Läufer passieren am Sonntag den Eiffelturm mitten in Paris (Foto: Hörnemann)
Joel Lainé, der emsige Generaldirektor, vermeldete bei der Pressekonferenz am vergangenen Freitag schon vorab einen neuen Teilnehmerrekord. "33.500 Anmeldungen sind eingegangen", betonte Lainé im Beisein von André Giraud, dem Vizepräsidenten des Französischen Leichtathletik-Verbandes, "eine solche Resonanz hatten wir noch nie." Zwei Jahre zuvor hatten 31.904 Aktive ihre Startgebühr eingezahlt. "Das", unterstrich Lainé, "war bisher Rekord." Mit London, Berlin, Chicago und New York zählt Paris mittlerweile zu den Branchenführern auf der klassischen Distanz über stramme 42,195 Kilometer.Der Paris-Marathon hat es in der Vergangenheit stets sehr schwer gehabt im internationalen Kräftemessen. Denn in den Straßen der Seine-Metropole ist es in der Tat schwieriger als anderswo, schnelle Zeiten zu laufen. Jos Hermens, der die ausdauernde Belgierin Marleen Renders managt, die vor zwölf Monaten ihr eindrucksvolles Solo mit einem neuen Streckenrekord (2:23:05 h) krönte, wunderte sich damals über die gute Zeit. Mannomann", staunte der erfahrene Holländer, der Kurs ist verdammt hart! Insbesondere die Tunneldurchquerungen mit ihrem ständigen Rhythmuswechsel sind sehr kraftraubend. Dieses ständige Auf und Ab kostet wohl eine knappe Minute."
Verkehr nicht blockieren
Laurent Boquillet, der als Racedirector für die sportliche Seite verantwortlich zeichnet, hat spontan vorgeschlagen, die engen Schnellstraßen längs der Seine mit ihren Tunneln zu meiden und auf die breiten Parallelstraßen auszuweichen. Das ist nicht machbar", legte Joel Lainé sein Veto ein, dann würden wir den Verkehr vier Stunden lang blockieren." Da würde Monsieur le Maire, Bertrand Delanoe, der Bürgermeister von Paris, nicht mitmachen.
Deshalb sind die Strecken in Berlin, Rotterdam oder Chicago weitaus schneller. Da purzeln die Rekorde. Julius Ruto, ein Kenianer, lief bislang die schnellste Zeit. Anno 1999 dominierte er in 2:08:10 Stunden. Dichtauf folgten drei weitere Afrikaner: Paul Kipsambu aus Kenia (2:08:25 h), Mwenze Kalombo aus dem Kongo (2:08:40 h) und Fred Kiprop aus Kenia (2:08:44).
Benoît Zwierzchlewski sorgte im vergangenen Jahr für das Highlight. Angefeuert von seinen begeisterten Landsleuten, bog er unter Ohren betäubendem Jubel auf die Avenue Foch ein, sprintete dann die letzten 200 Meter, als sei es nach 42 Kilometern das reinste Kinderspielund stürmte mit keckem Grinsen durchs Ziel. 22.500 Euro bescherte ihm der Triumph am Triumphbogen! In dicken Zahlen war seine Zeit auf der überdimensionalen Digitaluhr abzulesen: 2:08:18 Stunden.
Die Lokomotive der Laufbewegung
"Bien joué, Benoît", tönte Laurent Boquillet und strich dem 25-jährigen Franzosen über sein kahl geschorenes Haupt, "gut gemacht." Boquillet strahlte, denn er ahnte in diesem Moment, dass Paris, "die Lokomotive der Laufbewegung", wie er das Massen-Event im Land der Trikolore nannte, mit seiner 26. Auflage bei 24.026 Finishern reichlich Boden gut gemacht hat im internationalen Wetteifern.
Die vielen Hobbyläufer, die das sportliche Vergnügen mit einem Wochenendtrip kombinieren, sollten in Paris allerdings nicht auf eine Bestzeit spekulieren. Dennoch lohnt ein Besuch allemal. Der Lauf hat Charme", lobte die zweimalige Siegerin Marleen Renders (2000 und 2002) den Klassiker, der 1976 bei seiner Erstauflage lediglich 191 Teilnehmer anlockte, und es ist fast wie eine Sightseeing-Tour." Mit sportlicher Note, denn nach dem Start auf der Avenue des Champs Elysées, mit dem Triumphbogen als Hintergrund-Kulisse, kann man im Laufschritt gleich mehrere Sehenswürdigkeiten bewundern: Place de la Concorde, Louvre, Place de la Bastille, Chateau de Vincennes, Eiffelturm, das untrügliche Wahrzeichen von Paris, Trocadero und den Bois de Boulogne, die grüne Lunge inmitten der Millionenstadt.
Nachdem die Veranstaltung in den neunziger Jahren nur peu à peu vorankam, ist die Beteiligung im neuen Jahrtausend wie eine Aktie mit Erfolgsgarantie in die Höhe geschossen. Paris hat's dennoch schwer. Riesig ist die Konkurrenz! Boston, der älteste Marathon weltweit, hat die größte Tradition. Am Mythos von New York kann eh keiner kratzen. London ist finanzkräftiger als alle anderen. Berlin und Chicago haben ultraschnelle Strecken. Da hat Paris keinen leichten Stand. Die großen Stars, die für den Werbeeffekt sorgen, können wir eh nicht bezahlen. Paul Tergat beispielsweise würde mich die Hälfte meines Etats für die Spitzenläufer kosten", klagte Laurent Bouquillet, der die Asse verpflichtete. Was die in London für die Elite bezahlen, damit müssen wir den gesamten Marathon organisieren."
Driss El Himer am Start
Bouquillet, der auch Manager von Hicham El Guerrouj ist, setzt diesmal auf die einheimischen Läufer. Als da wären: Driss El Himer, Frankreichs schnellster Marathonläufer mit 2:07:02 Stunden (Amsterdam 2001), Mohamed Ouaadi, Paris-Sieger 2000 in 2:08:49 Stunden, Benoît Zwierzchlewski, der im Vorjahr die Nase vorn hatte, und Hakim Bagy (2:11:06 h in Paris 2001), die sich mit Luketz Swartboii aus Namibia (Bestzeit: 2:08:08 h), Vizeweltmeister in Stuttgart 1993, André Ramos aus Brasilien (2:08:26 h) und Philip Tarus aus Kenia (2:08:32 h) fetzen werden. Tarus, die "schwarze Perle" aus Eldoret, ist übrigens ein Schützling aus dem Fila-Team von "Trainer-Guru" Dr. Gabriele Rosa, der schon die beiden letzten Sieger Benoît Zwierzchlewski (2002) und Vizeweltmeister Simon Biwott (2001) mit Rat und Tat unterstützt hat.
Chantal Dallenbach, die Marathonspezialistin mit dem französischen und Schweizer Pass, ist die große Favoritin bei den Damen. Mit 2:28:27 Stunden steigerte sie im vergangenen April den elf Jahre alten Landesrekord von Maria Lelut-Rebello (2:29:04 h) um über anderthalb Minuten. Ihre Landsfrauen Rakiya Quetier Maraoui, 1999 Erste der nationalen Marathonmeisterschaften, Zaïa Dahmani, Hafida Gadi Richard, 2002 Halbmarathonmeisterin und Fatima Yvelain wollen ihr das Siegen so schwer wie möglich machen. Aufpassen müssen die flotten Französinnen auch auf Banuela Mrashan, die bei der Generalprobe über die halb so lange Distanz vor vier Wochen den zweiten Platz belegt hatte.
Neu beim Paris-Marathon sind auch die unterschiedlichen Startzeiten. Denn Chantal Dallenbach und die anderen Elitefrauen starten um 8.43 Uhr auf der Champs d'Élysées, die Männer und die vieltausendköpfige Menge um 9 Uhr. Also 17 Minuten später! Und schon werden Wetten abgeschlossen, wer wohl zuerst auf das Kopfsteinpflaster der Avenue Foch einbiegen wird, wo wenig später das Zielband über die sonst vierspurige Prachtstraße gespannt ist.